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Kleine Studie zum katholischen Eheverständnis

Als Mann und Frau schuf Gott sie und sie werden zu einem Menschen

 

Kleine Studie zum katholischen Eheverständnis

1. Bindung und Unauflöslichkeit der Ehe in der biblischen Überlieferung.
In Jerusalem und auf den Dörfern, wo man aramäisch sprach und das traditionelle Frühjudentum das Leben bestimmte, galten die Regeln des Deuteronomiums. Hier werden in kasuistischer Weise spezielle Fälle der Mann-Frau-Beziehung geregelt, wobei der rechtliche Schutz der Frau besonders berücksichtigt wird. Zuerst geht es (Deut, 22,13-21)um die Verdächtigung einer Ehefrau durch ihren Mann, der seine Frau nicht mehr liebt. Der Mann will sich von ihr trennen und gibt als Grund an, dass sie bei der Heirat nicht mehr sexuell unberührt war. Wenn die Eltern der Braut durch das Bettlaken des ersten Geschlechtsverkehrs in der Brautnacht die Unberührtheit ihrer Tochter beweisen können soll der Mann eine Geldbuße von 100 Schekeln bezahlen und darf seine Frau „niemals entlassen“. Wenn aber die Unschuld der Braut nicht bewiesen werden kann, soll die Frau verurteilt werden. „Dann sollen die Männer ihrer Stadt sie steinigen, und sie soll sterben, denn sie hat eine Schandtat in Israel begangen, indem sie in ihrem Vaterhaus Unzucht trieb. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.“(Deut 22, 21)
Dann geht im Deuteronomium um die Bestrafung eines Paares, das des Ehebruchs überführt wird (Deut, 22,22) und anschließend um die Bewertung einer Vergewaltigung (Deut 22,23-27.28f). Im 23. Kapitel wird geregelt, dass die Heirat der eigenen Schwiegermutter verboten ist (Deut. 23,1), etwas später geht es um das Verbot der sakralen Prostitution (Deut 23, 18-19). Im nächsten Kapitel (Deut 24,1-4) steht die Stelle, auf die der Markustext Bezug nimmt. Es handelt sich wieder um die kasuistische Schilderung eines Falles. Eine Frau war zweimal verheiratet. Der erste Mann hat sie weggeschickt, weil er sie nicht mehr liebt ( die Scheidung war nach jüdischem Recht legitim ). Auch der zweite Mann hat sich von ihr getrennt bzw. ist verstorben. Die Frau ist wieder allein. Die Frage des Deuteronomiums: Darf die Frau nun zu ihrem ersten Mann zurückkehren, wenn dieser es wünscht? Hintergrund ist auf der einen Seite, das Recht des Mannes, sich von seiner Ehefrau zu trennen, indem er ihr eine Scheidungsurkunde überreicht; auf der anderen Seite, dass alleinlebende Frauen rechts- und schutzlos sind, also das Alleinleben von Frauen als widernatürlich empfunden wird. Aber das Deuteronomiums regelt: Durch die zweite Heirat ist die Frau für ihren ersten Mann unberührbar geworden. Eine Wiederheirat ist deshalb nicht möglich. Bei all diesen Fallbeispielen des Deuteronomiums geht es nicht um die Ablehnung der Ehescheidung an sich, sondern immer um die Art und Weise, wie sich Männer von ihrer Frau trennen.
Der Markustext 10,2-12 schildert zunächst einen öffentlichen Disput Jesu mit seinen Widersachern (in der synoptischen Tradition als als Pharisärer benannt) und anschließend eine Schülerbelehrung im privaten Raum (im Haus). Die Widersacher Jesu nehmen auf den Deuteronomiumstext Bezug und stellen in typisch jüdischer Diskutierweise eine Fangfrage: „Darf ein Mann seine Frau wegschicken?“ Jesus antwortet nicht mit Ja oder Nein sondern reagiert mit einem theologischen Hinweis, dass zwischen dem Deuteronomium und dem Genesisbuch ein eklatanter Widerspruch bestehe. Denn das Deuteronomium gäbe ein Gesetz des Moses (Deuteronomium) wieder, die ursprüngliche Schöpfungsordnung (Buch Genesis) aber habe Mann und Frau zu einem Fleisch verbunden. Die Schlussfolgerung Jesu, die Markus zitiert „Was also Gott zusammengefügt hat, soll ein Mensch nicht trennen“ (Mk10, 9), wendet sich gegen das Vorrecht des Mannes, sich von seiner Frau durch eine Scheidungsbrief willkürlich und ohne Begründung zu trennen. Die gängige Praxis, dass der Mann seine Frau ohne Begründung wegschicken kann, ist für Jesus gegen die Schöpfungsordnung und lediglich ein Zugeständnis. Die heutige Frage, wie bei einer zerstörten Ehe zu verfahren ist, wird hier nicht berührt. Auf diese Deutung weist auch die Analyse des Textes hin. Der Evangelist zitiert aus den beiden Schöpfungsberichten Genesis 1,27 (>als männlich und weiblich erschuf er sie) und Genesis 2,24 (das Verlassen). Als Text liegt ihm die Septuaginta (griechische Übersetzung) vor. Ein Vergleich mit dem hebräischen (ursprünglichen) Text hilft zum besseren Verständnis, was Markus sagen will:
Hebräischer Text (Genesis 2,24)
Deshalb wird verlassen ein Mann seinen Vater und seine Mutter und wird anhangen seiner Frau und sie werden zu einem Fleisch.
Griechischer Text (Genesis 2,24)
Aus diesem Grund wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden zu einem Fleisch. Und die zwei sind Nackte – der Adam und seine Frau – und nicht sollen sie sich trennen. Markusevangelium (Mk 10,7-9)
Aus diesem Grund wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen (und seiner Frau anhangen), und die zwei werden zu einem Fleisch; daher sind sie nicht mehr zwei – sondern ein Fleisch. Was also Gott zusammengespannt hat, soll ein Mensch nicht trennen.
Der katholische Theologe Martin Ebner gibt den Hinweis, dass die Berufung auf die Schöpfungsordnung die Gleichartigkeit von Mann und Frau gegen die die Überordnung des Mannes betonen will. Wie bei einem Ochsengespann sind Mann und Frau zusammengespannt. Die rechtliche Sanktionierung männlicher Übermacht wird von Jesus abgelehnt.
Im zweiten Teil des Markustextes (Mk. 10,10-12) wird der Ort gewechselt. Dies entspricht jüdischer (und auch allgemein hellenistischer) Praxis, einen öffentlichen Disput im kleineren Kreis fortzusetzen und zu vertiefen. Die Jünger sind verunsichert, da das Scheidungsrecht gängiges Recht ist. Auch Frauen können – wenn auch unter wesentlich erschwerten Bedingungen – dem Mann einen Scheidungsbrief ausstellen. Deshalb betont der Evangelist, dass hier das (einseitige) Entlassen des Ehepartners gemeint ist.
Diese Deutung des Markustextes wird durch das Matthäusevangelium bestätigt, wo wir zwei Stellen finden, die das Scheidungsproblem ansprechen.
Mt.19, 3-9 ist die Parallele zum Markustext. Auch hier geht es um das einseitige, willkürliche und formalgesetzlich ermöglichte Fortschicken des Ehepartners. Anders ist es zu bewerten, wenn der Partner durch Unzucht (>= außerehelicher Geschlechtsverkehr) die Ehe bricht. Die eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau schafft einen neuen Menschen (>= ein Fleisch). Deshalb setzt Matthäus die Entlassung der Neuheirat gleich, wenn der sündhafte Bruch der von Gott gewollten ehelichen Verbindung berührt wird.
Die zweite Stelle findet sich bei Mt. 5,32. Sie bringt nichts Neues. Gleiches gilt für Lk 16.18.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Evangelien mit der Berufung auf Jesus das einseitige, willkürliche und nicht begründete Mosaische Scheidungsrecht als Verstoß gegen die Schöpfungsordnung verwerfen.
Im 1. Korintherbrief findet sich im 7. Kapitel eine längere Abhandlung zum Thema Ehe, Heiraten und Nichtheiraten. Die Autorenschaft des Apostel Paulus gilt als gesichert; der Brief wird einhellig auf die Jahre 53—55 datiert. Hintergrund sind aufgekommene Fragen in der (kleinen) Gemeinde von Korinth. Paulus lebt noch ganz in der Erwartung der Wiederkunft Christi: „Dies aber sage ich Brüder, die Zeit ist begrenzt.“ (1 Kor 7, 29) . In dieser letzten Zeit – also im Angesicht der kommenden Verwandlung -– haben sich die Regeln geändert. Am besten soll jeder sein Leben unverändert weiter leben (1 Kor.7,17ff). Der Verheiratete soll sein Eheleben weiterführen, der Unverheiratete soll keine Beziehung eingehen. Doch Paulus kennt den Menschen und ist ganz Seelsorger; deshalb vermeidet er allen Rigorismus. So gibt er seinen Rat für ganz unterschiedliche Situationen. Die Unverheirateten und Witwen sollen lieber heiraten, wenn die Gefahr besteht, dass sie “vom Feuer (> der Begierde) verzehrt werden“. (1 Kor 7, 8f; 39f ). Eheleute sollen die sexuelle Vereinigung pflegen (1Kor. 7,1ff). Wenn in einer Ehe der eine Partner zum Jesusglauben gekommen ist und der andere nicht, dann sind sie beide ebenso wie ihre Kinder geheiligt (Kor.7, 11 ff). Wenn aber ein „Leben in Frieden“ nicht möglich ist, sollen sich die Eheleute gütlich trennen. Für Paulus ist die Ehe zwischen Mann und Frau ein sehr hohes Gut.
Die Praxis der orthodoxen Kirchen fügt sich nahtlos an die neutestamentliche Überlieferung an. Die Ehe ist eine lebenslange Bindung. Wenn aber die Beziehung zerbricht und dauerhaft gestört ist, dann liegt das an der menschlichen Schwäche. Ganz im Sinne des Apostels Paulus muss um des Friedens willen eine Lösung gefunden werden. Die Römische Kirche ist einen anderen Weg gegangen. Hier spielten Abwertung von Ehe (Zölibat als Idealform) und Sexualität (Jungfräulichkeit als Idealnorm) eine entscheidende Rolle und führten frühzeitig zu der auch heute gültigen Deutung der biblischen Texte.
2. Die Ehe als Sakrament.
Vor seinem Tod hat der katholische Theologe Otto Hermann Pesch grundsätzliche Überlegungen zur christlichen Ehe formuliert und der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ zum Abdruck übergeben. Pesch weist darauf hin, dass es in der Katholischen Kirche erst im 13. Jahrhundert abschließend geklärt war, dass die Ehe ein Sakrament sei. Mehr als ein Wortspiel ist sein Hinweis, dass die Lehre des hl. Augustinus „die Ehe ist ein Sakrament, weil sie nach Mk. 10,2-10 unauflöslich ist“ durch die mittelalterlichen Theologen „auf den Kopf gestellt wurde“, denn nun hieß es, „die Ehe ist unauflöslich, weil sie ein Sakrament ist“. Im Gegensatz zur allgemeinen Sakramentenlehre wurde die Spendung nicht mit dem Gottesdienst verbunden sondern an das gegenseitige Ja-Wort gebunden. Hier habe sich, so Pesch, das Römische Eherecht durchgesetzt. Bemerkenswert ist auch der Hinweis, dass die Formpflicht nur für die niederen Kleriker galt, nicht aber allgemein verbindlich war. Weil es keine verbindliche Form gab, bestand jedoch die Gefahr, dass ein Mann seine Frau leicht verlassen bzw. verstoßen konnte, weil die Beweislage für eine gültige Ehe schwierig war. Auf diesem Hintergrund sind die Überlegungen Martin Luthers zu verstehen, die Gültigkeit der Ehe an die Zustimmung der Eltern zu knüpfen. Er entschied sich dann aber für die Interpretation der Ehe als „weltlich Ding“, wonach die ortsübliche Form der Eheschließung allein entscheidend sei. Für Luther war dabei maßgeblich, dass Jesus nicht erkennbar die Ehe eingesetzt habe und mit der Ehe keine Sündenvergebung verbunden sei. Pesch weist weiterhin daraufhin dass auch für das Trienter Konzil die Rechtssicherheit ein wichtiges Anliegen war. Die Konzilsväter berufen sich auf den lateinischen Text 5,25 im Epheserbrief: „“Die Gnade aber, die jene natürliche Liebe (zwischen Mann und Frau) vervollkommnen, die unauflösliche Einheit festigen und die Gatten heiligen sollte, hat Christus selbst, der Stifter und Vollender der ehrwürdigen Sakramente, durch sein Leiden für uns verdient. Dies deutet der Apostel Paulus an, , wenn er sagt: Männer liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat` (Eph5,25) und alsbald anschließt: `Dieses Geheimnis ist groß: Ich rede aber im Hinblick auf Christus und im Hinblick auf die Kirche` (Eph. 5,32). Die Konzilsväter waren überzeugt, dass hier Paulus die Sakramentalität der Ehe bezeugte. Abgesehen davon, dass die Konzilsväter eine falsche Textinterpretation vornahmen , ist aber ihre Aussage eindeutig: Die christliche Ehe ist ein Sakrament, weil die getauften Eheleute im Glauben an Jesus Christus leben und so zu einem lebendigen Abbild zwischen Christus und seiner Kirche werden. Pesch zieht zwei Schlussfolgerungen: 1) Das Leben in der Ehe ist das Sakrament. Weder die kirchliche Trauung noch die kirchenrechtlichen Vorschriften haben einen direkten Bezug zum Sakrament der Ehe. Dauer und Beständigkeit ergeben sich aus dem Wesen der ehelichen Beziehung. 2) Die christliche Ehe ist Keimzelle der Kirche und hat immer eine ökumenische Bedeutung: “Im Glauben haben Gemeinschaft über die Konfessionsgrenzen hinweg, und die konfessionsverbindende Ehe ist `Keimzelle der Ökumene`“.
Pesch weist daraufhin, dass sich Rechtslage und pastorale Praxis in der Katholischen Kirche bis zum 2. Weltkrieg auf die Formpflicht konzentriert haben; er benennt zwei Festlegungen für eine gültige Eheschließung: Gespräch mit dem zuständigen Pfarrer (Brautunterricht) mit Protokoll darüber sowie Trauung im Rahmen eines Gottesdienstes vor dem Pfarrer und zwei Zeugen mit abschließendem Protokoll. Die Mischehe, also die Ehe mit einem evangelischen Teil, war eigentlich verboten, wurde aber als Ausnahme toleriert, wenn die katholische Form gewahrt war und der evangelische Teil sich verpflichtete, die Kinder katholisch zu erziehen. Dies bedeutet aber auch, dass die Kinder in keinem Fall an einem evangelischen Gottesdienst teilnehmen durften, wenn der evangelische Teil für sich seinen Glauben praktizierte. Dahinter stand die Überzeugung, dass die römisch-katholische Kirche die allein rechtmäßige Kirche Jesu Christi sei. In der Praxis -so Pesch- wurde diese Situation oft als untragbar angesehen und durch Konversation des evangelischen Teils oder durch Verzicht auf die kirchliche Praxis gelöst.
Pesch schildert nun, wie sich in Deutschland die Situation nach dem 2. Weltkrieg grundsätzlich änderte. Es kam zu einer Vermischung der Konfessionen und eine rapiden Zunahme der sogenannten Mischehen. Dazu kam der ökumenische Dialog, der den Umgang zwischen den Kirchen prägte. 1971 hat dann – allerdings sehr spät – Paul VI. durch ein Motu Proprio die pastorale Praxis der Katholischen Kirche geändert. Pesch zählt drei Punkte auf. 1) Jeder zuständige katholische Pfarrer besitzt nun die Dispensvollmacht. Nur der Antrag zur Ehe mit einem Ungetauften muss beim Bischof gestellt werden. 2) Im begründeten Fall kann der Bischof von der Formpflicht dispensieren, so dass eine evangelische oder nur standesamtliche Trauung möglich ist. 3) Der evangelische Teil muss bestätigen, dass er zur Kenntnis genommen hat, dass der katholische Teil verpflichtet ist, die Kinder katholisch zu erziehen. Die deutschen Bischöfe präzisierten später diese Pflicht mit dem Satz „“soweit das in ihrer Ehe möglich ist“. Damit wurde im Letzten die religiöse Kindererziehung der Gewissensentscheidung der Eheleute zugestanden. Wenn es das Wohl des Kindes erforderte, erdem akzeptierte nun die Katholische Kirche auch die evangelische Erziehung des Kindes. Pesch macht deutlich, dass damit die Frage aufkam, wie es denn möglich ist, dass der evangelische Teil ein Sakrament (nach katholischer Lehre ist die Ehe eines der sieben Sakramente) empfangen kann, das er (nach evangelischer Auffassung) gar nicht empfangen will. Weiterhin blieb es aber streng verboten, dass der evangelische Teil bei der Erstkommunion des katholisch erzogenen Kindes zur Kommunion geht. An dieser Stelle lässt Pesch seine vorsichtige Behutsamkeit fallen und nennt dieses Verbot „seelsorgliches Verbrechen an dem Kind“ und lobt alle katholischen Pfarrer, die sich darüber hinwegsetzten und so die ökumenische Ehe aufwerteten.
Pesch schließt sich Paulus an und gibt der Ehe zwischen Mann und Frau einen sehr hohen Stellenwert. Nicht die Erfüllung kirchlicher Normen sondern das Zusammenleben von Mann und Frau ist das eigentliche sacramentum.
Auf diesem Hintergrund stellt sich heute in der Katholischen Kirche die Frage, welche Konsequenzen es habe, wenn dieses Zusammenleben nicht mehr möglich ist und sich damit das Sakrament aufgelöst habe.

 

 

Dieter Kittlauß

 

 

 

Posted by Kittlauss on Jun 21st 2014 | Filed in Biblische Studien,Katholische Kirche kontrovers,Spiritualität und,Theologie,Was das Leben angeht | Kommentare deaktiviert für Kleine Studie zum katholischen Eheverständnis

Was sagte Kain dem Abel? Wie das Böse vor unserer Tür hockt.

 

Marc Shagall malt die Geschichte von Kain und Abel. Dabei gibt er dem Abel das Gesicht eines Mädchens und erinnert so an die weltweite Gewalt der Männer gegenüber Frauen und Mädchen. Quelle:  Chagall-  _ und Bibelausstellung Kandel 2003_ httpwww.pwhdesign.dechagall_kandelChagall_bibel8.jpg

Marc Shagall malt die Geschichte von Kain und Abel. Dabei gibt er dem Abel das Gesicht eines Mädchens und erinnert so an die weltweite Gewalt der Männer gegenüber Frauen und Mädchen. Quelle: Chagall- _ und Bibelausstellung Kandel 2003_ httpwww.pwhdesign.dechagall_kandelChagall_bibel8.jpg

 

Einstimmung:

Meldung eins: Am 29. September 1941 wurden 33 771 jüdische Männer, Frauen und Kinder teils zu Fuß, teils mit Lastwagen,  von Kiew zu der nahe gelegenen „Großmütterchen-Schlucht“ Babij Jar gebracht, nackt bis zu einem zehn Meter tiefen Abgrund getrieben und hier von einer Kompanie SS-Männer erschossen. Zwei Tage lang dauerte das Massaker. Mehr als hundert Lastwagenladungen Kleidung wurden für die NS-Wohlfahrt abtransportiert. Um Spuren zu beseitigen, sprengten Pioniereinheiten der Wehrmacht anschließend die Felswände der Schlucht.

Meldung zwei: Am 16. Dezember 2012 machten 6 junge Männer in Neu Dehli mit einem ausrangierten Bus eine Männertour durch die Stadt. Aus Spaß ließen sie eine 23-jährige Krankenschwester mit ihrem 28-jährigen Freund zusteigen.  Die beiden waren auf dem Heimweg von einem Kinobesuch. Dann schlugen die Huligans den jungen Mann mit einer Eisenstange zusammen und vergewaltigten einer nach dem anderen die junge Frau – und zwar stundenlang.

Meldung drei: Zwei Berliner Rechtsmediziner haben ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Deutschland misshandelt seine Kinder. Es prangert das Versagen der deutschen Jugendämter an. Die Polizeigewerkschaft schätzt, dass in Deutschland pro Woche drei Kinder durch Misshandlung der eigenen Eltern sterben.

Drei Meldungen  – willkürlich herausgegriffen. Weil wir Menschen Teil der Natur sind, unterliegen wir dem unerbittlichen Entwicklungsgesetz der Evolution;  und das heißt: Verdrängen oder selbst verdrängt werden. Wir sind in die Evolution so stark eingebunden, dass wir uns nur mit der ganzen Anstrengung unseres Geistes  humanisieren und kultivieren können. Aber weil die Humanität kein bleibender Besitz ist sondern nur zeitweiliges Ergebnis unserer Anstrengung, ist der Rückfall in die Barbarei für Einzelne, Gruppen und ganze Völker unser ständiger Begleiter. Die Frage nach dem Bösen, das vor unseren Türen hockt, war eine Kernfrage der jüdischen Theologen bereits in früher Zeit. Im Jahre 597 v.der Zeitenwende  wurde die ganze Elite des jüdischen Volkes nach Babylon deportiert. „An den Flüssen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten“, erinnert bis heute der Psalm 137 daran. Neben der Frage nach den Ursachen des Unheils für das Volk  waren es die großen Menschheitsfragen nach Leben und Tod, die Beziehungen zwischen Mann und Frau, die Bedrängnisse durch die Gefahren der Natur und die Feindschaften unter den Völkern. Und hinter all diesen Schicksalsfragen stand die Frage nach dem Gott der Väter. Als der persische Kyrios nach 50 Jahren die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte, nahm die lange Kolonne der Heimkehrer auf den Papyrusblättern und Pergamentrollen eine neues Welt- und Gottesbild mit. Die Erfahrungen des eigenen Volkes und die uralten Geschichten aus dunkler Vergangenheit waren zu einer neuen Synthese verbunden und werden nun als Thora das jüdische Leben bestimmen. Neue Lieder werden sie singen und die heilige Stadt Jerusalem wieder aufbauen.

Eine der gesammelten alten Geschichten, die wir seit unserer Schulzeit kennen, ist die Geschichte,

Wie Kain den Abel erschlug?

In Anlehnung an den hebräischen Urtext.

(Nuch Genesis 4,1-17)

Und der Mensch erkannte Eva, seine Frau, und sie empfing und gebar den Kain. Und sie sagte: Ich habe mit Adonai[1] einen Mann erworben. Und sie fuhr fort zu gebären seinen Bruder, den Abel. Und Abel hütete eine Herde und Kain bearbeitete den Ackerboden. Und es geschah am Ende von Tagen, da brachte Kain von der Frucht des Ackerbodens eine Gabe für Adonai. Und Abel, er brachte auch von den Erstlingen seiner Herde und ihrem Fett. Und Adonai achtete auf Abel und auf seine Gabe, aber auf Kain und seine Gabe achtete ER nicht. d in Kain brannte es und sein Gesicht senkte sich. Da sagte Adonai zu Kain: Warum brannte es in dir und warum senkte sich dein Gesicht? Ist es nicht so, wenn du gut handelst, trägst du hoch (dein Gesicht), und wenn du nicht gut handelst, verlangt lauernd nach dir am Eingang der Fehltritt. Aber du sollst ihn beherrschen.. Und es sprach Kain mit seinem Bruder Abel. Dann geschah es bei ihrem Sein auf dem Feld. Da stand Kain gegen seinen Bruder Abel auf und schlug ihn tot. Da sagte Adonai zu Kain: Wo ist Abel, dein Bruder? Er sprach: Ich weiß es nicht. Bin ich etwa der Hüter meines Bruders. Und Er sagte: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders Abel schreit vom Ackerboden zu mir. Und nun –  Du (bist) verflucht von der Ackererde, die ihren Mund aufgetan hat, das Blut deines Bruders aufzunehmen. Wenn du mit deiner Hand bearbeitest die Ackererde, wird sie nicht fortfahren, dir Ertrag zu geben. Unstet und flüchtig wirst Du sein im (ganzen) Lande. Da sprach Kain: Du vertreibst mich heute von er Ackererde und vor deinem Antlitz. Ich muss mich verbergen. Ja ich werde unstet und flüchtig sein im (ganzen) Lande. Und es wird geschehen, jeder der mich findet, kann mich töten. Da sagte ihm Adonai: Vielmehr jeder der Kain tötet, wird siebenfach gerächt. Und es machte Adonai dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn findet. Darauf ging Kain weg vom Angesicht Adonais und er wohnte im Lande Nod östlich von Eden.

Kommentar: Das hebräische Wort „Wayomer“, – übersetzt „Und er sprach“ –  verbindet diese Geschichte mit dem ersten Schöpfungsbericht, der Ackerboden erinnert an den zweiten. Warum Gott das Opfer des Kains nicht annahm, wird nicht gesagt und bleibt offen. Den jüdischen Rabbinen genügte als Erklärung, der Hinweis auf das Pascha-Lamm.  Stark ist das Bild vom Bösen, das vor der Tür lauert. Es erinnert an den 1. Petrusbrief, wo das Böse „wie ein brüllender Löwe umhergeht, suchend, wen er verschlinge.“ Die Antwort der Bibel: „Du sollst das Böse beherrschen“ ist eine erstaunlich moderne Antwort. Die Schöpfung Gottes ist als Werdewelt kein Paradies, damit auch das Leben der Menschen  nicht. Aber für den großen und den kleinen Terror sind wir ganz allein verantwortlich. Gott überlässt uns unserem Schicksal, das heißt, unseren eigenen Entscheidungen. Jeder von uns kann wie Abel oder wie Kain sein.

Die jüdischen Rabbinen aber hat besonders eine Frage beschäftigt, die sich nur aus dem hebräischen Text ergibt:[2]

Und es sprach Kain mit seinem Bruder Abel. Dann geschah es bei ihrem Sein auf dem Feld. Da stand Kain gegen seinen Bruder Abel auf und schlug ihn tot.

Was haben Kain und Abel besprochen? Die Geschichte erzählt es nicht. Doch im jüdischen Midrasch wird eine dreifache Antwort darauf gegeben, was Kain und Abel besprochen haben können, bevor es zur Bluttat kam:

Worüber debattierten Kain und Abel? Sie sagten: Wir wollen die Welt aufteilen! Einer nahm den Boden, der andere das Haus. Dieser sagt: Der Boden, auf dem du stehst, gehört mir! Jener sagt: Die Kleider, die du trägst, gehören mir! Jener sagt: ,Zieh sie aus! Dieser sagt: Flieg fort! Deshalb erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und erschlug ihn. Die erste Antwort der Rabbinen: Die Gier nach Besitz war die Ursache der Bluttat.

Worüber debattierten Kain und Abel? Der eine sagt: Auf meinem Grundstück wird der Tempel gebaut! Der andere sagt: Auf meinem Grundstück wird der Tempel gebaut!‘ Denn das Feld meint nichts anderes als den Tempel, wie du liest beim Propheten Micha.[3] Deshalb erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und erschlug ihn. Die zweite Antwort der Rabbinen: Die Gier nach Macht war die Ursache der Bluttat..

Worüber debattierten Kain und Abel? Eine Zwillingsschwester wurde zusammen mit Abel geboren. Der eine sagt: Ich nehme sie, bin ich doch der Erstgeborene! Der andere sagt: Ich nehme sie, ist sie doch mit mir zusammen geboren! Deshalb: erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und erschlug ihn Die dritte Antwort der Rabbinen: Die Gier nach Sex war die Ursache der Bluttat.[4]

 Drei Ursachen hat das Böse:

Die Gier nach Besitz,

die Gier nach Macht,

die Gier nach Sex.

Und damit sind wir mitten in unserer Zeit. Denn Kain und Abel leben heute, hier, mitten unter uns. Sie sind keine Einzelgänger sondern ein Massenphänomen. Auch in der katholischen  Kirche, wie wir in jüngster Zeit erfahren konnten.  Ich erzähle dazu eine Geschichte:

Aufgrund der Herbststürme schaukelte die weiße Yacht hin und her, als sie von der Küstenwache entdeckt wurde. Auf dem  Luxusschiff war niemand. Man konnte dann rekonstruieren: Nach einer Party waren die Gäste mit der Mannschaft nackt ins Meer gesprungen, voll des süßen Weines, kreischend und mit Gelächter im kühlen Wasser. Weil man vergessen hatte, die Leiter herunterzuklappen, waren sie alle ertrunken.

Diese Geschichte hätte Jesus erzählen können – und er hat solche Geschichten dauernd erzählt. Weil er auch die Hohe Geistlichkeit nicht verschonte, wurde er schließlich gekreuzigt. Der römische Hauptmann war der einzige, der bei seinem Tod betete. Nein, da waren noch die Frauen. Es waren einige Frauen, schreibt der Evangelist und zählt sie einzeln mit Namen auf. Eigentlich sind diese Frauen die Säulen der Kirche.

Nicht Gier nach Besitz – sondern teilen, helfen, bescheiden und geschwisterlich leben; abgeben und die Härte der Schöpfung abmildern, wie es Adonai mit dem Kain gemacht hat. Das ist auch die Botschaft Jesu.

Nicht Gier nach Macht – sondern begleiten, die Hand reichen, aus der Grube ziehen; die Schwachen beschützen, Wunden verbinden. Für Gerechtigkeit sich einsetzen. Das ist auch die Botschaft Jesu.

 Nicht Gier nach Sex – sondern die Frauen achten und ehren. Ihnen die volle Menschenwürde zugestehen. Die Kinder beschützen und ihnen Heimat schenken. Das ist auch die Botschaft Jesu.

Unter euch soll es nicht so sein, so sagte es Jesus seinen Jüngern. Im Markusevangelium gibt es große und kleine Figuren. Die großen Figuren  sind die politischen Machthaber, aber auch die Theologen in ihren langen Talaren und mit goldenen Ringen an den Fingern. Die kleinen Figuren sind die Witwen und einfachen Leute, wie der alte Simeon und die Frau am Jakobsbrunnen. Jesus lässt keinen Zweifel, für wen sein Herz schlägt. Im Judentum gibt es bis heute die Vorstellung der Tikkùn  olàm, der Reparatur  der Welt. Gottes Schöpfung ist eine Werdewelt und Gott braucht und will uns als Reparateure. In der christlichen Tradition  haben wir die sieben Werke der Barmherzigkeit, wo wir aufgerufen werden zur Verantwortung für den Nächsten, der unter die Räuber gefallen ist.  Wie sagte Jesus? Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. Selig seid ihr, wenn ihr hungert und dürstet nach Gerechtigkeit (Mt. 5,5). Darum geht es. Wir sollen  Klempner Gottes sein in einer Welt, die immer noch in Wehen liegt und seufzt und ächzt unter den Gefahren ihrer Vorläufigkeit.

[1] Bereits im 6.-5. Jahrhundert wurde der Gottesname geschrieben aber nicht ausgesprochen. Um diese Praxis zu sichern, wurde, das Tetragramm nur mit Adonai = mein Herr ausgesprochen und dessen Punktuation unterlegt, allerdings diese auch noch einmal variiert.

[2] Die Einheitsübersetzung verwischt den Text:: „Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld. Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.“

[3] Micha 3,12

[4] Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, GABRIELLE OBERHÄNSLI-WIDMER, Das Böse an Kains Tür. Die Erzählung von Kain und Abel in der jüdischen Literatur.

Originalbeitrag erschienen in:Kirche und Israel 19 (2004), S. 164-181

Posted by Kittlauss on Mrz 15th 2014 | Filed in Biblische Studien,Was das Leben angeht | Kommentare deaktiviert für Was sagte Kain dem Abel? Wie das Böse vor unserer Tür hockt.

Der starke Josef :Die Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums

Traditionelle Josefsfigur in der katholischen Kirche  Bad Calv. Quelle Wikipedia.

Traditionelle Josefsfigur in der katholischen Kirche Bad Calv. Quelle Wikipedia.

Wer kennt ihn nicht den hl. Josef, einen älteren Mann mit der Lilie in der Hand? Viele Kirchen, Krankenhäuser und Einrichtungen sind nach ihm benannt. In vielen Kirchen gibt es einen Josefsaltar oder zumindest eine Statue vom „Pflegevater“ Jesu. Und fromme Christen beten auch heute noch zum heiligen Josef, dem Schutzpatron der Sterbenden, der Jungfrauen und der Eheleute. In Europa waren es die Bettelorden, die seit dem 14. Jahrhundert die Verehrung des hl. Josef verbreiteten. 1621 wurde im Römischen Kalender das Fest des hl. Josef für den 19. März festgelegt; gut hundert Jahre später verordnete es Papst Clemens XI. für die ganze katholische Kirche. 1870 ernannte Papst Pius IX, den hl. Josef zum Patron der Kirche. Im 20. Jahrhundert gab es in den katholischen Gebieten einen richtigen Josefs-Boom, die katholischen Buben erhielten zumindest Josef als Zweitnamen und die meisten Kapellen bekamen Josef als Namenpatron. Weiterlesen »

Posted by Kittlauss on Dez 21st 2013 | Filed in Biblische Studien,Spiritualität und,Theologie | Kommentare deaktiviert für Der starke Josef :Die Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums

„Für uns gestorben“ – Studie über die Bedeutung des Todes Jesu

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Posted by Kittlauss on Mrz 30th 2013 | Filed in Aktuell,Biblische Studien | Kommentare deaktiviert für „Für uns gestorben“ – Studie über die Bedeutung des Todes Jesu

Theologische Betrachtung zu Markus 1,15

 

 

 

 „Erfüllt ist die Zeit und das Reich Gottes ist nahe;

kehrt um und glaubt an die Frohbotschaft“

 

In Anlehnung an Thomas Sarazeno habe ich Weihnachten 2012 eine Weihnachtskugel gefertigt, die an unseren Kosmos erinnern kann.

In Anlehnung an Thomas Sarazeno habe ich Weihnachten 2012 eine Weihnachtskugel gefertigt, die an unseren Kosmos erinnern kann.

Der Evangelist Markus wollte mit seinem Evangelium die Gestalt des Jesus von Nazareth nahebringen und zur Nachfolge motivieren. Deshalb schrieb er über „seinen Helden“ einen Roman[1] und benutzte alle Quellen, die ihm zugänglich waren. Markus begann seine Jesusgeschichte sehr programmatisch: „.Anfang der Frohbotschaft (> Evangelium) von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Der jüdisch-hebräische Titel „Maschiach“ (> Messias) war in seiner griechischen .Übersetzung (> Christos)  für Markus bereits Teil des Namens. Für die Ohren seiner Leser klang „Christos“ wie ein Familienname. Das Jesusgeschehen lag ja auch schon 50 Jahre zurück. Weiterlesen »

Posted by Kittlauss on Feb 26th 2013 | Filed in Biblische Studien,Spiritualität und,Was das Leben angeht | Kommentare deaktiviert für Theologische Betrachtung zu Markus 1,15

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