Ein sehr persönlicher Rückblick Von Dieter Kittlauß auf die Jahreshauptversammlung der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen (VkPF) im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod am 23. bis 24. März 2019

Es waren 24 Männer und Frauen, die im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod zum Sonntagsgottesdienst in der Runde saßen; Anlass war die 35. Jahreshauptversammlung der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen.   

In seiner Jesusstudie „Jesus von Nazaret in seiner Zeit“[1] hat der katholische Exeget Martin Ebner die kühne Frage aufgeworfen, ob die 12 Apostel nicht in Wirklichkeit 12 Ehepaare waren, also 24 Männer und Frauen, die mit Jesus aus Nazaret durch Galiläa zogen. Als mir dies durch den Kopf ging, bekam unser Kreis auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Doch dann gab es noch einen anderen Bezug.  Martin Ebert beschreibt nämlich  die Jesusgruppe als soziale Aussteiger, geächtet und verachtet von den Frommen im Lande und der damaligen jüdischen Hierarchie. Waren nicht auch wir, die verheirateten Priester, und unsere Frauen, die sich auf eine Ehe mit einem katholischen Priester einließen, in den Augen vieler frommer Katholiken und vor allem auch immer der Bischöfe, Schwächlinge und Versager, die ihrer Berufung und ihrem Versprechen untreu geworden sind? Aber gehören wir vielleicht in Wirklichkeit zu den wahren Zeugen dieser mehr als 2000 Jahre alten Jesusnachfolge? Vielleicht war dieser Vergleich zu kühn, aber so abwegig war er gar nicht. Jedenfalls hatte ich auf einmal das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und der Gottesdienst, den wir zusammen feierten, war nahe an den Ursprüngen der frühen Kirche. Kein goldener Kelch und kein prächtiges Messgewand, kein feierlicher Einzug und keine Trennung von Klerus und Laien; aber Brot und Wein und die uralten Worte der Verheißung und Zuversicht.

In der Liturgie gab eine Änderung, die mir bedeutsam erschien, nämlich dass der Friedensgruß am Anfang stand, ganz biblisch: bevor Du zum Altar gehst, versöhne dich erst mit Deinem Bruder.

Das Bibelwort motiviert mich, eine kleine Geschichte zu erzählen. Beim Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin fanden in der evangelischen Gethsemaniekirche zwei ökumenische Gottesdienste statt, zu denen die Initiativen „Kirche von unten“ und „Wir sind Kirche“ eingeladen hatten.  Etwa 2000 Personen waren jeweils in der Kirche, Tausende hörten draußen die Lautsprecherübertragung. Am Fest Christi Himmelfahrt war die katholische Messe, die der katholische Priester, Prof. Dr. Gotthold Hasenhüttl aus Saarbrücken, als Zelebrant leitete; der evangelische Gottesdienst erfolgte am Freitag. Hasenhüttl, ein schmächtiger Mann, betonte zu Beginn, dass es sich um eine Sonderform anlässlich des Ökumenischen Kirchentages handle, und dass sich jeder ernsthaft prüfen müsse, ob er zur Kommunion gehe. Beide Gottesdienste wurden auch als Abendmahlsfeier korrekt nach den liturgischen Regeln der eigenen Kirche durchgeführt; die Predigt hielt jeweils ein Vertreter der anderen Konfession, was im gewachsenen ökumenischen Verständnis – zumindest in Deutschland – durchaus nicht unüblich war. Ich war mit Ernst Sillmann (†), dem damaligen Vorsitzenden der VkPF, zwei Stunden vorher gekommen, so dass wir bei beiden Gottesdiensten in der Kirche waren. Bemerkenswert war die überaus emotionale Zustimmung bei beiden Gottesdiensten; wie bei den Kirchentagen ging mir durch den Sinn.  Als die große Gemeinde den Choral ‚Nun danket alle Gott’ sang, kamen manchem die Tränen. Im katholischen Binnenraum gab es nachher aufgrund des großen Medienechos Aufregung, aber es war auch deutlich Zurückhaltung und Respekt für die gewählte Form zu spüren. Doch ganz anders der Trierer Bischof Reinhard Marx; er sah wohl eine Chance, sich zu profilieren, weil er genau wusste, dass Joseph Ratzinger, der mächtige Chef der vatikanischen Glaubensbehörde,  den deutschen Theologieprofessor aus Saarbrücken schon lange im Visier hatte?  Jedenfalls am 17. Juli 2003 suspendierte Bischof Marx den Prof. Hasenhüttl vom Priesteramt und drohte ihm anschließend mit dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis, falls er nicht reumütig einlenke. Wie Martin Luther in Worms blieb sich allerdings Gotthold Hasenhüttl treu und widerstand. Auch die Schützenhilfe des Bundespräsidenten, der „als evangelischer Christ“ die Haltung der katholischen Kirche zum Abendmahlsstreit kritisierte, half nicht. Doch dann wurde es ganz schnell deutlich, worum es bei der ganzen Sache eigentlich ging. Wenige Tage später gab Kardinal Ratzinger der Koblenzer Rheinzeitung ein Interview: „Übrigens darf man nicht vergessen, dass Hasenhüttl eine Dogmatik geschrieben hat, in der er uns sagt, dass es Gott als eine in sich seiende Wirklichkeit gar nicht gibt, sondern lediglich ein Beziehungsereignis sei. Insofern ist das, was er auf dem Ökumenischen Kirchentag angestellt hat, noch relativ gering im Vergleich zu dem, was er im Ganzen von sich gegeben hat. Und Hasenhüttl weiß selber, dass das nicht der katholische Glaube ist.“ Auf die Frage des interviewenden katholischen Chefredakteurs Martin Lohmann „Würden Sie also sagen: Hasenhüttl ist nicht mehr katholisch?“, antworte Ratzinger ohne Wenn und Aber:  „Was im Innersten seines Herzens ist und vorgeht, das überlassen wir dem lieben Gott. Aber was er geschrieben hat, ist nicht katholisch.“ Damit war alles gesagt; Ratzinger als Vertreter der Römischen Kirche ließ eine Alternative nicht zu, und statt theologischem Disput gebrauchte die Römische Kirche ihre Macht. Anstatt sich als der zuständige Bischof wie ein guter Verteidiger schützend vor Gotthold Hasenhüttl zu stellen, schlüpfte Reinhard Marx sofort in die Rolle eines päpstlichen Vollzugsbeamten; sicherlich nicht zum eigenen Schaden. Aber diese schlimme Geschichte geht noch weiter,  denn ich habe in den Folgejahren nicht nur Reinhard Marx sondern anlässlich des Bischofswechsels auch den Diözesanverwalter, das Trierer Domkapitel und auch den neuen Trierer Bischof durch viele Briefe inständig und immer wieder gebeten, das Unrecht an Gotthold Hasenhüttl wieder gut zu machen und Frieden zu stiften. Doch ohne Erfolg und ohne eine einzige Antwort. 

Damit komme ich zu meiner Erinnerung an den Friedensgruß bei der Messfeier der Jahreshauptversammlung zurück. Eines der systemischen Grundübel der Katholischen Kirche ist die Macht des Klerus und dessen Bußunfähigkeit. Bis in die Gegenwart wurden katholische Eheleute, die (gleich aus welchen Gründen) zum zweiten Mal heirateten, lebenslang von der Kommunion ausgeschlossen. Seit dem II. Vatikanischen Konzil wurden allein in Deutschland Tausende Priester (und es waren nicht die schlechtesten) gnadenlos auf die Straße gejagt, nur weil sie das Versprechen der Ehelosigkeit korrigieren und ihren priesterlichen Dienst in Aufrichtigkeit führen wollten. Bis in unsere Zeit wurde Verzweifelten und psychisch Kranken, die keine Kraft zum Weiterleben hatten, die kirchliche Beerdigung verweigert und in katholischen Dörfern wurde Mädchen wegen einer außerehelichen Schwangerschaft lebenslang diskriminiert. Inzwischen haben sich die Zeiten etwas geändert. Als Antwort auf die Aufdeckung des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester zeigt sich der Münchener Kardinal Reinhard Marx auf einmal auffallend bereit, sich für die schon lange überfälligen Reformen in der Katholischen Kirche einzusetzen: Machtverzicht des Klerus, Diskussion um den Zölibat und Verantwortung für Frauen sind  erstaunlicherweise seine sehr konkreten Forderungen. Doch Skepsis ist immer noch angebracht, ob die Römische Kirche zu tiefgreifenden Reformen fähig ist, denn offensichtlich lässt die Macht der rotgewandeten Prälaten selbst den guten Papst Franziskus erzittern. Aber auf der anderen Seite erinnerte „die kleine Herde“ hier im Tagungsraum des katholischen Wilhelm-Kempf-Hauses, die sich mit Brot und Wein im Namen Jesu versammelte, an „das kleine Senfkorn Hoffnung“ der immer noch ganz lebendigen Verheißung des Evangeliums. Und war es nicht ein Wunder, dass diese 24 Frauen und Männer, alle in die Jahre gekommen, so völlig frei von Hass und Rachsucht über erfahrenes Unrecht, sich mit dieser oft skandalgeschüttelten Kirche immer noch verbunden fühlten und wie die Jünger und Jüngerinnen vor 2000 Jahren zu der Frohbotschaft Jesu bekannten? Vor 48 Jahren bat ich den Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, mir trotz meines Heiratswillens den weiteren Dienst in meiner Kirche zu ermöglichen. Ich wusste, dass dieser Weg für alle nicht einfach werden würde. Was ich nicht wusste, war die ungeheure Welle an Verachtung und Ablehnung, die ich dann über Jahre erfuhr. Die katholische Diasporakirche in der DDR war damals von dem Geist der Würzburger Synode noch weit entfernt und hatte keinerlei Hemmungen, mich dem atheistischen Staat zum Fraß vorzuwerfen. Heutzutage hat sich auch in Erfurt das Blatt gewendet; der Erfurter Bischof schrieb mir einen freundlichen, ja sogar liebenswürdigen Brief.

Mit dem ITE MISSA EST gingen wir wieder auseinander; nach der christlichen Tradition immer auch Sendung in die Welt, unsere Mutter Erde, ein jeder an seinen Platz und in sein Leben.


[1] Stuttgarter Bibelstudien, Stuttgart 2004.

Kittlauss Apr 10th 2019 05:23 pm Biographisches,Katholische Kirche kontrovers,Spiritualität und,Was das Leben angeht Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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