QUO VADIS katholische Kirche?
Nach meiner Erinnerung waren im Erfurter Priesterseminar Themen um die Sexualität völliges Tabu; dies galt auch für die Homosexualität und den sexuellen Missbrauch, zumal wir diese Vokabeln nicht in unserem Sprachschatz hatten, sowie für den Weggang eines Seminaristen aus unserem Semester. Im Pastoralseminar Neuzelle hatten wir bei dem 70jährigen Regens Ramatschi Vorlesungen zur Beichtpraxis, die sich aber im Wesentlichen auf die kirchlich erlaubte Empfängnisverhütung und das kirchliche Eherecht bezogen. Dies war die Zeit vor dem II. Vatikanum. Als durch das Konzil der Zölibat thematisiert wurde, gab es – jedenfalls in Deutschland – eine Wende, die (allerdings nicht in der DDR) bis zur Würzburger Synode (1971 – 74) führte. Doch das Diskussionsverbot von Papst Paul VI. noch während des Konzils und die „Zölibatszementierung“ der nachfolgenden Päpste, stürzten die Katholische Kirche in eine tiefgehende Krise; der priesterliche Zwangszölibat blieb bis heute ein zentrales Thema und wie eine schwärende Wunde. In Deutschland mussten Tausende – meist junger und engagierter – Priester den Dienst aufgeben.[1] Durch die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs (meist) junger Menschen durch katholische Priester, geriet die Katholische Kirche sogar weltweit in eine fundamentale Existenzkrise.[2] Dennoch ist die Hierarchie bis heute verzweifelt bemüht, den Zölibat „mit Klauen und Zähnen“ zu verteidigen. Typisch war die Einlassung des Wiener Kardinals Christoph Schönborn zur Amazonensynode, bei der er die dortige Zölibatsdebatte als „sekundär“ bezeichnete und lediglich die regional erlaubte Diakonats- und Priesterweihe für verheiratete (männliche) Katecheten befürwortete. Es ist ungewiss, welchen Weg Papst Franziskus nun einschlägt, aber auffallend ist es schon, wie stark immer noch die Auseinandersetzung um den Pflichtzölibat mit einem Tabu verbunden ist. Obwohl der priesterliche Pflichtzölibat auch in der Katholischen Kirche nur für den Lateinischen Ritus gilt und selbst in diesem öfters nicht praktiziert wird,[3] wird weiterhin von einer ganz engen und (eigentlich zwangsläufigen) Verbindung von Pflichtzölibat und priesterlichem Dienst gesprochen. Auch alle Erkenntnisse über die Jesusgruppe[4] und die frühen Christusgemeinden[5] können dem „heiligen Zölibat“ nichts antun. Die neuen Richtlinien für die priesterliche Ausbildung in der Erzdiözese Köln erwecken den Eindruck , als ob es die Zölibatsproblematik nicht gibt: „Außerdem soll in Zukunft die Reifung der Persönlichkeit noch stärker professionell begleitet werden. Dazu gehört, dass Themen wie die zölibatäre Lebensweise und eine neue Kultur der Zusammenarbeit in gemischten Teams im Sinne des Pastoralen Zukunftswegs intensiv eingeübt werden.“[6] Doch ist die Frage mehr als akut, ob der Priesterzölibat, also die von Beruf wegen geforderte Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit überhaupt noch bedeutsam sind? Während meiner Oberschulzeit waren die meisten Lehrerinnen unverheiratet; wir redeten sie mit „Fräulein“ an. Noch einige Jahrzehnte vorher, gab es in Deutschland überhaupt keine verheirateten Lehrerinnen. Niemand würde das heute behaupten, auch nicht, dass ein Chefarzt oder ein leitender Ingenieur zölibatär leben muss, wenn er den beruflichen Anforderungen gerecht werden will. Wenn schon Zölibat, dann aus freien Stücken, weil man das so will, oder weil man in einer (gleichgeschlechtlichen) Gruppe lebt, wie es für viele Ordensgemeinschaften gilt. Natürlich gibt es Situationen, die (zumindest auf Zeit) den Verzicht auf bestimmte Lebensformen erfordern[7]. Doch ein lebenslang geforderter sexueller Verzicht wegen des Berufes ist höchst unglaubwürdig, was sich mittlerweile auch bei vielen (wenn nicht sogar den meisten) zölibatären Priestern zeigt. Aber es gibt noch eine viel tiefere Anfrage an den priesterlichen Zölibat und die ist durchaus theologischer Art. Wir wissen heute ziemlich genau, dass eigentlich alle Strukturen und Traditionen[8] der christlichen Kirchen geschichtlich geworden sind; auch der Priesterzölibat ist keine göttliche Stiftungsqualität und kann dem Verfall unterliegen. Deshalb stellt sich wohl für die Katholische Kirche die bitterernste Frage, ob sie in die Qualität einer Sekte abgleiten will. Aber denkbar und zu erhoffen ist die positive Variante, dass mit der Amazonensynode eine Tür geöffnet wurde, um auch die Katholische Kirche aus der „Gefangenschaft des Zwangszölibates“ in die neue Zeit herauszuführen.
12. November 2019
[1] Die Amazonensynode hat gezeigt, dass die Situation der Katholischen Kirche in den „doch katholischen“ Ländern Südamerikas noch viel desaströser ist.
[2] Die Anklage gegen Kardinal Bell in Australien ist das jüngste Beispiel.
[3] Das beste Beispiel ist das neue Kirchenrecht für die konvertierten anglikanischen Bischöfe und Priester,
[4] In seiner Studie „Jesus von Nazaret in seiner Zeit“ erläutert der katholische Dogmatiker Martin Ebner die durchaus denkbare Variante von den zwölf Ehepaaren. (Stuttgarter Bibelstudien Nr. 196 /2003).
[5] 1 Tim 3,2-4
[6] Domradio 10.11.2019
[7] Wie das ja auch die eheliche Beziehung fordert.
[8] Dies gilt mittlerweile auch für die männliche Exklusivität des Priesterdienstes.