Theologische Studie
von
Dieter Kittlauß
31. Oktober 2014
Überarbeitete Fassung 30.12.2014
2001 hat die britische BBC für eine Sendung über Jesus Christus ein Computerbild von ihm erstellen lassen. Gerichtsmediziner untersuchten die Schädelreste eines palästinensischen Juden aus dem 1. Jahrhundert und gaben die Maße in ein Computerprogramm ein. In einem zweiten Schritt wurde das Gesicht eines Juden analysiert, der auf einem syrischen Fresko aus dem 2. Jahrhundert abgebildet ist, und ebenfalls in das Programm eingespeist. In einem dritten Schritt wurden die Daten von semitischen Menschen gesammelt und eingearbeitet. Weil der Apostel Paulus auffallend in sehr betonter Weise lange Haare für Männer verwirft, entschieden sich die Programmierer für die Vorgabe „kurze Haare“. (>> 1 Kor. 11,14: „ Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann ein Schande, für die Frau aber eine Ehre ist, lange Haare zu tragen?“ Da Paulus zu den Urzeugen, die Jesus persönlich gekannt haben, Kontakt hatte, können wir davon ausgehen, dass er ein Bild des lebendigen Jesus hatte. Hätte Jesus lange Haare getragen, hätte Paulus ein so scharfes Verwerfungsurteil für lange Haare bei Männern ausgesprochen.) Das Programm formte aus den Daten das hier gezeigte Bild. Ob dieses Computerbild den historischen Jesus aus Nazareth wiedergibt, wird sich nie beweisen lassen. Aber vielleicht wird uns beim Betrachten dieser Computeranimation bewusst, das Jesus ein Mensch war – wie du und ich; auch dass er ein Mann war, mit Bart, Penis und Hoden. Aber wir werden vielleicht auch angeregt, darüber nachzudenken, ob und was dieser Jesus, der vor gut 2000 Jahren und noch dazu in einer ganz anderen Kultur lebte, für uns heute bedeutet? Ich möchte hier mit dieser kleinen Studie mein gegenwärtiges Jesusbild vorstellen. Ohne Anspruch auf Rechthaberei oder amtsmäßige Besserwisserei. Sechs Antworten habe ich gefunden.
Inhalt
Wahrer Mensch – Rückbau von Vergöttlichung und Glorifizierung.
Licht der Welt- Geschenk der jüdischen Mystik an die Völker.
Worte des Lebens – Es geht um ein gelungenes Leben.
Lebensbrot – Es geht um ein solidarisches Leben.
Der getreue Zeuge – der neue Anfang von Gottes Schöpfung.
Auferstehung – Die Botschaft vom Weitergehen.
Der strahlende Morgenstern – Zur Exklusivität Jesu Christi .
Christusbild der frühen Kirche. Römische Katakomben.
Wahrer Mensch. Rückbau von Vergöttlichung und Glorifizierung.
Die Jesusbewegung verbreitete sich zunächst im jüdischen Land. Im Markusevangelium werden die Frauen nach Galliläa geschickt, wo Petrus bereits sei. In der Apostelgeschichte erzählt der Evangelist Lukas , wie in Jerusalem eine Jesusbewegung entstand, wie die Jerusalemer Gemeinde den Petrus nach Samarien schickte und wie der „Neue Weg“ rasch in den hellenistischen Städten Fuß fasste.
Nach der Eroberung Jerusalems bildeten sich in der jüdischen Diaspora viele, wenn auch oft kleine christliche Gemeinden. Der heutigen Forschung bietet sich ein buntes Bild der frühen christlichen Kirche. Die ersten Gemeinden in Jerusalem, Galiläa und Samarien verstehen sich in der Nachfolge des Propheten und Messias Joshua. Es geht um die Erneuerung des Jüdischen Volkes und die Sammlung der Heidenvölker. In den hellenistischen Städten kommt die Sehnsucht nach Erlösung dazu. Paulus wird in diese Jesustradition eingeführt und entwickelt um die Person Jesu ein ganzes theologisches System für die erwartete Vollendung der irdischen Welt. Die Jesus-Gemeinden in der jüdischen Diaspora stehen in der ständigen Konkurrenz mit den jüdischen Alt-Gemeinden, die sich nach der Zerstörung Jerusalem ganz auf die Thora und die hebräische Sprache konzentrieren. Aber auch die Auseinandersetzung mit der neupaltonischen Philosophie, den vielen hellenistischen Mysterienkulten und der gnostischen „Pfingstbewegung“ verlangt von der jungen christlichen Kirche ständige Reflexion und Anpassung. Es war auch die Zeit der großen Völkerwanderungen, als das Römische Reich oft bis auf seine Grundfesten erschüttert wurde und schließlich daran zugrunde ging.
Unser heutiger christlicher Glaube ruht auf den Schultern dieser damaligen Generationen der Jesusjünger. Die Schriften des neuen Testamentes zeugen von deren Glauben. Jesus von Nazareth war für sie Vorbild, Retter und wie ein Leuchtturm in stürmischer See. Die christlichen Gemeinschaften wurden eine Art Notgemeinschaft, um in dieser sündigen und gefährlichen Welt zu überleben. Der Glaube an ein ewiges Leben wurde der große Rettungsschirm und die Erlösungslehre erklärte die Weltgeschichte. Im vierten Jahrhundert wurde die christliche Kirche sogar zur Rettung des Reiches. In diesem Prozess der ersten Jahrhunderte wurde Jesus immer wichtiger, immer größer, immer bedeutsamer, bis er schließlich göttliche Züge hatte.
Aus der Politik – aber genauso in allen anderen Bereichen, also im Sport, in der Mode und auch in den Religionen – kennen wir das Phänomen der Glorifizierung. Einzelne Personen, Gruppen, Völker, Ideologien und Bilder werden in ihrer Bedeutung bis ins Maßlose gesteigert. Als die Evangelisten zur Abfassung ihrer Leben-Jesu-Geschichten mündliche und schriftliche Überlieferungen (Worte, Taten, Geschichten) über Jesus von Nazareth sammelten, stießen sie bereits auf ganz unterschiedliche Erinnerungen und Einschätzungen Jesu. Für die Generation der Jünger und Jüngerinnen, die mit Jesus durch die Dörfer zog oder ihn zu sich als Gast holte, die von ihm fasziniert war und alle ihre Hoffnung auf ihn setzten, war dieser Jesus ein Mensch von Fleisch und Blut. „Er (> Jesus aus Nazareth) war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohen Priester und Führer haben ihn zum Tod verurteilt und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde“ (Lk. 24, 19f), lässt der Evangelist Lukas seine Emmausjünger beklagen. Für Paulus wurde Jesus „geboren von einer Frau“ (Gal. 4,4) und Markus lässt am Ende seiner Jesus-Geschichte den römischen Zenturio rufen:“ Wahrhaftig, dieser Mensch war ein Gottessohn“( Mk. 15,39). Die Apostelgeneration zog durch die jüdischen Lande und zum Teil auch durch die jüdische Diaspora und war davon überzeugt, dass sich in Jesus die alten Prophezeiungen erfüllt hatten. Denn die biblischen Überlieferungen vom Logos und von der Weisheit, vom Himmel mit seinen Engeln und von der Gegenwart Gottes in der Wolke, die Visionen der Propheten von der Vollendung der Schöpfung und der Sammlung der Gerechten, vor allem aber auch die Lieder vom Gottesknecht in den Schriften des Jesaja (Jes. 42, 1-9; 49, 1-9; 53,1-72) ließen sich wie eine Hinführung auf diesen Jesus verstehen.
Der jüdische Wanderprediger Joshua aus Nazareth, der für seine Visionen und Lehren als Märtyrer gestorben war, wird Schritt um Schritt glorifiziert. Im 5. Jahrhundert hat schließlich das hellenistische Denken mit der Vergöttlichung Jesu den christlichen Glauben geformt. Dieser spätantik-geformte Christusglauben wird auch auf andere Themen übertragen (Gottesmutter, Heilige, Kirche, Sakramente, Hierarchie) und spekulativ von der Theologie weiter entwickelt.
Heute gibt es keinen Zweifel, dass das Christentum den in den vorigen Jahrhunderten (in der Aufklärung) begonnenen Weg einer kritischen Sicht des „Väter- und Mütterglaubens“ weiter gehen muss. Vom jüdischen Theologen David Flusser stammt die Formulierung: „Das Christentum – eine jüdische Religion“ . Wir stehen vor der Aufgabe, hinter der in Jahrhunderten gewachsenen Glaubensgestalt des „mit Gott-Vater wesensgleichen, gezeugten und nicht geschaffenen Christus“ den Menschen Jesus von Nazareth als Menschen des spätantiken Judentums zu begreifen. Wie bei der Rekonstruktion eines Verkehrsunfalles müssen wir versuchen, dem lebendigen Jesus von Nazareth näher zu kommen, damit seine Bedeutung wieder verstanden wird und – was nicht weniger wichtiger ist – die Weitergabe unserer christlichen Tradition an die nächsten Generationen nicht scheitert.
Computerbild des zwölfjährigen Jesus.
Licht der Welt. Geschenk der jüdischen Mystik an die Völker.
Im Gegensatz zu den Glaubensbekenntnissen der frühen Christenheit stoßen wir beim Vater Unser auf die jüdische Frömmigkeit Jesu. Weil das Vater Unser bei Matthäus und Lukas in unterschiedlichen Fassungen überliefert wird, können wir davon ausgehen, dass es sich um Elemente der jüdischen Gebetstradition handelte, die im Jüngerkreis eine Rolle spielten und nach dem Tode Jesu bewahrt und weiter tradiert wurden. (>>Wäre das Vater Unser in seiner von der Kirche bis heute gebrauchten Form ein ursprüngliches Gebet Jesu gewesen, wäre es mit Sicherheit auch so überliefert worden. Auch ist auffallend, das bei Markus, dem ältesten Evangelisten, das Vater Unser fehlt.)
Das Vater Unser in der synoptischen Überlieferung:
Matthäus 6,7-15
Wenn ihr aber betet, so plappert nicht wie die Heiden; sie meinen nämlich, sie würden erhört werden, wenn sie viele Worte machen. Macht es also nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, ehe ihr ihn bittet.
Und so sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, es komme dein Reich, es geschehe dein Wille wie im Himmel so auf Erden. Unser Brot für den kommenden Tag gib uns heute, und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern erlassen haben, und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen. Wenn ihr nämlich den Menschen ihre Verfehlungen vorgebt, so wird auch euch euer himmlischer Vater vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird auch euer Vater eure Verfehlungen nicht vergeben.
Markus 11,25ff
Und wenn ihr dasteht und betet, Vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Übertretungen vergebe. Wenn ihr aber nicht vergebt, dann wird auch euer Vater im Himmel euch eure Übertretungen nicht vergeben.
LUKAS 11,2-4
Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name, es komme dein Reich, unser Brot für den kommenden Tag gib uns täglich, und vergib uns unsere Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der unser Schuldner ist und führe uns nicht Versuchung.
Beim Evangelien Lukas ist deutlich zu sehen, wie er Anpassungen an die moderne hellenistische Welt vornimmt. Das hellenistische Denken konnte sich einen wie ein Handwerker schaffenden Schöpfer nur schlecht vorstellen und musste deshalb dem unbewegten Beweger der griechischen Philosophie einen Schöpfergott (Logos, Weisheit, Sohn, Ruach) beiseite stellen. Auch passte die Botschaft von der Erlösung nicht zu der stoischen Ethik des selbstverantwortlichen Menschen. Deshalb verkürzt und verändert Lukas den überlieferten Text. Aber das Vater – Unser ist so jüdisch, dass es auch heute jüdische Menschen mit beten können. Jesus betet zum Gott Israels (Mt15,31), zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Mk.12,26) Nach dem Evangelisten Markus nennt er auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot das Sch`ma, das jeder fromme Jude dreimal am Tag zu beten hatte (Mk.12,29.32; Dn. 6,4). David Flusser machte darauf aufmerksam, dass es zwischen der aramäischen Urfassung des Kaddisch und dem Vater Unser des Matthäusevangeliums erstaunliche Ähnlichkeiten gibt: Das Kaddisch nennt unseren Vater im Himmel; ruft dazu auf, Seinen großen Namen zu heiligen; Sein Reich erstehe; reicher Frieden komme vom Himmel und Leben über Israel; denn G`tt stiftet in seinen Höhen, er möge Frieden stiften über ganz Israel. Die Schriften des Neuen Testaments bezeugen , dass Jesus als Prophet angesehen wurde (Lk. 24,19), als Messias (Joh.1,41), als Gottessohn (Mk.1,1), als Heiliger und Gerechter (Apg.3,14), als Arzt und Heiler (Mt.14,14 ). In unsere Sprache übersetzt, können wir diesen Jesus aus Nazareth als jüdischen Mystiker verstehen. Er lebte ganz in dem Glauben seines Volkes und muss eine tiefe, mystische Gotteserfahrung in seinem Herzen gehabt haben. Er war überzeugt, dass sein Volk eine Mission für die ganze (damals bekannte) Welt habe. Er sah – ähnlich wie später Gandhi oder heute der Dalai Lama – in der inneren Erneuerung des Menschen die einzige Rettung aus der Unheilsgeschichte der Menschheit und lehrte das jüdische Ethos von Liebe, Nächsten- und Feindesliebe.
Dies ist der Boden, auf dem sich auch heute christlicher Glaube aktualisieren kann. Zu dieser Rückbesinnung auf die jüdische Botschaft Jesu gehört auch der Verzicht, Gott einen Namen zu geben oder von ihm ein Bild zu malen. Der Apostel Paulus als jüdischer Theologe wusste noch um die Unaussprechlichkeit Gottes. Wir Christen haben vergessen, dass Gott das Mysterium dieser Welt ist. Wir haben nicht nur den Gottessohn Jesus vergöttlicht sondern auch den Ewigen G`tt vermenschlicht. Deshalb ist es kein Zufall, dass wir uns heute wieder an die großen Mystiker erinnern, die Gott im Herzen gesucht und gefunden haben. Aber auch die christliche Theologie hat sich wieder auf die Suche nach dem Gott in der Tiefe und in der Höhe gemacht , versucht Gott als Mitte des Kosmos zu verstehen , erinnert sich an Giordano Bruno, Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn, Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant und vor allem auch an Johann Wolfgang von Goethe und sucht die Nähe zu den muslimischen Mystikern und zu großen Religionen Asiens.
Tanzende Gruppe. Urheberrechte nicht gefunden.
Worte des Lebens- es geht um ein gelungenes Leben.
Das Johannesevangelium unterscheidet sich sehr von den drei synoptischen Evangelien durch seinen poetisch-meditativen–theologischen Stil. Aber an bestimmten Stellen fügt der Evangelist Überlieferungen ein, die bis ins Detail historischer Rückblick sind. Dazu gehört die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. „Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt, und die Mutter Jesu war auch dabei.“ (Joh. 2,1) Der Evangelist nennt am Anfang (also hier) und am Ende seines Evangeliums (in der Kreuzesgeschichte) ausdrücklich die Mutter Jesu, verwendet aber nie in seinem Evangelium den Namen Maria. Ganz im Unterschied zu Maria von Magdala bleibt die Mutter Jesu namenlos. Aber sie hat für den Evangelisten offensichtlich eine große Bedeutung, denn In der Kanageschichte wird sie als erste Jüngerin Jesu beschrieben, deren Vertrauen auf ihren Sohn unerschütterlich ist. Ebenfalls bedeutsam ist der Hintergrund der Geschichte. Jesus hat bereits wie ein Prophet eine Gruppe von Menschen um sich geschart und nach dem Evangelisten ist der erste Auftritt in der Öffentlichkeit eine Hochzeit. Man muss sich eine Hochzeit von Russlanddeutschen vorstellen, die über mehrere Tage oder sogar eine ganz Woche gehen kann. Es wird tagelang gegessen, viel getrunken, gefeiert und (vor allem) geredet und gesungen. Der Evangelist spricht mit dieser Schilderung eine Metapher aus: Es geht Jesus um das Leben. Wir Christen haben es uns angewöhnt, immer sehr schnell vom Ewigen Leben zu reden. Alles, was an Schrecklichem in unserer Welt passiert, wird oft damit zugedeckt und weggetröstet. Selbst bei Beerdigungen wird oft die Trauer mit dem Auferstehungsglauben „weggepredigt“. Aber nach dem Evangelisten Johannes geht es Jesus um das Leben, und zwar um ein gelungenes Leben. Dieser Jesus aus Nazareth hat Worte des Lebens, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh. 14,6). Leider hat die Jesusbewegung sehr frühzeitig diese Bedeutung Jesus verdrängt. Die ägyptischen Eremiten mit ihrer menschenfeindlichen Aszese wurden die neuen Propheten. Die Märtyrer wurden zu den bestimmenden Leitbildern und je größer ihre Qualen, um so lauter wird das Halleluja. Die Ehelosigkeit der Witwen und jungen Frauen wird zum Sauerteig der Christenheit. Die Ehelosigkeit der höheren römischen Offiziere wird zum Leitbild für den sich bildenden Klerus. Im Widerstand gegen die enthemmte Sexualmoral wird das frauenfeindliche Menschenbild der Spätantike übernommen. Dahinter stand die Auseinandersetzung mit den gnostischen und manichäischen Bewegungen, die sich als neue Erlösungslehren anboten. Weil diese Entwicklung fortscheitet, wird folgerichtig im zweiten Jahrtausend das Kruzifix (Leidenskreuz) zum zentralen Bild in Kirchen, Schulen, Krankenhäusern und Familien. Heute versuchen wir, zu dem lebendigen Menschen Jesus zurückzufinden . Mit großer innerer Freiheit nahm er Einladungen zu Feiern und Festen an. Wir wissen nicht, ob dieser Jesus von Nazareth geheiratet hat, aber jedenfalls hatte er eine normale Beziehung zu Frauen. Und dass er in seiner Gruppe Frauen und Männer hatte, spricht für einen starken Menschen, der sich auch von gesellschaftlichen Tabus absetzen konnte. Es dürfte kein Zufall sein, dass Maria von Magdala in den Evangelien deutliche Spuren hinterlassen hat, auch wenn dies offensichtlich bereits für die Evangelisten peinlich war. Es gibt Hinweise, dass Maria Magdalena in den gnostischen Evangelien als „Gefährtin des Herrn“ und als „Mutter der Apostel“ verehrt wurde und dass diese Verehrung in der frühen Kirche lange Zeit lebendig war. Wenn wir dem Evangelisten Johannes folgen, müssen wir uns auch die Menschen um Jesus als lebensstarke Gemeinschaft vorstellen. Dieser jüdische Prophet Jesus von Nazareth und die von ihm angestoßene Bewegung hat die Welt des Römischen Reiches verändert. Weil die hellenistische Götterwelt an Bedeutung verloren hatte, war ein Vakuum entstanden. Für die Gebildeten – also die Sprach- und Schreibkundigen – boten sich die philosophischen Weisheitslehren an. Die einfachen Menschen ließen sich von einem der zahlreichen Geheimkulte anziehen. Die Jesusbewegung aber brachte den jüdischen Glauben an den guten Gott in die damalige Welt, der jedem Menschen Würde und Wert gibt, der die soziale Verantwortung für den Nächsten zum Maßstab des Ethos macht und das unerbittliche Gesetz der Blutrache, der Krankenaussetzung und der Kindstötung durchbrach. In der Apostelgeschichte hat Lukas verschiedene Petrusreden komponiert. Bei der Rede im Tempel lässt er Petrus sprechen: „ Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und die Freilassung eines Mörders gefordert. Den Urheber des Lebens habt ihr getötet…“. (Apg. 3,14f). Für die Sinngebung unseres Lebens schauen wir Christen auf den Gottessohn aus Nazareth. Die Botschaft Jesu ist die Aufforderung zu einem gelungenen Leben – verbunden mit dem Vertrauen, dass uns auch Sterben und Tod nicht trennen können von der Liebe Gottes.
Professor Hasenhüttl beim Ökumenischen Kirchentag Berlin. Es gehört noch heute zu den Schreckensgeschichten der Katholischen Kirche, wie sich damals Reinhard Marx als Bischof von Trier gebärdete, und alle seine Macht einsetzte, um den bescheidenen Professor fertig zu machen. Auf meiner Webseite www.bendorfer-lehrhaus.de habe ich in dem Beitrag „ Der Schoß ist fruchtbar – Kleine Dokumentation zum Konflikt mit Gotthold Hasenhüttl“ den ganzen Verlauf der Auseinandersetzungdargestellt.
Lebensbrot. Es geht um ein solidarisches Leben.
Ende der fünfziger Jahre habe ich bei einem Seminar mit Prof. Hubertus Halbfas zum ersten Mal verstanden, wie man die Geschichten der Bibel richtig liest. Selbst wenn sie einen geschichtlichen Kern haben, sind sie nicht als historische Berichte zu verstehen, sondern als Poesie und Metapher. Nehmen wir als Beispiel die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung, die wir bei allen vier Evangelisten finden . (>> Mk. 6,32-44; Mt. 14,13-21;Lk. 9,10b-17; Joh. 6,1-15 ) Für jüdische Ohren hatte diese Geschichte, einen ganz tiefen Hintergrund. Dazu gehörte das Manna in der Wüste, mit dem das Volk Israel gerettet wurde. Aber auch die letzte Nacht in Ägypten mit dem ungesäuerten Brot und dem Opferlamm. Die Geschichte vom Propheten Elias, dem in seiner Todesangst ein Engel Brot brachte. Am meisten aber war es wohl die Geschichte vom Propheten Elischa, an die erinnert wird.
„Einmal kam ein Mann von Baal-Schlischa und brachte dem Gottesmann Brot von Erstlingsfrüchten, zwanzig Gerstenbrote, und frische Körner in einem Beute. Elischa befahl seinem Diener: Gib es den Leuten zu essen! Doch dieser sagte: Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen? Elischa aber sagte: Gib es den Leuten zu essen! – denn so spricht der Herr; Nab wird essen und noch übrig lassen. Nun setzte er es ihnen vor; und sie aßen und ließen noch übrig, wie der Herr gesagt hatte.“ (2 Könige 4,42-44). Man braucht nicht lange nachdenken, um zu verstehen, dass mit der neutestamentlichen Geschichte von der Brotvermehrung, eine christologische Aussage gemeint ist. Wie in der Wüste und beim Propheten Elias, wird in der Nähe Jesu Gottes Schechina (> Schatten) erfahrbar. Wie beim Propheten Elischa kann man auch bei Jesus Gott erfahren. Für uns heute ist vielleicht die ebenfalls dahinterliegende Metapher am bedeutendsten: „Nur durch Teilen wird das Leben reicher.“ Das oben gewählte Bild zeigt Professor Hasenhüttl beim Ökumenischen Kirchentag in der Berliner Gethsemane-Kirche. In dieser symbolischen Handlung wurde die Lebensregel Jesu gegenwärtig: „Kommt und esst und trinkt; kommt und teilt untereinander“ . Jesus kann nicht das Grundgesetz der Schöpfung vom „Fressen und Gefressen–Werden“ aufheben, aber er weist uns Menschen darauf hin, dass wir durch die uns verliehene Freiheit dieses unerbittliche Gesetz durchbrechen können. Wenn wir solidarisch leben, sind wir – nach einer jüdischen Metapher – Werkzeuge Gottes in seiner Schöpfung. Solidarisch leben heißt: Sich um Hungernde, Kranke, Trauernde und Gefangene sorgen. Die Jesusjünger verstanden sich zum solidarischen Leben berufen. Dies ist der Hintergrund für das Idealbild von der Jerusalemer Gemeinde, das Lukas in seiner Apostelgeschichte zeichnet. Auch der synoptische Bericht vom letzten Abendmahl ist als symbolische Aufforderung zum solidarischen Miteinander zu deuten. Die Geschichte von der Fußwaschung, die der Evangelist Johannes an die Stelle der Abendmahlsgeschichte setzt, ist gewissermaßen der Schlüssel für diese. Aber in der Jesusbewegung hat sich offensichtlich schon sehr frühzeitig eine Umdeutung durchgesetzt. In Anlehnung an die kultischen Feiern der hellenistischen Mysterienreligionen, wird die Abendmahlsgeschichte zur Opferfeier. Mit der zunehmenden Klerikalisierung der christlichen Kirche verbindet sich die Opfertradition mit einer Renaissance des heidnischen Priesterkultes und wird zum Instrument klerikaler Selbstdarstellung. Noch heute tritt bei jedem Pontifikalamt jeder Bischof wie ein römischer Kaiser auf. Mit Kreuz und Kerzen, erhöht durch die Mitra, geschmückt mit Ring und Stab als den Insignien seiner Macht, zieht er segnend in die Kirche.
Die jüdischen Rabbiner haben auf die Frage nach der Ursache des Bösen eine dreifache Antwort gegeben: Die Gier nach Macht, die Gier nach Besitz und die Gier nach Sex sind die drei Ursachen des Bösen. (>> Peter Schäfer, die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums, Mohr Siebeck Verlag Tübingen, 2010. ) Jesus von Nazareth hat uns mit seinem Aufruf zum solidarischen Leben ein anderes Lebensethos hinterlassen und so können wir durchaus sagen, dass dieser Gottesmann, der vor 2000 Jahren mit seiner Jüngergruppe über die staubigen Straßen Galiläas zog, „auch heute mitten unter bei uns ist.“
Besondere Bedeutung bekam diese Darstellung des hl. Sebastian außerdem durch die deutlich sexuelle Haltung. Jcobo deutet an, wie das Lendentuch durch den etwas eregierten Penis gehalten wird. In der Neuzeit hat deshalb die homophile Bewegung den hl. Sebastian zur Leitfigur ausgewählt.
Der getreue Zeuge – der neue Anfang von Gottes Schöpfung
Die frühe Jesusbewegung musste sich von Anfang an mit zwei Vorgaben auseinandersetzen. Einmal war es die allgemeine Vorstellung, dass der Messias auf wunderbare Weise in unsere Welt treten wird , zum anderen war es der Vers 25, 23b des Deuteronomiums: „denn ein Gehängter ist ein von Gott Verfluchter.“ Eine Lösung bot das Jesaja-Buch, in dem die Gottesknecht-Lieder auf Jesus übertragen wurden. Jesus von Nazareth ist der von Gott Erwählte (Jes. 42,1); er wurde im Mutterleib berufen (Jes. 49,1); Ich mache dich zum Licht für die Völker (Jes. 6b); er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt (Jes. 53, 5); „durch Haft und Gericht wurde er dahin gerafft, doch wen kümmerte sein Geschick. Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen“(Jes. 53 ,8); „Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht, er lädt ihre Schuld auf sich“(Jes.53.11b). Dieser Jesajastext wurde das Drehbuch für Jesus den Christus – das Lamm Gottes, das für uns geschlachtet wurde. (Apk. 5).
Seit 2000 Jahren ist Jesus Christus für unzählige Menschen der Zeuge für Gottes liebende Zuwendung zu uns Menschen geworden. Er wurde zu der neuen Feuersäule für die Treue Gottes, er wurde zum Weg durch die Wüste dieses Lebens, zum Manna in Zeiten der Not, zum Wegbegleiter und Freund. Es lohnt sich an dieser Stelle den wunderschönen Text von Angelus Silesius (1657) zu meditieren: „Ich will dich lieben meine Stärke“ und zwar alle sieben Strophen, um etwas zu ahnen von der Kraft dieses Glaubens. Wir Christen des 21. Jahrhunderts stehen vor der Frage, was dieser Glaube der frühen Kirche für uns heute bedeutet? Immerhin steht Jesus Christus auch für die feindselige Trennung der beiden jüdischen Erben, des Rabbinischen Judentums und der christlichen Kirche.
Einen Schlüssel bietet uns ein kurzer Satz aus der Apokalypse, wo vom “getreue(n) und zuverlässige(n) Zeugen“ (Apk. 3,14) gesprochen wird. Neben Stephanus war der hl. Sebastian einer der Urzeugen der frühen Kirche. In der Renaissance schuf der venezianische Künstler Jacobo de Barbari (1480- 1510) einen Sebastian ohne Pfeile und damit ohne Schmerzen , um die Zeugenschaft besonders zu betonen. In Yad Vashem wird in der Allee der Gerechten für Jeden, der Juden aus der Schoa gerettet hat, ein Baum gepflanzt. Heute können wir als Deutsche mit erhobenem Haupte leben, weil es auch im faschistischen Deutschland Zeugen der Menschlichkeit gegeben hat. Einer von ihnen war Dietrich Bonhoeffer. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Jahre 1933 übernahm der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer die Betreuung der deutschen evangelischen Gemeinde in London – Sydenham. Doch er hielt es in England nicht aus, während in Deutschland die faschistische Barbarei wie ein Krebsgeschwür wuchs. So kehrte er nach zwei Jahren nach Deutschland zurück und übernahm die Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche, obwohl er auf der schwarzen Liste der Gestapo stand. Nach dem Entzug der Lehrerlaubnis für Hochschulen konnte Bonhoeffer nur noch im Untergrund lehren und musste jeden Tag seine Verhaftung befürchten. Deshalb nahm er 1939 die Einladung zu einer Vortragsreise in die USA an. Seine Freunde rieten ihm, in den USA zu bleiben. Dennoch kommt Bonhoeffer nach Deutschland zurück, um „im Angesicht des Todes“ seine Schwestern und Brüder nicht im Stich zu lassen. Vor seiner Hinrichtung schrieb er den wunderbaren Text „Von guten Mächten wunderbar geborgen“.
Diese Menschen, die ihre Leben einsetzten für andere Menschen, sind die Zeugen, dass es trotz aller Barbarei immer auch ein anderes Deutschland gegeben hat und dass nicht das Böse sondern das Gute die Zukunft bestimmt. Wenn wir Jesus mit diesem Schlüssel betrachten, können wir einen ganz neuen Zugang zu seinem Leben und Sterben gewinnen. Die Deutung des Neuen Testamentes „für uns gestorben“ kann die Signalwirkung deutlich machen, die das Leben und Sterben Jesu hatte. Sein Sterben ist die Konsequenz seines Lebens, seines Vertrauen auf den jüdischen Schöpfergott, den er Vater nannte. Wenn Paulus von einem „neuen Adam“ sprach, dann meint diese frühjüdische theologische Sprache, dass in Jesus – und nicht nur in ihm, werden wir heute sagen – zeichenhaft deutlich wird, dass die Schöpfung nicht verloren ist. Deshalb spricht das Evangelium von der Stadt auf dem Berge, vom Licht auf dem Leuchter und vom Salz der Erde. Immer ist das Normative des Lebens und Sterbens dieses Jesus gemeint. Dies ist gemeint mit dem Satz, er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben. Sein Vertrauen auf unsere Geborgenheit in Gott, obwohl wir den zerstörerischen Wachstumskräften der Evolution ausgesetzt sind, ist wie der Regenbogen des vorzeitlichen Noe.
Auferstehung – die Botschaft vom Weitergehen.
Wir haben zu Jesus nur Zugang über die schriftliche Überlieferung des Neuen Testamentes. Der lebendige Jesus ist wie jeder von uns durch den Tod gegangen und unseren Erfahrungen nicht mehr zugänglich. Aber durch die vier erhaltenen Evangelien, die im Glaubensfeld unterschiedlicher Gemeinden gewachsen sind und von der frühen Kirche als kanonisch – normative Zeugnisse bewahrt wurden, haben wir zu dem Vermächtnis Jesu hinreichenden Zugang. Die Lebensworte, Verhaltensregeln, Geschichten und Gleichnisse der Evangelien sind nicht zufällig in das kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingegangen. Weil aber diese Tradition nicht nur aus einer anderen Zeit (2000 Jahre zurück) stammen, sondern auch ein anderes Welt-, Menschen- und Gottesbild überliefern, bedarf es immer der Applikation und Übersetzung. Eine zentrale Aufgabe ist die Auseinandersetzung mit der Botschaft von der Auferstehung. „Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Dafür sind wir Zeugen“, lässt Lukas den Petrus auf dem Tempelplatz zu den Versammelten zurufen und begründet damit die Aufforderung, Jesus als Messias anzuerkennen. Dass es nicht nur um die Auferstehung Christi handelt, sondern dadurch ein Prozess ausgelöst wird, der alle an Christus Glaubenden und schließlich auch die ganze Welt erfasst, stellt Paulus sehr ausführlich in einem theologischen Modell im 1. Korintherbrief dar. Aber es darf nicht übersehen werden, dass Paulus in den Kategorien des antiken Weltbildes denkt und lebt. Im 1. Thessalonicherbrief gibt Paulus auf die Frage, was aus den bereits Verstorbenen werden wird, eine sehr präzise Antwort: „ Brüder, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen. Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraus haben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen, dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein.“ Wer diesen Text vorurteilsfrei liest, wird kaum sagen können, dass Paulus hier die mythologische Sprache lediglich als Stilmittel nimmt. Der frühchristliche Auferstehungsglaube, den Paulus übernommen und theologisch entwickelt hat, ist untrennbar mit dem antiken Weltbild verbunden. Die Frage nach der Entschlüsselung des biblischen Auferstehungsglaubens, stellt sich mehr denn je.
Drei Schlüssel bieten sich uns an. An erster Stelle steht die traditionelle christliche Erlösungslehre. Danach ist die Sünde von Anfang an im Herzen des Menschen und hat den Tod und eine leidvolle Existenz zur Folge. Doch Jesus Christus hat die ganze Menschheit durch seinen Gehorsamstod am Kreuz erlöst. Das Blut des gekreuzigten Gottmenschen hat Gott versöhnt und uns rein gewaschen. In den Liedern der Kar- und Osterwoche wird dies besungen. Das Christentum hat ein umfangreiches dogmatisches System entwickelt, wozu auch die Funktion der Kirche als Heilsmittlerin und die Aufspaltung der Wirklichkeit in Diesseits und Jenseits gehört. Bei genauerem Hinschauen des traditionellen Glaubens zeigt sich ein Gemenge von ganz unterschiedlichen Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele bis zur Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag. Hinter dem individuellen Schicksal von Ewigem Leben oder Ewiger Verdammnis steht die Gemeinschaft der jeweiligen Schicksalsgruppe, die Gemeinschaft der Heiligen oder die auf ewig Verdammten, wobei die christliche Kirche immer offen gelassen hat, ob die Hölle voll oder leer ist. Diese traditionelle Deutung erscheint heutzutage vielen Menschen nicht mehr zugänglich.
Ein zweites Deutungsmuster bietet die altjüdische Theologie. Danach gehört der Tod zum Leben. Alle Menschen müssen sterben. Grab oder Verbrennung sind irgendwann unser aller Schicksal. Sterben und Tod haben wir mit der ganzen Natur gemeinsam. Pflanzen, Tiere und Menschen sind alle sterblich – wie das Gras, das heute blüht und morgen verwelkt. Dahinter aber steht der Gottesglaube. Der gläubige Mensch weiß sich in Gott geborgen. „Seinen Engeln hat er befohlen, uns zu behüten auf allen unseren Wegen; auf ihren Händen sollen sie uns tragen, auf dass der Fuß nicht stoße an einem Stein.“ (Psalm 91). Bei Svi Kolitz findet sich diese Geschichte: „ Mein Rabbi pflegte mir immer wieder die Geschichte von einem Juden zu erzählen, der mit Frau und Kind der spanischen Inquisition entkommen war und sich auf einem kleinen Boot über stürmische See zu einer steinigen Insel durchgeschlagen hatte. Da zuckte ein Blitz und erschlug die Frau. Da kam ein Sturmwind auf und wirbelte sein Kind ins Meer. Allein, elend, hinausgeworfen wie ein Stein, nackt und barfuß, vom Sturm gepeitscht, von Donnern und Blitzen geschreckt, die Haare zerzaust und die Hände zu Gott erhoben, ist der Jude seinen Weg weitergegangen auf die wüste Felseninsel und hat sich so an Gott gewandt: „Gott Israels“, sagte er, „ich bin hierher geflohen, dass ich Dir ungestört dienen kann; um Deine Gebote zu tun und Deinen Namen zu heiligen. Du aber tust alles, dass ich an Dich nicht glauben soll. Wenn Du aber meinen solltest, dass es Dir gelingen wird, mich mit diesen Versuchungen vom richtigen Weg abzubringen, ruf ich zu Dir, mein Gott und Gott meiner Eltern, dass es Dir alles nicht helfen wird. Magst Du mich auch beleidigen, magst Du mich auch züchtigen, magst Du mir auch wegnehmen das Teuerste und Beste, das ich habe auf der Welt und mich zu Tode peinigen – ich werde immer an Dich glauben. Ich werde dich immer lieb haben, immer – Dir selbst zum Trotz.“
Einen dritten Schlüssel bietet das pantheistische Denken. Gott ist hier eine Chiffre für das Ganze (Leben, Natur, Erde, Kosmos u.ä.), zu dem auch wir Menschen gehören. Sterben bedeutet Ende der individuellen Existenz und Tod die Rückkehr in das Ganze. Nicht das Leben sondern die individuelle Erscheinungsform des Lebens ist zeitlich begrenzt. Die meisten Humanisten wie die Naturwissenschaftler dachten pantheistisch. Aber auch die fernöstlichen Religionen sind Varianten des Pantheismus, die die Rückkehr in das Ganze in die Rückkehr in dieses Leben, wenn auch durchaus in anderer Form – einmünden lassen. Willigis Jäger, der große Zenmeister im Christentum spricht von der Welle, die in das Meer zurückkehrt und wieder mit diesem eins wird. Der Berliner Philosoph Volker Gerhardt nennt Gott „ein Moment dieser Welt“, das uns etwas angeht. Gott ist das Ganze dieser Welt, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Dieser pantheistische Schlüssel von der Individualtät als zeitliche Erscheinung des Ganzen versteht vielleicht der der moderne Mensch am besten; er ist geeignet, eine Synthese zwischen dem Glauben der Vorfahren und unseren heutigen Erfahrungen zu ermöglichen. Auferstehung ist dann die Botschaft vom Weitergehen der eigenen Geschichte in der Geschichte des Ganzen. Die deutsche Sprache bietet das Wort „Heimkehr“ an. In dem Film E.T. ruft das außerirdische Wesen immer wieder zwei Worte „nach Hause“. Diese Rückkehr in den Ursprung schafft auch Zugang zu der Theologie des Johannesevangeliums, das das Sterben als Weiterleben deutet. Mit dieser Deutung finden wir auch einen neuen Zugang zu Jesu Tod. Jesus nimmt alles, was ihm wichtig und heilig ist, in seinen Tod. „Vater in Deine Hände empfehle ich meinen Geist“ , sind im Lukasevangelium die letzten Worte Jesu.
Beim genauen Hinsehen gibt es zwischen dem jüdischen Schlüssel und einem pantheistischen Zugang keinen unüberbrückbaren Gegensatz, denn die Rückkehr in das Ganze ist nichts anderes als die Rückkehr zu Gott. Die frühe Kirche hat die griechische Philosophie als Sprache ihres Glaubens eingesetzt. Dazu gehörte auch, sich den einen Gott in drei Personen vorzustellen. Heute wird uns wieder bewusst, dass es sich auch hier um ein Bild für die Fülle Gottes handelt. Gott ist kein einsamer alter Mann über den Wolken, sondern das Leben in seiner Ganzheit und wir sind Teil von ihm. Wir kommen von ihm und wir gehen zu ihm. Bei Jan Josef Liefers, einem Menschen außerhalb des christlichen Glaubens, finden wir in seinem Gedenken an Josef Fuchsberger solche bewegenden Worte: „Wir glauben beide nicht an Gott oder an ein Leben nach dem Tod. Aber ganz sicher waren wir uns auch nicht. Und der Gedanke, dass du jetzt vielleicht doch euren Sohn wiedersiehst, hat etwas Wunderbares.“
Stern über Hütte. Jeder lebt für sich allein. Autorenrechter wurden nicht gefunden.
Der strahlende Morgenstern – Zur Exklusivität Jesu Christi
Schon sehr frühzeitig vollzog sich in der Jesusbewegung ein Wechsel, indem zu der Botschaft des Propheten Jesus von Nazareth die Verehrung des Gottessohnes Jesus Christus trat. Bereits in der theologischen Lehre von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit rückte der Christus so nahe an Gott, dass er zum Platzhalter Gottes werden konnte. Die Gebetsanrufung verschob sich und sein Bild zierte bald die Absiden der christlichen Kirchen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus entschied oft nicht nur über Leben und Tod sondern auch über Ewiges Leben und Ewige Verdammnis. Wichtig ist die Frage, wie wir Christen von heute mit der Exklusivität Jesu Christi umgehen? Einen ersten Schlüssel bildet unsere Bindung an eine Heimat. Jeder Mensch hat (zumindest) eine Heimat, die seine Heimat ist. Hier sind wir verwurzelt, auch wenn wir uns dadurch von unserer Umwelt deutlich unterscheiden. So ist das Christentum, das in der Person des geschichtlichen Jesus von Nazareth aus dem Frühjudentum herausgewachsen ist und sowohl seine Vielfalt wie seine Wirkkraft entfaltet hat, „für uns“ exklusiv religiöse Heimat und nicht für die anderen. Wenn wir diese Verwurzelung nicht als Machtmittel missbrauchen oder damit die anderen Menschen abwerten, ist diese Exklusivität ein Ausdruck unserer Identität. Was für mich wertvoll und wichtig ist, kann für den anderen weniger wertvoll und weniger wichtig oder sogar unwichtig sein. Aber für uns ist Jesus Christus der Kyrios, der Weg, die Wahrheit und das Leben, unser Meister, der Urheber des Lebens und der strahlende Morgenstern – auch wenn die Muslime nur Mohammed und die Juden Moses verehren. Den zweiten Schlüssel kennen wir aus der Entwicklungspsychologie. Die erste Liebe ist für das ganze Leben prägend. So sind auch religiöse Bewegungen durch ihre Anfangsphase besonders geformt. Je weiter der Abstand zu dem lebendigen Jesus von Nazareth wird, umso größer wird nicht nur der Verlust durch seinen Tod, sondern auch die Sehnsucht nach ihm. Diese Sehnsucht wird gewissermaßen der Nährboden für den christlichen Glauben. Bei den späteren Generationen, die die „Lichtgestalt Jesus aus Nazareth“ nicht mehr persönlich kennen, setzt sich dieser Prozess unvermindert fort, nur nun als spirituelle Gegenwartserfahrung und eschatologische Sehnsucht. Wahrscheinlich hat es noch viele andere Einflüsse und Entwicklungen gegeben, die den jüdischen Messiasglauben zum Glauben an Jesus Christus weiter umformten. Für uns Christen heute ist dieser Christusglaube zum Leitpfad unseres Lebens geworden. Wenn dieser Glaube zur Stimme unseres Herzens wird, wird der Meister aus Galiläa zum Meister für unser Leben. Deshalb konnte der schlesische Mystiker Angelus Silesius aus dem 17. Jahrhundert sagen: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren.“
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