Das Martinshaus im Bendorfer Wenigerbachtal

Das Martinshaus: Berliner Stil der 50er Jahre in Bendorf.

Dieter Kittlauß

In Anlehnung an das Weimarer Bauhaus und den Berliner Stil der 50er Jahre, steht das Martinshaus wie ein feststehender Block mitten im Tal. Gerade Linien, Gliederung durch die Fenster, im Erdgeschoss die Bewegungszone. Der Aufzug ist hinter dem Haus, die SAtuerkammer guckt ein wenig über das Flachdach.

Unter der Leitung von Anneliese Debray veränderte sich ab 1952 das Bendorfer Hedwig-Dransfeld-Haus in einem rasanten Tempo. Eine neue Kapelle wurde gebaut und der Waldgasthof „Sonnenhof“ durch ein Bettenhaus zu einem damals ganz modernen Müttergenesungsheim umgestaltet. Zu Müttererholung und Frauenbildung kamen als neue Ziele Berufsbildung für Mädchen vom Land und Bildungsarbeit mit Behinderten, internationale Begegnungen und ökumenische Erneuerung der christlichen Kirche. Dazu gehörte auch der Dialog mit dem Judentum und die Annäherung an den Islam.   1968 bis 1971 wurde für die breit gefächerte Bildungsarbeit ein neues Haus gebaut und zwar quer in das Tal. Der berühmte Architekt Johannes Jackel brachte so den Berliner Stil der 50er Jahre nach Bendorf: Gerade Linien, Beton, Glas und Kunsstofffassade; natürlich im Keller auch ein Schwimmbad.  Doch der Architekt war zwar berühmt, aber auch weit weg, denn er lebte und arbeitete in Westberlin, so dass die Bauleitung delegiert werden musste.  Noch gravierender waren die Finanzierungslücken, so dass der Bau ständig unterbrochen werden musste und schließlich drei Jahre dauerte. An allen Ecken musste gespart werden, was der Qualität nicht guttat, und der Trägerverein musste sich darüber hinaus hoch verschulden. Schließlich gelang die Fertigstellung   und das Haus bekam den Namen „Martinshaus“. Für die kleine Stadt am Mittelrhein wurde die Einweihung erneut zum großen Bahnhof. Dr. Bernhard Vogel, Kultusminister von Rheinland – Pfalz, hielt die Festansprache: „Konfliktgruppen zusammenführen – für Verständigung und Frieden sorgen, helfen durch Zusammenleben, durch Information, Studium, Feier, Gebet – und Aktion! – Möchten die Patrone dieses letzten Hauses, Martin von Tour, Martin de Porre, Martin Luther, Martin Luther Kind, Martin Buber uns Ermutigung bleiben – und Gottes Segen erbitten.“ [1]  Auf einem Stein vor dem Haus wurde in 17 Sprachen das Wort „Frieden“ gemeißelt. Aber wie in der realen Welt dieses „Suchet den Frieden, jaget ihm nach“ nicht immer nur Glück bringt, so ging es auch dem Hedwig – Dransfeld – Haus. Der Gegensatz von Wünschen und finanziellen Möglichkeiten wurde schließlich explosiv und begleitet von heftigen Konflikten verzichtete Anneliese Debray 1981 auf die Leitung. Erst als Notlösung, dann aber auf Dauer führt der katholische Theologe Dieter Kittlauß das HDH nun in eine neue Epoche. Die Aufgaben waren gewaltig, finanziell und organisatorisch, auch weil sich viele wichtige Mitarbeiter absetzten. Unter gewaltiger Anstrengung und mit Hilfe des Bistums Trier wurde die Krisensituation gemeistert und die Bausubstanz erneuert. Letzte Aufgabe war das inzwischen marode Martinshaus, das nach knapp 20 Jahren zum Sorgenkind geworden war. Die Heizung fiel oft aus, das Wasser tropfte durch das Flachdach, durch die nicht schließenden Fenster war die Beheizung nicht mehr bezahlbar. Ungenügend und gegen die gesetzlichen Vorschriften waren die sanitären Ausstattungen. Dann war noch das Fehlen eines großen Tagungsraumes die Quelle des ständigen Ärgernisses. Da aus Kostengründen ein hinreichender Tagungsraum nicht gebaut werden konnte, musste die Gymnastikhalle, die zur Müttergenesung gehörte, oft zugunsten von Bildungsveranstaltungen „fremdbelegt“ werden. Deshalb brauchte es dringend neben der Sanierung einen Tagungsraum. Aber es gab eine „knallharte Realität“ und die hieß Finanzierung. Das HDH zählte zu den Pionieren der Behindertenintegration, deshalb gab es die Zusage der Höchstförderung von der Aktion Sorgenkind über 600.000 DM. Das Land Rheinland – Pfalz konnte sich eventuell und bei sehr günstiger Haushaltslage einen Zuschuss über 300.000 DM vorstellen. Die Stiftung „Deutsche Bundesjugendmarke“ signalisierte wegen der deutschen Einheit nur ein zinsloses Darlehen über 400. 000 DM. Die voraussichtlichen Baukosten lagen aber mit Sicherheit bei 5 bis 6 Millionen DM. Es war vielleicht ein einmaliger Glücksfall, dass beim Bistum Trier Baumaßnahmen zurückgestellt und dadurch Mittel kurzfristig frei wurden. Jedenfalls war es wie ein Wunder, als seitens des Bistums eine Zuwendung von über 3 Millionen DM signalisiert wurde. Damit war die Sanierung immer noch ein finanzielles Abenteuer, aber es wurde gewagt. Aufgrund der Erfahrungen aus den bisherigen Sanierungen wurden enge Rahmenbedingungen gezogen:  keinerlei Änderungswünsche nach Abschluss der Planung, sorgfältige logistische Vorbereitung der Bauzeit, Durchführung einer Spendenaktion zur Erhöhung der Eigenmittel, erhebliche Eigenarbeiten beim Abbruch; vor allem aber genaue Termineinhaltung der Baudurchführung bis Oktober 1992. Ende August 1991 fand im Martinshaus das letzte Seminar statt und unverzüglich wurde das ganze Haus in einer konzertierten Aktion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leergeräumt. Mit dem Koblenzer Architekten, Dietrich Zillinger, stand wieder ein hervorragender Partner zur Verfügung und für die Baudurchführung konnte die Bendorfer Firma Pompetzki gewonnen werden. Die Vorgabe für alle Handwerker: alle Termine werden eingehalten und die Bezahlung erfolgt unverzüglich und ungekürzt nach Vorlage der geprüften Rechnung. Spätestens als die schweren Bohrgeräte aus Frankfurt anrollten, die die Betonstelzen für den Anbau im Schwemmsand des Wenigerbachtales bohren und erstellen sollten, wurde allen klar, dass es schon wieder eine Großbaustelle gab. Es waren Zitterstunden als die Fassade abgehängt war und der Wind durch das nackte Betongerüst blies. Als während der Ostertagung 1992 die Jugendlichen aus dem nassen Rohbau ausziehen mussten, wo sie in Schlafsäcken der Bundeswehr übernachten sollten, und dann wegen Regen und Kälte in der physiotherapeutischen Abteilung des Mütterkurhauses ihr „Feldlager“ aufschlugen, waren die Grenze des Normalen schon lange überschritten. Ein distanzierter Beobachter sagte damals: „Ihr seid alle verrückt“. Er hatte Recht, aber vielleicht lässt sich dies auch vornehmer ausdrücken: es war ein von allen mit getragenes Abenteuer.

Das ganze Haus wurde entkernt, so dass nur noch das blanke Betongerippe dastand, Die Fassaden an den Längsseiten wurden abgenommen und auf dem ursprünglichen überkragenden Fundament wurden die neuen Längstmauern hochgemauert. Der Anbau wurde links angefügt. Das Haus erhielt ein Flachdach mit einer Solaranlage fzur Warmwasserbereitung. Für den Anbau mit dem neuen großen Tagungsraum wurden tiefgründende Bohrungen mit Beton gefüllt, um so den Schwemmsand zu stabilisieren.

Besondere Sorge bereitete das Schwimmbad, das mit Rücksicht auf die Mütterkuren erhalten werden sollte. In der Behördensprache hieß es: „Anpassung an die aktuelle Rechtslage“. Aus dem gesamten Becken wurden das Fließen abgehackt. Dann wurde das Becken so verändert, dass nach den Vorschriften der Abfluss rundherum und der Zufluss vom Boden erfolgte. Nach Erneuerung der gesamten technischen Ausrüstung zur Erhöhung der Filterleistung, musste das Becken neuabgedichtet und gefliest werden. Keinesfalls alltäglich war die architektonische Leistung von Dietrich Zillinger. Das bisherige Martinshaus hatte mit Rücksicht auf das Schwimmbad das Fundament an den Längsseiten in etwa 1,50 m Abstand zu den Gebäudewänden. Dies nutzte der Architekt aus. Das Haus wurde zunächst vollständig entkernt. Dann wurde die vordere Fassade entfernt, so dass nur das Betongerippe stehen blieb;  und eine neue Wand auf dem Fundament hochgemauert. Jedes Stockwerk wurde mit der neuen Mauer verbunden. Dadurch wurden die Zimmer um 1,50 m verlängert. Diese Prozedur wurde gleichfalls auf der Rückseite vollzogen. Das neue Steildach erhielt eine umweltfreundliche Warmwasser – Solaranlage; der Neubau fügte sich   organisch an der Seite an. Die Endreinigung übernahm wieder das HDH-Team. Mitte Oktober und auf den Tag genau konnte mit der Seminararbeit wieder begonnen werden. Zum Schluss noch eine kleine Geschichte. Wegen der Zufahrt der überdimensionalen Frankfurter Bohrgeräte musste die Mauer zur Straße durchbrochen werden. Im Weg stand auch eine vor vier Jahren gepflanzte junge Platane. Dieter Kittlauß als Chef setzte sich durch: Der Baum muss gerettet werden. Mit dem Bagger wurde der Baum ausgehoben und im Gelände wieder in die Erde gesetzt. Drei Jahre waren die Blätter klein und schrumplig; mittlerweile ist es wieder ein großer und gesunder Baum. Heute, also 28 Jahre später, steht das Martinshaus immer noch in seiner ganzen Schönheit quer im Tal und ist nach der Insolvenz des Hedwig-Dransfeld-Hauses ein gefragtes Hotel für Tagungen und auch für die Wanderer des Limes- und Rheinhöhenweges.[2]

Dem Architekten Dietrich Zillinger gelang es, die ursprüngliche Grundform zu erhalten.

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Panoramaansicht des Gesamtsanierungsprogramms. Oben im Bild der Komplex des sanierten und erweiterten Mütterkurheimes Gussie-Adenauer-Haus. In der Mitte das neue Martinshaus. Unten links das Gartenhaus und der neue Küchentrakt. Rechts unten der sanierte Altbau. Mit einem Investitionsvolumen von fast 20 Millionen Euro gelang es Dieter Kittlauß die gesamte Baussubstanz zu sanieren.

[1]Wird in der  Festschrift „50 Jahre Hedwig-Dransfeld-Haus Bendorf“, Graphische Werkstätten Schmidt Bendorf,  1975, berichtet.

[2] Die Fotos sind Eigentum des Autors.

Kittlauss Apr 8th 2019 02:04 am Aktuell,Bendorfer Heimatgeschichte,Hedwig-Dransfeld-Haus (HDH),Heimatgeschichte Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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