Es waren 24 Männer und
Frauen, die im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod zum Sonntagsgottesdienst
in der Runde saßen; Anlass war die 35. Jahreshauptversammlung der Vereinigung
katholischer Priester und ihrer Frauen.
In seiner Jesusstudie
„Jesus von Nazaret in seiner Zeit“[1]
hat der katholische Exeget Martin Ebner die kühne Frage aufgeworfen, ob die 12
Apostel nicht in Wirklichkeit 12 Ehepaare waren, also 24 Männer und Frauen, die
mit Jesus aus Nazaret durch Galiläa zogen. Als mir dies durch den Kopf ging,
bekam unser Kreis auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Doch dann gab es noch
einen anderen Bezug. Martin Ebert beschreibt
nämlich die Jesusgruppe als soziale
Aussteiger, geächtet und verachtet von den Frommen im Lande und der damaligen
jüdischen Hierarchie. Waren nicht auch wir, die verheirateten Priester, und unsere
Frauen, die sich auf eine Ehe mit einem katholischen Priester einließen, in den
Augen vieler frommer Katholiken und vor allem auch immer der Bischöfe, Schwächlinge
und Versager, die ihrer Berufung und ihrem Versprechen untreu geworden sind? Aber
gehören wir vielleicht in Wirklichkeit zu den wahren Zeugen dieser mehr als
2000 Jahre alten Jesusnachfolge? Vielleicht war dieser Vergleich zu kühn, aber
so abwegig war er gar nicht. Jedenfalls hatte ich auf einmal das Gefühl, auf der
richtigen Seite zu stehen und der Gottesdienst, den wir zusammen feierten, war
nahe an den Ursprüngen der frühen Kirche. Kein goldener Kelch und kein
prächtiges Messgewand, kein feierlicher Einzug und keine Trennung von Klerus
und Laien; aber Brot und Wein und die uralten Worte der Verheißung und
Zuversicht.
In der Liturgie gab
eine Änderung, die mir bedeutsam erschien, nämlich dass der Friedensgruß am
Anfang stand, ganz biblisch: bevor Du zum Altar gehst, versöhne dich erst mit
Deinem Bruder.
Das Bibelwort
motiviert mich, eine kleine Geschichte zu erzählen. Beim Ökumenischen
Kirchentag 2003 in Berlin fanden in der evangelischen Gethsemaniekirche zwei
ökumenische Gottesdienste statt, zu denen die Initiativen „Kirche von unten“
und „Wir sind Kirche“ eingeladen hatten. Etwa 2000 Personen waren jeweils in der Kirche,
Tausende hörten draußen die Lautsprecherübertragung. Am Fest Christi
Himmelfahrt war die katholische Messe, die der katholische Priester, Prof. Dr.
Gotthold Hasenhüttl aus Saarbrücken, als Zelebrant leitete; der evangelische
Gottesdienst erfolgte am Freitag. Hasenhüttl, ein schmächtiger Mann, betonte zu
Beginn, dass es sich um eine Sonderform anlässlich des Ökumenischen
Kirchentages handle, und dass sich jeder ernsthaft prüfen müsse, ob er zur
Kommunion gehe. Beide Gottesdienste wurden auch als Abendmahlsfeier korrekt
nach den liturgischen Regeln der eigenen Kirche durchgeführt; die Predigt hielt
jeweils ein Vertreter der anderen Konfession, was im gewachsenen ökumenischen
Verständnis – zumindest in Deutschland – durchaus nicht unüblich war. Ich war mit
Ernst Sillmann (†), dem damaligen Vorsitzenden der VkPF, zwei Stunden vorher
gekommen, so dass wir bei beiden Gottesdiensten in der Kirche waren. Bemerkenswert
war die überaus emotionale Zustimmung bei beiden Gottesdiensten; wie bei den
Kirchentagen ging mir durch den Sinn. Als die große Gemeinde den Choral ‚Nun danket
alle Gott’ sang, kamen manchem die Tränen. Im katholischen Binnenraum gab es nachher
aufgrund des großen Medienechos Aufregung, aber es war auch deutlich
Zurückhaltung und Respekt für die gewählte Form zu spüren. Doch ganz anders der
Trierer Bischof Reinhard Marx; er sah wohl eine Chance, sich zu profilieren, weil
er genau wusste, dass Joseph Ratzinger, der mächtige Chef der vatikanischen
Glaubensbehörde, den deutschen
Theologieprofessor aus Saarbrücken schon lange im Visier hatte? Jedenfalls am 17. Juli 2003 suspendierte
Bischof Marx den Prof. Hasenhüttl vom Priesteramt und drohte ihm anschließend mit
dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis, falls er nicht reumütig einlenke. Wie
Martin Luther in Worms blieb sich allerdings Gotthold Hasenhüttl treu und
widerstand. Auch die Schützenhilfe des Bundespräsidenten, der „als
evangelischer Christ“ die Haltung der katholischen Kirche zum
Abendmahlsstreit kritisierte, half nicht. Doch dann wurde es ganz schnell
deutlich, worum es bei der ganzen Sache eigentlich ging. Wenige Tage später gab
Kardinal Ratzinger der Koblenzer Rheinzeitung ein Interview: „Übrigens darf man
nicht vergessen, dass Hasenhüttl eine Dogmatik geschrieben hat, in der er uns
sagt, dass es Gott als eine in sich seiende Wirklichkeit gar nicht gibt,
sondern lediglich ein Beziehungsereignis sei. Insofern ist das, was er auf dem
Ökumenischen Kirchentag angestellt hat, noch relativ gering im Vergleich zu
dem, was er im Ganzen von sich gegeben hat. Und Hasenhüttl weiß selber, dass
das nicht der katholische Glaube ist.“ Auf die Frage des interviewenden
katholischen Chefredakteurs Martin Lohmann „Würden Sie also sagen:
Hasenhüttl ist nicht mehr katholisch?“, antworte Ratzinger ohne Wenn und
Aber: „Was im Innersten seines Herzens
ist und vorgeht, das überlassen wir dem lieben Gott. Aber was er geschrieben
hat, ist nicht katholisch.“ Damit war alles gesagt; Ratzinger als
Vertreter der Römischen Kirche ließ eine Alternative nicht zu, und statt
theologischem Disput gebrauchte die Römische Kirche ihre Macht. Anstatt sich als
der zuständige Bischof wie ein guter Verteidiger schützend vor Gotthold
Hasenhüttl zu stellen, schlüpfte Reinhard Marx sofort in die Rolle eines
päpstlichen Vollzugsbeamten; sicherlich nicht zum eigenen Schaden. Aber diese
schlimme Geschichte geht noch weiter,
denn ich habe in den Folgejahren nicht nur Reinhard Marx sondern anlässlich
des Bischofswechsels auch den Diözesanverwalter, das Trierer Domkapitel und
auch den neuen Trierer Bischof durch viele Briefe inständig und immer wieder gebeten,
das Unrecht an Gotthold Hasenhüttl wieder gut zu machen und Frieden zu stiften.
Doch ohne Erfolg und ohne eine einzige Antwort.
Damit komme ich zu
meiner Erinnerung an den Friedensgruß bei der Messfeier der
Jahreshauptversammlung zurück. Eines der systemischen Grundübel der
Katholischen Kirche ist die Macht des Klerus und dessen Bußunfähigkeit. Bis in
die Gegenwart wurden katholische Eheleute, die (gleich aus welchen Gründen) zum
zweiten Mal heirateten, lebenslang von der Kommunion ausgeschlossen. Seit dem
II. Vatikanischen Konzil wurden allein in Deutschland Tausende Priester (und es
waren nicht die schlechtesten) gnadenlos auf die Straße gejagt, nur weil sie
das Versprechen der Ehelosigkeit korrigieren und ihren priesterlichen Dienst in
Aufrichtigkeit führen wollten. Bis in unsere Zeit wurde Verzweifelten und
psychisch Kranken, die keine Kraft zum Weiterleben hatten, die kirchliche
Beerdigung verweigert und in katholischen Dörfern wurde Mädchen wegen einer
außerehelichen Schwangerschaft lebenslang diskriminiert. Inzwischen haben sich
die Zeiten etwas geändert. Als Antwort auf die Aufdeckung des Missbrauchs von
Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester zeigt sich der Münchener
Kardinal Reinhard Marx auf einmal auffallend bereit, sich für die schon lange
überfälligen Reformen in der Katholischen Kirche einzusetzen: Machtverzicht des
Klerus, Diskussion um den Zölibat und Verantwortung für Frauen sind erstaunlicherweise seine sehr konkreten
Forderungen. Doch Skepsis ist immer noch angebracht, ob die Römische Kirche zu
tiefgreifenden Reformen fähig ist, denn offensichtlich lässt die Macht der
rotgewandeten Prälaten selbst den guten Papst Franziskus erzittern. Aber auf
der anderen Seite erinnerte „die kleine Herde“ hier im Tagungsraum des
katholischen Wilhelm-Kempf-Hauses, die sich mit Brot und Wein im Namen Jesu
versammelte, an „das kleine Senfkorn Hoffnung“ der immer noch ganz lebendigen
Verheißung des Evangeliums. Und war es nicht ein Wunder, dass diese 24 Frauen
und Männer, alle in die Jahre gekommen, so völlig frei von Hass und Rachsucht
über erfahrenes Unrecht, sich mit dieser oft skandalgeschüttelten Kirche immer
noch verbunden fühlten und wie die Jünger und Jüngerinnen vor 2000 Jahren zu
der Frohbotschaft Jesu bekannten? Vor 48 Jahren bat ich den Erfurter Bischof
Hugo Aufderbeck, mir trotz meines Heiratswillens den weiteren Dienst in meiner
Kirche zu ermöglichen. Ich wusste, dass dieser Weg für alle nicht einfach
werden würde. Was ich nicht wusste, war die ungeheure Welle an Verachtung und
Ablehnung, die ich dann über Jahre erfuhr. Die katholische Diasporakirche in
der DDR war damals von dem Geist der Würzburger Synode noch weit entfernt und
hatte keinerlei Hemmungen, mich dem atheistischen Staat zum Fraß vorzuwerfen. Heutzutage
hat sich auch in Erfurt das Blatt gewendet; der Erfurter Bischof schrieb mir
einen freundlichen, ja sogar liebenswürdigen Brief.
Mit dem ITE MISSA EST
gingen wir wieder auseinander; nach der christlichen Tradition immer auch
Sendung in die Welt, unsere Mutter Erde, ein jeder an seinen Platz und in sein
Leben.
[1]
Stuttgarter Bibelstudien, Stuttgart 2004.
Tags: VkPF; Verheiratete Priester