Wir haben seinen Stern gesehen


 

Bibel-theologische Studie

zum Weihnachtsevangelium des Matthäus

Von

Dieter Kittlauß

Die Anbetung der heiligen drei Könige in der Kathedrale von Autun. Das Bild ist Eigentum des Autors. Rechte Dritter wurden bei TinEye überrüft und nicht festgestellt..

 

Inhalt

 

Hinführung

Sohn Davids

Gezeugt in der Kraft des Gottesgeistes

Wir haben seinen Stern gesehen

Hoffnung für die Völker

Der neue Moses

Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen

Der starke Josef

Deutungen

(Erstveröffentlichung 2007)

Hinführungen

In diesem Jahr suchte ich einen Zugang zur Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums. Diese Studie ist  ein erster Niederschlag einer monatelangen Auseinandersetzung mit diesem fast zweitausend Jahre alten Text. Wenn ich sie aus der Hand gebe, dann geschieht das mit der Intention, anderen vielleicht helfen zu können, Verstehensbarrieren abzubauen und  einen persönlichen Zugang zu finden.

Unter den vier kanonischen Evangelisten haben nur Matthäus und Lukas ihrem Evangelium eine Kindheitsgeschichte vorangestellt, gewissermaßen wie eine  Ouvertüre, in der das Thema anklingt. Früher wurde diese Kindheitsgeschichte so wie die ganzen Evangelien selbst vorrangig als historische Berichte gelesen. Wir ersparen uns eine ganze Menge unlösbarer Probleme, wenn wir mit der heutigen wissenschaftlichen Bibelforschung davon ausgehen, dass wir diese Texte immer zunächst mit den Augen und Ohren der damaligen Zeit verstehen müssen, also mit der Frage, was die Evangelisten gemeint und gewollt haben. Eigentlich kennen  diese Methode alle Schülerinnen und Schüler aus dem Deutsch-Unterricht. Bei alten Texten fragt man zunächst nach dem ursprünglichen Sinn und dann nach der Bedeutung für uns heute.

Wir können davon ausgehen, dass der Evangelist Matthäus  ein frühchristlicher Lehrer gewesen ist, der im Judentum groß geworden ist. Man kann dies z.B. an seiner Sprache erkennen. So ist der Ausdruck „Reich der Himmel“[1] eine typisch jüdische Umschreibung für Gott, ohne diesen direkt zu nennen, und das Bildwort „binden und lösen“ [2] steht für „erlauben und verbieten“. Matthäus kannte die biblischen Schriften (>Altes Testament) sehr genau, sowohl die hebräischen Texte wie die griechischen Übersetzungen[3]. Matthäus kannte das Markusevangelium, die verschiedenen Sammlungen von Jesusworten (>Logienquelle) und andere Überlieferungen von den Taten und Worten Jesu. Zu seiner Methode gehörte die Belegung mit alttestamentlichen Zitaten. Matthäus lebte in der hellenistischen Diaspora. Seine Gemeinde bestand mehrheitlich aus Jesusjüngern mit jüdischer Prägung. Er schrieb sein Evangelium zwischen 8o und 90 n.Chr. in griechischer Sprache. Schon sehr frühzeitig zählte sein Evangelium nicht nur zu den anerkannten (>kanonischen) Schriften, sondern galt auch als das Evangelium der frühen Kirche. Mit der Kindheitsgeschichte will Matthäus die zentrale Botschaft  seines Evangeliums anklingen lassen: Jesus war und ist  der von Israel erwartete und nun für alle Völker bedeutsame Messias.  Matthäus arbeitet nicht wie ein Historiker sondern wie ein Künstler. Wie Franz Marc der die Farben mischt und dir Formen der Natur verändert, so dass wir auf seinen Bildern blaue Pferde und rosagesichtige Engel sehen, so mischt Matthäus Fakten, Geschichten und Überlieferungen mit ständigem Bezug auf die alten Texte.  Matthäus ist ein Dichter, der uns durch eine kunstvoll komponierte Geschichte einen Zugang zu diesem Jesus von Nazareth bringen will, den er als den erwarteten Messias seines Volkes  und als Hoffnung für die Völker der Welt[4] vorstellt. Matthäus argumentiert nicht abstrakt und theologisch reflektiert, sondern mit Stilelementen, die seinen Lesern offensichtlich vertraut waren. Die Gestalten, die er erschafft, sind in das Weltkulturerbe der Menschheit eingegangen: Der starke Josef, der in den Stürmen des Lebens seine kleine Familie führt und dabei immer auf die Stimme Gottes hört. Das junge Mädchen Miriam, das durch Schwangerschaft und Geburt ihre menschliche Würde nicht verliert. Die Magier aus dem Orient, die in einem Kind die Erfüllung ihrer Sehnsucht verstehen. Der gewissenlose Machthaber Herodes mit seinen funktionierenden Hofbeamten. Auch die unschuldigen Opfer. Alle diese Gestalten haben archetypische Bedeutung gewonnen.

In dieser Studie geht es mir im wesentlichen darum, den Text der Matthäischen Kindheitsgeschichte zu erschließen. Die Aneignung dieses Textes, seine spirituell-existentielle Auslotung, bleibt Aufgabe für jeden selbst. Dies sagte bereits im 17 Jahrhundert der schlesische Mystiker Johannes Scheffler (>Angelus Silenius):“ Wird Jesus tausendmal zu Bethlehem geborn und nicht in dir: Du bleibst noch ewiglich verlorn.“

Sohn Davids

Rabbiner. Maler: Klemm. Das Bild wurde über TinEye überprüft und ist dort für den nonkommerziellen Gebrauch freigegeben.

Matthäus beginnt seine Kindheitsgeschichte mit einem „Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“[5] Er beginnt mit Abraham und gliedert die Abstammungsliste in 3 x 14 Generationen[6] :

Abraham bis David,

David  bis zur Babylonischen Gefangenschaft

Babylonischen Gefangenschaft bis zu Jesus.

Indem Matthäus das Stilmittel des Stammbaums wählt, folgt er biblischer Tradition.[7]

Die erste Liste hat offensichtlich das Ziel, Jesus in die Generationenabfolge von Abraham, dem Stammvater aller Völker[8], und dem König David, dem Begründer des jüdischen Königtums, einzufügen und ihn so durch seine Abstammung zu legitimieren.[9]

Nach den alten  jüdischen Überlieferungen sollte der Messias aus dem Geschlecht des Königs Davids kommen. So heißt es beim Propheten Sacharia:“ An jenem Tag beschirmt der Herr die Einwohner Jerusalems, und dann wird selbst der von ihnen, der strauchelt, wie David sein, und das Haus David an ihrer Spitze wie Gott. An jenem Tag werde ich danach trachten, alle Völker zu vernichten, die gegen Jerusalem anrücken. Doch über das Haus David und über die Einwohner Jerusalems werde ich den Geist des Mitleids und des Gebets ausgießen. Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.“[10] Noch deutlicher ist der Psalm 132: „ Der Herr hat David geschworen einen Eid, den er niemals brechen wird: Einen Spross aus deinem Geschlecht will ich setzen auf deinen Thron.“[11]

Matthäus macht noch eine zweite, für ihn offensichtlich wichtige Aussage. In die Abfolge über die Männer, fügt er vier Frauen ein: Tamar, Rahab, Rut und (>Bathseba) die Frau des Urija. Was die vier Frauen verbindet, ist ihr Bezug zum Nichtjudentum, denn entweder sie oder ihr Mann stammen aus einem fremden Geschlecht. Auffallend ist auch, dass drei Frauen trotz ihres ehelichen Makels, als bedeutsame Mütter des Volkes Israel überliefert wurden: Tamar verführte als verkleidete Prostituierte ihren Schwiegervater, Rahab war eine berufsmäßige Prostituierte, Bathseba beging mit David Ehebruch. Mathäus gibt selbst keine Erklärung, warum er diese vier Frauen in seinen Stammbaum Jesu einfügte.  Naheliegend ist die Deutung, dass Jesus als „Sohn“ Abrahams und Davids zwar ein Jude war, aber eben über die weibliche Linie auch zu den Nichtjuden gehörte. Dies entspräche der Matthäischen Verkündigung, dass der Jude Jesus der Messias für alle Völker ist.

In der zweiten Liste hält sich Matthäus im Großen und Ganzen an die Bücher der Könige. Man kann den Eindruck haben, dass sie nur Brückenfunktion zwischen der alten Zeit und der Zeit Jesu hat.

In der dritten Liste, deren Quelle uns nicht näher bekannt ist, ist der Vers 16, wo Josef und Mirjam (>Maria)  erreicht werden, das Ziel: „Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, aus der gezeugt wurde, Jesus, genannt Christos (>Gesalbter).“ Auffallend ist, dass Matthäus in diesem Satz den bisherigen Ausdrucksstil verändert. Statt des bisherigen aktiven Ausdrucks „A zeugte B“ gebraucht hier Matthäus die Passivform „aus der gezeugt wurde“. Es gibt allerdings auch Überlieferungen, die im Vers 16 die Aktivform wiedergeben. Hier ist besonders der Text des Codex Syriacus Sinaiticus[12] auffallend. Da heißt es „Josef, mit dem verlobt war Maria, die Jungfrau, zeugte Jesus.“ Ein wenig später sagte der Engel zu Josef: „Sie (>Maria) wird Dir einen Sohn gebären.“ An diese Textvariante (>zeugte) hielten sich auch mehrere griechische Handschriften, die alte lateinische Übersetzung des Matthäusevangeliums und der „Dialog zwischen Timotheus und Aquila“, einer griechischen Schrift aus dem 5. Jahrhundert. Diese unterschiedliche Textüberlieferung könnte ein Hinweis sein, dass es in der frühen Kirche zwei Versionen der Zeugung Jesu gab, die das Eingreifen des Gottesgeistes unterschiedlich erklärten. Matthäus betont eigens, dass Josef der Mann Marias war und weist damit Jesus rein rechtlich als Sohn des Josef nach.

Maria ist  die leibliche Mutter Jesu, Aber ob Josef auch der leibliche Vater ist, bleibt durch die Passivform „wurde gezeugt“ verschleiert. Dass sich damit Matthäus der Tradition der außergewöhnlichen Zeugung anschließt, zeigt der weitere Verlauf der Geschichte.

 

Gezeugt in der Kraft des Gottesgeistes

In den Patriarchengeschichten des Buches Genesis spielen Frauen, die trotz Unfruchtbarkeit schwanger werden und ein Kind gebären, eine besondere Rolle. Von Sarah, der Frau Abrahams wird ausdrücklich erzählt, dass sie die Menopause schon lange hinter sich hatte, als ihr von Gott mit Isaak ein Sohn geschenkt wurde.[13] Auch Rebekka, die Frau Isaaks war unfruchtbar. Auf das Gebet Isaaks hin, wird sie schwanger und bekommt mit Jakob und Esau Zwillinge.[14] Rahel, die Frau Jakobs, blieb zunächst kinderlos. Doch Gott „öffnete ihren Mutterschoß“[15] In der Samuelgeschichte schenkt Gott der unfruchtbaren Hannah in Samuel einen Sohn.[16] Für das traditionelle jüdische Denken ist der Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nur die Voraussetzung für Nachfolge, gewissermaßen wie der Ackerboden für die Saat. Nur Gott hat die Macht, den Mutterleib zu öffnen. Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes. In dem archaisch-altorientalischen Traditionsgut der Bibel gibt es noch eine andere Variante von wunderbaren Geburten in der Liaison von Gottessöhnen und Menschentöchtern.[17] Im spätantiken Judentum müssen solche Geschichten über wunderbare Geburten weit verbreitet gewesen sein. In einem aramäischen Qumrantext[18] fragt sich der Patriarch Lamech, ob der von goldenem Licht umgebene Sohn Noah nicht in Wirklichkeit der Sohn eines Engels sei. Dass es solche Vorstellungen auch zurzeit Jesu gab, kann man  sogar im 1. Korintherbrief erkennen: „Wegen der Engel“ sollen sich die Frauen verhüllen, heißt es im Text. Im apokryphen Protoevangelium des Jakobus, das nach den kanonischen Evangelien etwa um 150 entstanden ist und das bis heute viele unserer Weihnachtsbilder prägt, wird die Geburtsgeschichte Jesu sogar auf die Zeugung und Kindheit Marias ausgeweitet. [19]

Auch in der hellenistisch-nichtjüdisch-nichtchristlichen  Welt gab es viele Geschichten um wunderbare Geburten. Platon galt als Sohn des Apollon, Alexander der Große als Sohn des Zeus, Augustus als göttlich gezeugt, um drei Beispiele zu nennen.

Wichtig ist hier: In diesem jüdisch-hellenistischen Umfeld, wo Geburten und wunderbare Zeugungen zum normalen Erzählgut gehörten,  gestaltet Matthäus seine Geburtsgeschichte Jesu und stellt sie als Einführung seinem Evangelium voraus.

Eine Eigentümlichkeit im Text hilft uns, Matthäus noch besser zu verstehen. Im Vers 22 bezieht sich Matthäus auf das Jesajabuch: „Seht, die Jungfrau wird im Mutterleib haben und gebären einen Sohn, und sie werden seinen Namen Immanuel nennen, das übersetzt heißt: Mit uns ist Gott.“ Im klassischen jüdischen  Verständnis war eine Jungfrau eine Frau vor ihrer ersten Menstruation und danach, wenn sie noch keinen Geschlechtsverkehr hatte. Das Jesaja-Zitat bezieht sich also auf eine junge Frau (>hebräisch: almah), die schwanger wird.  Matthäus nimmt aber das Jesaja-Zitat aus dem griechischen Text der Septuaginta und hier ist das hebräische „almah“, mit „parthenos“ übersetzt. Während das hebräische „almah“ eine junge Frau meint, unabhängig ob sie verheiratet ist oder nicht, bezieht sich das griechische „parthenos“ dagegen eindeutig auf eine unverheiratete Frau. Matthäus übernimmt das Jesajazitat aus der griechischen Septuaginta, weil seine Gemeinde kein Hebräisch mehr beherrschte. Deshalb muss er auch den hebräischen Titel „Immanuel“ ins Griechische übersetzen. Für Matthäus wird nun offensichtlich das griechische Jesaja-Zitat zum Schriftbeweis. Wenn sich die Jesaja-Prophezeiung auf Maria bezieht und von Parthenos, also einer Jungfrau spricht, dann war Josef nicht der leibliche Vater. So entscheidet er sich wohl für die „passive Zeugung“: Von Maria wurde Jesus geboren durch den Geist Gottes. Inwieweit diese Darstellung des Matthäus, dass Gott bei Jesus einen besonderen Weg seiner Menschwerdung wählte, normative Glaubensbedeutung hat, ist eine andere Frage. Auffallend ist es, dass die direkte Gotteszeugung im ganzen Evangelium keine Rolle mehr spielt.

Über die näheren Umstände der Schwangerschaft Marias und der Geburt Jesu macht Matthäus keinerlei Aussage. Im Unterschied zur Kindheitsgeschichte des Lukas bzw. des Protoevangeliums  erfolgt die Geburt nicht in ärmlichen Verhältnissen, sondern in einem Haus.[20]

Auffallend ist noch, dass Maria nicht wie die anderen Frauen im Stammbaum als alte Frau geschildert wird. Das damalige Verlobungsalter, das bereits eherechtlich abgesichert war, lag bei den Frauen in der Regel vor der Menstruation. Wir können deshalb davon ausgehen, dass Maria ein Mädchen von 10 – 12 Jahren war. Auffallend ist auch, dass es im Unterschied zu den bisher genannten Frauen keine Zweifel oder Widerstände bei den handelnden Personen gibt. Maria erscheint in der Matthäischen Kindheitsgeschichte wie die neue Eva, die dem  Menschengeschlecht einen neuen Abel schenkt und so alle in das Paradies zurückführt.

 

In Bethlehem in Judäa geboren

Der Ort der Geburt ist für Matthäus Bethlehem, weil dies die alte Weissagung des Propheten Micha  verlangt. Matthäus verändert allerdings den Septuaginta-Text stark ab.

Septuaginta

„Aber du, Bethlehem, Haus von Efrata, so klein unter den Gauen Judas; aus dir wird einer hervorgehen, der über herrschen soll.[21]

 

Matthäus

„Du Bethlehem von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda, denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel.“[22]

Jerusalem ist bereits zerstört, das Land des auserwählten Volkes ist zur römischen

Provinz geworden. Auch Bethlehem ist aus der Geschichte verschwunden. So hat Matthäus keine Bedenken,  Bethlehem zu einer Großstadt machen. Wahrscheinlich nahm er an, dass es seine Gemeinde leichter akzeptieren kann, wenn der Messias nicht aus einem Zwergdorf aus einer ehemals bedeutenden Stadt kam. Der Einfluss der hellenistischen Stadtkultur ist hier deutlich zu spüren.

Matthäus verändert den Micha-Text noch weiter und lässt damit ein weiteres Micha-Zitat anklingen: „Darum gibt der Herr sie preis, bis die Gebärende einen Sohn geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder heimkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahves, seines Gottes.“[23] An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie wichtig es für Matthäus ist, dass die ganze Jesus-Geschichte, die er in seinem Evangelium erzählen will,  die Erfüllung der alten Weissagungen ist. Für ihn geht die Geschichte des auserwählten Volkes Israel nahtlos in die Geschichte der Völker über. Im Kommen Jesu hat Gott der Sehnsucht Israels und der ganzen Menschheit eine Antwort gegeben. Matthäus denkt als Jude und lebt doch mitten in der hellenistischen Welt. Im weiteren Text wird deutlich, dass auch Matthäus die Frage,  warum sich die Geschichte durch das Kommen des Messias so wenig geändert hat, nicht verdrängen konnte.

 

Wir haben seinen Stern beim Aufgehen gesehen

Die drei Könige. Maler Tizian.Quelle: Bei TinEye wird das Bild für den nonkommerziellen Gebrauch freigegeben.

Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland, die durch einen Stern bis nach Bethlehem geführt werden, gehört zur Tiefenschicht aller vom Christentum geprägten Kultur. Sie berührt unsere Seele. Bis in die Gegenwart glaubten Einfältige und Intellektuelle, dass der Stern wirklich aufgegangen und dann vom Himmel wieder verschwunden ist. Auch im Protoevangelium des Jakobus zieht der Stern vor den Weisen her und bleibt dann oberhalb der Geburtsgrotte stehen. Der berühmte Astronom Johannes Keppler suchte nach astronomischen Hinweisen für den Stern von Bethlehem. Ernsthafte Wissenschaftler sahen in einem Kometen, in einer Planetenkonjunktion oder gar in einer Supernova eine Erklärung. Die kritische Bibelwissenschaft ist sich heute einig, das der Evangelist Matthäus mit der Geschichte von den Weisen und dem Stern an die Überlieferungen des Alten Testaments anknüpfen wollte, und wir können davon ausgehen, dass seine Gemeinde verstanden hat, was er mit dieser Geschichte sagen wollte.  Matthäus schaut auf das Buch Numeri zurück. Hier wird die Geschichte vom Propheten Bileam erzählt, den Balak, der König von Moab,  an seinen Hof holte, um die heranrückenden Israeliten zu verfluchen und so nichtmilitärisch zu besiegen. Doch Bileam wird zum Werkzeug Gottes.  In der bis heute weltbekannten Geschichte von Bileam und seinem Esel wird geschildert, wie Bileam seinen Widerstand aufgibt und prophetisch in die Zukunft schaut: „“Spruch dessen, der Gottesworte hört, der die Gedanken des Höchsten kennt, der eine Vision des Allmächtigen sieht, der daliegt mit entschleierten Augen: Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel. Er zerschlägt Moab die Schläfen und allen Söhnen Sets den Schädel. Edom wird sein Eigentum, Seir, sein Feind, wird sein Besitz. Israel aber wird mächtig und stark.“ [24]

Im 2. Petrusbrief wird an diese Weissagung angeknüpft: „Dadurch ist das Wort der Propheten für uns noch sicherer geworden, und ihr tut gut daran, es zu beachten; denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht.“[25] In der Geheimen Offenbarung bezeichnet sich Jesus selbst als der „strahlende Morgenstern“.[26] In den Schriftrollen von Qumran ist der Stern das Sinnbild für den priesterlichen Messias.

Auch in der zeitgenössischen hellenistischen Literatur finden sich viele Beispiele, dass Sterne bedeutende Ereignisse ankündigen. So schreibt Gaius Suetonius Tranquillus, der römische Biograph des Julius Cäsar: „Ein Komet erschien ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang und leuchtete sieben Tage lang. Man in ihm Caesars Seele, die in den Himmel erhoben war, daher der Stern, der jetzt über der Stirn seines göttlichen Bildnisses angebracht ist.“ In Vergils Aeneis werden die Reisenden von einem Stern geführt.[27]

„Wir haben seinen Stern gesehen“, dieser Kernsatz aus der Kindheitsgeschichte kann unsere Seele berühren, Bild für unsere tiefe Gewissheit sein, dass unsere Welt und wir mit ihr von Gottes Liebe getragen werden. Auch die Generationen vor uns haben das Evangelium in seinen Tiefenschichten verstanden. Ein Beispiel ist der frühchristliche Theologe Eusebius: „Wir wissen, dass im Falle von bemerkenswerten und berühmten Männern seltsame Sterne erschienen sind, die einige Kometen, Meteoriten oder Feuerschweife nennen, oder dass ähnliche Erscheinungen in Verbindung mit großen, ungewöhnlichen Ereignissen gesehen wurden. Doch welches Ereignis konnte für das ganze Universum größer oder bedeutender gewesen sein als das spirituelle Licht, das durch die Ankunft des Heilands zu allen Menschen gelangte und dabei den menschlichen Seelen das Geschenk der Heiligkeit und des wahren Wissens um Gott brachte.“[28]

 

Hoffnung für die Völker

Die heiligen drei Könige in naiver Malerei. Das Bild wurde bei TinEye überprüft. Rechte Dritter wurden nicht festgestellt.

Der Volksmund spricht von den „Weisen aus dem Morgenland“ oder wie in Köln von den „Heiligen Drei Königen“ und nennt sie „Caspar, Melchior und Balthasar“. Im  Matthäus-Evangelium heißt es: „ Siehe, es kamen Magier vom Aufgang nach Jerusalem.“[29]  Mit Aufgang ist der Sonnenaufgang gemeint, gemeint ist „von Osten“ bzw. „vom Orient“.  Da griechische Wort „magoi“ hat im allgemeinen einen negativen Klang. Die Apostelgeschichte erzählt an zwei Stellen von solchen Zauberern.[30] Als Nachfolger des Bileam bekamen aber die Magier des Matthäus-Evangeliums einen positiven Klang. Dies erklärte bereits der frühchristliche Theologe Origines (185-254): „Wenn nämlich von Moses die Prophezeiungen Balaam in die Heiligen Schriften aufgenommen worden sind, um wie vielmehr wurden sie dann von den damaligen Bewohnern Mesopotamiens niedergeschrieben, bei denen Balaam hoch angesehen war und die bekanntlich Schüler seiner Kunst waren! Von ihm soll sich ja das Geschlecht der Magier und ihre Lehre im Osten herleiten. Da diese also die Niederschrift aller Prophezeiungen Balaams hatten, besaßen sie auch die: „Ein Stern wird aufgehen aus Jakob und ein Mann erstehen aus Israel.“ Diese Schriften hatten die Magier bei sich, und deshalb erkannten sie, als Jesus geboren wurde, den Stern und begriffen die Erfüllung der Prophezeiung, begriffen sie sie besser als das Volk Israel, das es verschmähte, die Worte der heiligen Propheten zu hören.“ [31] Der Theologe Tertullian hatte Anfang des 3. Jahrhunderts von den Weisen der Matthäischen Kindheitsgeschichte gesagt, sie seien fast wie Könige aufgetreten. Die Dreizahl wurde zuerst von Origines überliefert, aber auf den alten Wandgemälden variiert die Zahl zwischen zwei und acht. In der St.-Domitilla-Katakombe sind vier.  Könige dargestellt. Hintergrund für die Dreizahl sind wohl die im Text genannten drei Geschenke. .“[32] In der Lateinischen Kirche des Westens tauchen ab 6. Jahrhundert die Namen “Caspar, Melchior und Balthasar“ auf. Im 14. Jahrhundert glaubte man im christlichen Abendland, die Welt bestehe aus drei Kontinenten, nämlich Europa, Asien und Afrika. Daher verbreitete sich die Anschauung, die drei Könige symbolisierten die drei Kontinente. Da man Afrika zu dieser Zeit in der Regel mit dem von den Griechen als schwarzes Land bezeichneten Nordostafrika identifizierte, wurde der Vertreter Afrikas in der künstlerischen Darstellung zum Mohren.[33]

Die Liturgie sah in der Geschichte von den Weisen die Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie des 72. Psalms: „Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.“ Vor allem aber dürfte Matthäus neben der Bileamgeschichte das 60. Kapitel des Jesajabuches vor Augen gehabt haben, wo von der Wallfahrt der Völker nach Jerusalem gesprochen wird: „Auf werde licht, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir. Denn siehe Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht leuchtend der Herr  auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz……Denn der Reichtum des Meeres strömt dir zu, die Schätze der Völker kommen zu dir. ….Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herr.“[34] Am Ende seines Evangeliums schließt Matthäus den Kreis:“ Geht, macht zu Jüngern alle Völker“.[35]

 

Der neue Moses

Flucht nach Ägypten, genalt von Oskar Laske. Bei TinEye wurde das Bild für den nichtkommerziellen Gebrauch freigegeben.

Matthäus zeigt in seiner Kindheitsgeschichte Jesus als Erfüllung der Verheißungen an Abraham, den Stammvater des auserwählten Volkes und der ganzen Menschheit. Er stellt ihn in die Generationenfolge des Königs David und legitimiert ihn als den von Gott auserwählten Messias für die Völker. Er beschreibt Jesus als Geschenk des Gottesgeistes und sieht in den Magiern aus dem Orient, wie den Völkern der Welt die Augen geöffnet werden. Dann geht Matthäus noch einen Schritt weiter und stellt Jesus seiner Gemeinde als den neuen Moses vor, denn dies ist zweifellos der tiefste Sinn der Verfolgungsgeschichte. Ganz in der biblischen Tradition malt Matthäus ein Bild, das die oft so dunkle Seite der Menschheitsgeschichte nicht draußen vor der Tür lässt. Die Genesis beschreibt die gute Schöpfung und die liebevolle Sorge Gottes für die Menschen. Doch dann kommt gleich die Erzählung vom Brudermord, und schließlich sogar vom „Plan“ Gottes, seine Schöpfung zu annullieren.

Matthäus greift auf Herodes den Großen zurück, den „König von römischen Gnaden“, der sich wegen seiner Bautätigkeiten einen Namen gemacht hatte. Für Herodes war die Ermordung von Widersachern ein alltägliches Mittel seiner Politik. Zu den Opfern gehörten seine Frau Mariamme und deren Großvater, der Hohepriester Hyrkanos und zahlreiche andere Verwandte. Ambrosius Theodosius Macrobius, spätantiker römischer Grammatiker und Philosoph (395–423),  überlieferte einen Satz des Kaisers Augustus, der in die Geschichte eingegangen ist: „ Es ist besser, des Herodes Schwein zu sein als des Herodes Sohn“.[36] Angesichts der Brutalität von Herodes gab es zahlreiche Legenden, dass Herodes auch Kinder massenweise ermorden ließ. Matthäus greift auf diese Überlieferungen zurück. Aber Herodes ist nur Nebenschauplatz. Matthäus geht es vor allem und hauptsächlich um die Rettung des Kindes, denn bei dieser Geschichte dachte jeder, der sich in den alten Überlieferungen auskannte, sofort an die Moses-Geschichte. Im Judentum der Spätantike gab es sogar viele Geschichten, die die biblische Erzählung weiterführten und ausmalten. So wird von Mirjam, der Schwester des Moses erzählt, dass sie ihren Eltern von einem Traum berichtete: „Ich sah diese Nacht, und siehe, ein Mann in einem leinenen Gewand (> ein Engel) stand da und sagte zu mir: Geh und sage deinen Eltern: Siehe, der von euch geboren wird, wird im Wasserausgesetzt, denn durch ihn wird das Wasser trocknen und durch ihn werde ich Zeichen geben und ich werde mein Volk retten, und er wird immer sein Anführer sein.“[37] Moses, der künftige Befreier aus der ägyptischen Sklaverei und auch der große Gesetzgeber am Berg Sinai, wird wunderbar durch Gott aus der Gewalt des grausamen Pharaos gerettet. Jesus, der Messias für die Menschheit und auch der Verkünder der Bergpredigt als neues Gesetz, wird wunderbar durch Gott aus der Gewalt des grausamen Herodes gerettet. In beiden Geschichten ist die Vielzahl der ermordeten Kinder kein historischer Bericht sondern ein Bild, das mit dunkler Farbe die Grausamkeit der Tyrannen und ihrer Schergen ausmalt.

 

Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen

Matthäus hat zwei Probleme bei der Gestaltung seiner Kindheitsgeschichte. Wenn er die Prophezeiungen der alten Schriften auf Jesus deutet, dann stößt er auch auf Texte, die Probleme machten. Ein Beispiel ist das 11. Kapitel im Buch des Propheten Hosea. Da wird dreimal Ägypten genannt. Vers 1,1: „Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten.“ Vers 1,5: “Doch er muss wieder zurück nach Ägypten“. Vers 1,11:“ Wie Vögel kommen sie zitternd herbei aus Ägypten.“

Besonders der Vers 1 macht Matthäus zu schaffen, er erwähnt ihn eigens.[38] Doch Matthäus ist ein großer Künstler. Er gestaltet die Kindheitsgeschichte zu einem Drama, fügt die Flucht nach Ägypten nahtlos ein und begründet sie mit dem Hosea-Zitat als Erfüllung der biblischen Prophezeiung. Gleichzeit kann er nun ein anderes Problem lösen: er kann Jesus nach Nazareth bringen. Dass Jesus aus Nazareth stammte, einem nach heutigem Wissenstand völlig unbedeutendem Dorf im traditionell galliläischen Land, abseits der Straßen und der hellenistisch geprägten Städte[39], ist für Matthäus umfassend bezeugt. So findet er geradezu genial einen Abschluss seiner Kindheitsgeschichte. Er fügt mit dem Hinweis auf Archelaus eine historische Verortung dazu und schließt mit einem (wohl frei erfundenen) Schriftwort, das eine Erklärung gibt, warum hier in dieser Geschichte gerade Nazareth von Gott bestimmt wird.

 

Der starke Josef

Josef träumt. Quelle: Wikipedia.

Im Mittelpunkt der Matthäischen Geburtsgeschichte steht zweifellos Josef. Matthäus schildert ihn als den Mann Marias, der seine kleine Familie nach dem Willen Gottes durch die Gefahren dieser Welt führt. Josef ist wie Abraham, Jakob und Isaak das Werkzeug, durch das Gott seine Verheißungen erfüllt. Gleich wie man die Geburtsgeschichte deutet, ob im Sinne der alten jüdischen Überlieferung, dass Gott den Muttermund Marias geöffnet hat, oder nach der anderen  Überlieferung, dass der Gottesgeist das Wunder der Zeugung direkt ermöglicht hat, Josef ist der Gerechte. Die alte Gottesformel „Fürchte dich nicht“ wird ihm zugesagt. Josef geht mit der schwangeren Maria zärtlich und sorgsam um; Matthäus erwähnt dies eigens :“Er (>Josef) erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar.“[40] Josef gibt dem neugeborenen Kind den Namen Jesus, wie es Aufgabe eines jeden jüdischen Vaters ist. Er steht mitten in der Nacht auf[41], flieht  in der Geschichte mit der Mutter und ihrem neugeborenen Kind in das Ausland und erkennt den Zeitpunkt der Rückkehr. Josef ist es, der sich für Nazareth entscheidet. Matthäus schildert einen starken Josef. Er beschreibt ihn als den ersten Menschen, der nach den Regeln der neuen Zeit lebt.

Die späteren Überlieferungen haben das Bild des Josef noch mehr übermalt: Je wichtiger die Jungfräulichkeit der Gottesmutter wird, umso stärker wird Josef sexuell bereinigt und zum alten Mann gemacht. Josef wird zu einem geschlechtslosen Wesen und erhält die Lilie, das Zeichen der sexuellen Unberührtheit, in die Hand gedrückt. Das Wort „Josefsehe“ wird zum Terminus technicus für asexuelle Beziehung. Josef wird zum Tischlermeister[42], der mit dem Jesusknaben im Hof Holz sägt, während die Gottesmutter liebevoll zuschaut. Das Jakobusevangelium aus dem 2. Jahrhundert berichtet von der Brautwerbung Josephs. Demnach war Maria Tempeljungfrau in Jerusalem und sollte einem Mann verheiratet werden, der sie unberührt lassen würde. Jeder Bewerber – allesamt waren Witwer – sollte einen Stab auf dem Altar des Tempels niederlegen; Josephs Stab grünte und blühte, zudem ließ sich eine Taube als Zeichen der göttlichen Bestätigung auf seinem Kopf nieder. Als Maria trotz des Keuschheitsgebotes schwanger wurde, bezweifelten die Hohen Priester die Enthaltsamkeit der Eheleute. Um ihre Unschuld zu beweisen, mussten beide das giftige Fruchtwasser trinken, blieben aber gesund: dieses Gottesurteil sprach sie von allen Vorwürfen frei.

Sowohl die orthodoxe als auch die katholische Kirche verehren Joseph als Heiligen. In der Ostkirche begann der Kult um Joseph schon früh, die erste Erwähnung in einem Martyrologium des Westens stammt dagegen erst aus der Zeit um 850. Der 19. März ist aber erst seit 1621 Fest im römischen Kalender, nachdem sein Kult seit dem 14. Jahrhundert besonders von Bettelorden gefördert wurde. 1729 schrieb Papst Clemens XI. den Festtag für die ganze katholische Kirche fest, Papst Pius IX. ernannte Joseph 1870 zum „Patron der ganzen katholischen Kirche“.

 

Deutungen 

Mit seiner Kindheitsgeschichte hat Matthäus den Messias für die Völker vorgestellt. Nun stand er vor der entscheidenden Frage, was dies bedeutet. Es war die Frage der rabbinischen Juden: Wenn Jesus der Messias war, was hat sich dann in der Welt verändert? Mit seinem Evangelium gab Matthäus seine Antwort.

Matthäus deutet Jesus als Lehrer: „Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie“ (Mt 5,1f),  und „er lehrte wie einer, der Vollmacht hat“ (Mt7, 28) Aber Matthäus geht es nicht nur um die Rückschau. Er will mit den Worten und Gleichnissen Jesu  seiner Gemeinde Wegweisung geben und sie warnen vor den Folgen des eigenen Versagens.  Wie die alten Propheten- und man kann förmlich sehen, wie er dabei beschwörend die Hände zum Himmel erhebt – lässt er alle, die Jesus ablehnen, egal ob es Juden oder Heiden sind, aber eben auch die Juden – in die Finsternis werfen und „dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen“ (Mt 8, 12). Matthäus will seine Gemeinde erziehen und ermutigen,  aber auch warnen und schockieren. Doch all das hat ein sicheres Fundament: Jesus ist der Herr seiner ecclesia  (>Kirche), die aus allen vier Winden von ihm zusammengerufen wurde und er ist bei ihr „alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28, 20).

Hoch hinaus. Quelle: Internet. Das Bild wurde über TinEye überprüft. Rechte Dritter wurden nicht festgestellt.

Damit schließt sich der Kreis. Waren es am Anfang „die Sterndeuter aus dem Osten“ (Mt 2,1), die zu dem Christuskind kamen und diesem die Kynesis (Kniefall) gewährten und mit königlich – priesterlichen Geschenken bedachten, so sind es nun die Jesusjünger und nach ihnen die kommenden Generationen der Kyriake (> Gemeinde des Herrn), die hinaus gehen in die Welt.

Man kann bei Matthäus den Eindruck haben, dass er bereits das neue Jahrhundert ankündigt. Die Jesusgemeinden haben bereits sehr stark ekklesiale Züge, d.h. die Abgrenzung vom traditionellen Judentum schreitet rasant voran. Christliche Kirche hat schon Züge des „wahren Israels“. Noch mögen die jüdischen Diasporagemeinden einflussreich und trotz allem römischen Antisemitismus Zentren der Kultur und des religiösen Wissens sein, aber Matthäus scheint zu ahnen, dass sich das ändern wird. Vielleicht gerade deshalb legt er den Akzent auf ein ethisch hochwertiges Leben der Christen und sieht in seinen Strafandrohungen eine Art „Rute zu Züchtigung und Anstrengung“. Aber der Trennungsschritt zwischen Juden und Christen ist noch nicht vollzogen. Deshalb finden wir bei Matthäus sowohl Attacken gegen das Judentum (Mt 15,1ff) wie dessen leidenschaftliche Verteidigung (Mt 15,22ff). Matthäus steht mit einem Bein im Judentum und mit dem anderen außerhalb. Aber mit dieser schrittweisen Abgrenzung vom Judentum werden auch die antijüdischen Töne laut, die später zweitausend Jahre lang die Feindschaft zwischen Christen und Juden begleiten. Sehr nachdenklich müssen wir werden, wenn Matthäus in der Passionsgeschichte formuliert: “ Da schrien sie alle: Ans Kreuz mit ihm. Er (=Pilatus) erwiderte: Was für ein Verbrechen hat er denn begangen? Da schrien sie noch lauter: Ans Kreuz mit ihm“ (Mt 27,23). In den Evangelien begegnen wir dem Christusglauben der ersten Generationen nach Jesu Tod. Aber wir dürfen auch darüber nachdenken, was damals alles falsch gelaufen ist und woran wir noch heute kranken. Matthäus kann auch ein Lehrer im kritischen Umgang mit der Tradition sein.

 

 


[1] Mt 13,24

[2] Mt 16,19

[3] Die bekannteste griechische Übersetzung wurde die Septuaginta (LXX), die nach der Legende von 70 Übersetzern gleichzeitig übersetzt wurde.

[4] Gut lesbar ist die Studie von Geza Vermes: „Die Geburt Jesu – Geschichte und Legende“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2007. Wesentliche Anregungen und Gedanken dieser Studie gehen auf sein Buch zurück.

[5]Mt 1,1

[6]Am Schluss der Liste in Vers 17 wiederholt Matthäus die dreifache Gliederung.  Für die dahinter liegende Zahlenmystik gibt es keine eindeutige Erklärung. In der letzten Generationfolge stehen eigenartigerweise nur 13 Namen. Möglicherweise ist die auf einen schon sehr frühzeitigen Kopierfehler zurückzuführen

[7] Bereits im Buch Genesis, dem 1. Buch des Pentateuch,  wird die Geschlechterabfolge von Adam bis Noach dargestellt.  Das Buch Numeri, das 4. Buch des Pentateuch, belegt durch lange Geschlechterlisten die erblichen Ämter der Leviten und Priester.

[8] Gen 22,18

[9] Im Hochadel finden wir noch heute dieses Denken, dass Abstammung besonders legitimiert.

[10] Sach 12, 8f

[11] Ps 132, 11

[12] Bibelhandschrift in syrischer Sprache aus dem Jahre 380.

[13] Gen 18,1 f: Gen 21,1 ff

[14] Gen 25,19 ff

[15] Gen 30,22

[16] 1 Sam 1,1 ff

[17] Im Buch Genesis wird diese Schöpfungswidrigkeit allerdings ausdrücklich verworfen.

[18] Die Versuchungen des Patriarchen Lamech, eine aramäische Umarbeitung der Genesis aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. (s. Geza Vermes S. 43)

[19] Erich Weidinger, Die Apokryphen, Pattloch Verlag 1990

[20] Mt 2,11: Die Magier „gingen in das Haus“.

[21] Micha 5,1

[22] Mt 2,6

[23] Micha 5,2f

[24] Num 24, 17 f

[25] 2. Petr 1,19

[26] Apk 22,16

[27] Sueton, Divus Julius 88; zit. nach Geza Vermes

[28] Eusebius, Demonstratio evangelica 9,1; zit. nach Geza Vermes

[29] Mt 2,1

[30] Apg 8,9-13; 13,6

[31] Zit. nach Wikipedia, Heilige Drei Könige

[32] Ps 72, 10

[33]  Wikipedia, Heilige Drei Könige

[34] Jes 60, 1 ff

[35] Mt 28, 18

[36] Wikepedia; Geza Vermes

[37] Pseudo-Philon, Liber Antiquitatum Biblicarum, 1. Jahrhundert n.Chr.; zit. nach Geza Vermes

[38] Mt 2,15b

[39] Die israelische Archäologie hat z.B. Sepphoris ausgegraben, eine moderne hellenistische Großstadt etwa 10 Km von Nazareth entfernt.

[40] Mt 1,25

[41] Mt 2,14; die Nacht ist eine theologische Aussage. Nacht ist eine Chiffre für die Abwesenheit Gottes.

[42] Heutige Forschung deutet das griechische Wort teknon im Sinne von Bauhandwerker.

Kittlauss Dez 25th 2012 06:57 pm Aktuell,Biblische Studien Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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