Wenn „Großväter“ in der Kirche die Macht haben


Der Kölner Kardinal Joachim Meisneri ist mit seinen 79 Jahren für die größte katholische Diözese in Deutschland wie ein absoluter Herrscher ganz allein verantwortlich. In einem Spiegel-Interview bezeichnet er die 68er-Eltern als «metaphysische Asylanten» und «Obdachlose». Weil sie die Jugend nicht mehr an die Quellen des Lebens führten, komme es zu Ersatzhandlungen wie etwa zum Griff nach Kondomen und der Pille. Meisner selbst ist nicht verheiratet.

Die Diskussion um den Zölibat berührt eigentlich eine interne Angelegenheit der Katholischen Kirche. Aber vielleicht ist das zu kurz gegriffen, denn ein weiterer Schwund des Christlichen wäre durchaus für unser ganzes Volk bedeutsam. Was die Katholische Kirche betrifft –und nur da fühle ich mich kompetent, etwas zu sagen-, ist die Situation in Deutschland allerdings viel komplexer, als es manche Leserzuschriften zugestehen. Dazu gehört die Konzentration kirchlicher Macht auf Senioren.

Ich gehöre zu den Menschen, die keine Großeltern kennen, weil sie alle vier schon vor meiner Geburt gestorben sind. Ich habe aber bei meinem Sohn erfahren, wie wichtig für ihn die Omi war, die er bis in sein Erwachsenenalter hinein erleben konnte. Großeltern können einem Kind gerade in den kritischen Zeiten seiner Menschwerdung die Erfahrung von Zuwendung und  Liebe vermitteln, weil sie eben nicht direkte Verantwortung tragen und deshalb großmütig, geduldig und verständnisvoll sein können. Die Natur hat eine zusätzliche Sicherung eingebaut. Normalerweise erlebt jedes Kind vier Großeltern und was wohl noch wichtiger ist, zwei Großmütter, die Ausfall oder negativen Einfluss der Großväter ausgleichen können. In vielen Kulturen ist diese Rolle der Großeltern institutionell für die ganze Gemeinschaft verankert, indem die „Alten“ die Träger der kollektiven Weisheit sind. Die Alten müssen weder  in den Krieg ziehen noch sich den Alltagspflichten zum Überleben stellen, aber sie haben Zeit und Kraft über fundamentale Entscheidungen nachzudenken und die Alternativen abzuwägen.  Im Mittelalter gab es in jedem Dorf eine „weise Frau“ als Trägerin der Geheimnisse von Leben und Sterben. Wenn das stimmt, was ich hier behaupte, und ich habe eigentlich keinerlei Zweifel daran, dann stellt sich die Frage, was derzeit in unserer Katholischen Kirche passiert, wenn die alten Männer nicht die  Vermittler von Liebe und Weisheit sondern die Träger unerbittlicher Macht sind. Dass dies so ist, kann man rein soziologisch feststellen. Man braucht nur einmal das Durchschnittsalter der Männer, die nach den Grundsätzen der katholischen Kirche das Sagen haben, errechnen; z.B. der aktive Klerus einer Diözese oder der Ordinarien (also der Diözesanbischöfe) in der Deutschen Bischofskonferenz. Das Alter unseres Papstes ist gewissermaßen Spiegelbild dafür. Dieses negative Bild verdüstert sich durch den Ausfall der „klerikalen Großmütter“. Abgesehen von einigen Ausnahmen, die mehr den Charakter eines Feigenblattes haben, spielen weise Frauen in der Katholischen Kirche keine Rolle. Die Macht liegt bei den alten Herren, und sie üben diese keinesfalls zimperlich aus. Weil die Bischöfe frühestens erst ab 75 Jahre aus der Verantwortung entlassen werden, haben sie in der Regel auch keine Lebenszeit mehr, um in die Rolle eines bischöflichen Großvaters zu schlüpfen. Entweder haben sie nicht mehr die Kraft dazu oder sie sterben schnell. Diese Analyse ist keineswegs eine Schelte auf die Alten sondern eine tiefe Trauer darüber, dass in unserer Katholischen Kirche die Großmut der Alten gestorben ist. Vielleicht verlieren deshalb so viele Menschen ihre Lebensbeziehung zu unserer Katholischen Kirche. Das hat nichts mit der Attraktivität für die Medien zu tun. Eine Messe vom Petersplatz ist ihres Geldes  wert, da sie Zuschauer lockt und der Quote dient. Massenhefte Events gehören heutzutage zum Leben. Doch wenn man fragt, was der Papst für das konkrete Leben der vielen zu sagen hat, wird man schon viel vorsichtiger. Die Katholische Kirche wird sich weiterhin auf die geschichtliche Dauer ihrer Existenz berufen, dies bezweifele ich überhaupt nicht. Aber auch die ägyptischen Pharaonen haben Jahrtausende überdauert und sind doch heute Geschichte. Die unerbittliche Frage steht im Raum: Was muss sich eigentlich in unserer Katholischen Kirche verändern, damit sie auch in Deutschland an die nächste Generationen eine frohe Botschaft verkünden kann.

Kittlauss Aug 3rd 2012 06:04 pm Katholische Kirche kontrovers Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

Comments are closed.