Wendegeschichte

Am 29. Juni 1963 wurde ich im Erfurter Dom zum katholischen Priester geweiht. Damit ging ein siebenjähriger Weg zu Ende. Am Abend war Empfang mit Andacht in der Pfarrkirche. Hier steige ich, in der Hand die Stola, aus dem Auto, mit dem mich einer der Kapläne von Erfurt abgeholt hatte. Nun begann ein neuer, ebenfalls siebenjähriger Weg. Die folgende Geschichte erzählt dessen Ende

Von Anfang an habe ich den Standpunkt vertreten, dass meine Entscheidung, mich von der katholischen Klerikerkaste wieder zu lösen, meine eigene Entscheidung war. Ich wollte nicht mehr so wie meine „Mitbrüder“ leben, dies möchte ich hier nicht weiter ausführen, sondern nur feststellen. Aber es gab da eine Geschichte nach jesuanischer Art, die in mir einen Wendepunkt erzeugte. Diese Geschichte möchte ich hier erzählen.

Ich war damals Diözesanjugendseelsorger in Erfurt. In jedem Monat gab es einen Gottesdienst in der Bischöflichen Kapelle für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Seelsorgeamtes mit anschließendem Frühstück im großen Konferenzsaal des Bischofshauses. Der Gottesdienst wurde regelgetreu in postvatikanischer Tradition gehalten, das bedeutete, dass alle anwesenden Priester – gekleidet in Messgewänder – sich um den kleinen Altar versammelten und die Anderen in den Bänken blieben. Auch das gemeinsame Frühstück war ritualisiert. Am Kopfende der ovalen Tischgruppe saß der Bischof und zu seinen Seiten die anwesenden Priester. Dann reihten sich rechts und links die Laien ohne feste Ordnung an. Vor den Klerikern war der Tisch gedeckt und entweder die Hausdame des Bischofs oder seine Sekretärin besorgten aufmerksam die Bedienung der Kleriker. Die Laien konnten ihre mitgebrachten Frühstücksbrote auspacken und sich aus den bereit stehenden Kannen Kaffee oder Tee einschenken. Zum Schluss gab es für alle ein Stück Kuchen, den die Bischofsdame meistens selbst gebacken hatte. Als ich diesen Tischritus mehrmals mit erlebt hatte, entstand in mir ein tiefer Groll. Dies hatte mit den offenen Gastmählern Jesu nichts – aber auch gar nichts – zu tun. Deshalb wuchs in mir der Wunsch, ein prophetisches Zeichen zu setzen. Eines Tages war es so weit. Ich setzte mich nicht ans Kopfende, wo ich als Kleriker hingehörte, sondern mitten unter das laikale Volk. Die strengen und missbilligenden Blicke der bischöflichen Hausdame, lassen mich noch heute frösteln. Ich packte mir dann mein Frühstück aus, das ich mir mitgebracht hatte: eine Wurst, Butter und Brot, dazu ein großes Messer, begann zu schneiden und zu schmieren und lud meine Umgebung ein, freimütig zuzugreifen. Was ich da tat, wurde von allen verstanden und alle spürten, dass hier ein Rubicon überschritten wurde. Nach einem langen eisigen Schweigen unterbrach der Bischof die offensichtlich für die meisten peinliche Situation und erzählte irgendetwas. Für mich wurde diese Szene zu einer Art Abendmahlserlebnis. Ich wusste auf einmal, dass ich mich von dieser Klerikerkirche innerlich getrennt hatte. Für meinen Bischof mit seinen Klerikern war es klar, dass ich nicht mehr zu ihnen gehörte. Was nun folgte war nur Begleitmusik, aber veränderte mein Leben grundlegend. Es war so, als ob die Gesetze der Natur für mich wieder Gültigkeit hatten. Ich spürte in mir neue Kräfte, mich erneut auf unbekanntes Terrain zu wagen und meinem Leben eine neue Richtung zu geben. Es war wie ein Abschied von Nazareth. Im Kino, beim Film „My fair Lady“, den ich als braver zölibatärer Priester allein besuchte, wuchs in mir eine unbändige Sehnsucht nach Liebe und Familie. Es dauerte nicht lange, da wurden vom Leben die Weichen gestellt. Bei einer Osterreise nach Sofia mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitenden gingen wir am Ostersonntag in die große Kathedrale zum Sonntagsgottesdienst. Nach dem Gottesdienst blieb der Patriarch beim Auszug aus dem Altar in der Mitte stehen und rief mich zu sich. Er sprach Deutsch und fragte, ob ich katholischer Priester sein? Als ich bejahte (obwohl ich völlig zivil gekleidet war) fragte er mich weiter: „Sie kommen aus Deutschland?“ und nachdem ich völlig entgeistert  genickt hatte, sagte er weiter: „Es ist sehr gut gut, dass Sie sich um die Jugend sorgen; Gott wird sie weiterhin begleiten“. Dann machte er über meinem Kopf ein Kreuz und entfernte sich mit seinem Gefolge. Wir waren erstarrt und es dauerte lange, bis wir uns gefangen haben. Ich will es kurz machen. Auf der Rückreise nach Deutschland saß ich zufällig im Zug Rosemarie gegenüber und —- verliebte mich in sie. Es war Liebe auf den ersten Blick. Zu Hause in Erfurt wuchs unsere Liebe und als Ergebnis entschlossen wir uns, einen offenen Weg mit allen damit verbundenen Risken zu gehen. Aber wie das im Leben so ist. Als wir so weit waren, uns zu outen, bat ich die Bischofssekretärin um eine Gespräch beim Bischof. Doch er kam mir zuvor:“ Ich habe beschlossen, sie als Pfarrer nach Sömmerda zu schicken:“ Ich wusste, dass dies eine freundliche Art von Zwangsversetzung war, wir stimmten schon lange nicht mehr überein. Doch als ich dann mich offenbarte, dass ich im kirchlichen Dienst bleiben aber heiraten wolle, erübrigte sich diese Versetzung. Leider erwies sich meine Hoffnung, dass wir (also der Bischof und ich) eine einvernehmliche Lösung suchen und finden könnten, als naive Illusion. Doch was nun kam, ist eine andere Geschichte.

Kittlauss Jul 2nd 2013 01:19 am Biographisches Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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