Weil sich der Antisemitismus maskiert hat,
muss man genauer hinsehen, so könnte man die Überschrift dieser kleinen Studie fortsetzen. Gemeint ist der Antisemitismus im heutigen Deutschland. Die Soziologen haben herausbekommen, dass ca. 70% der Deutschen antisemitisch eingestellt sind. Obwohl es in Deutschland keine brennenden Synagogen gibt, beschleicht deshalb die Politiker eine permanente Angst, dass rechtsradikale Gruppen, die alle fremden- und vor allem judenfeindlich eingestellt sind, an Einfluss gewinnen. Dass Synagogen sowie jüdische Altersheime und Schulen wie Gefängnisse abgeschottet und flächendeckend polizeilich bewacht werden müssen ist deutscher Alltag, über den man aber nicht gerne redet. Als neulich in Berlin ein Rabbiner, den man wegen Kippa und Schläfenlocken erkennen konnte, auf der Straße von jugendlichen Schlägern überfallen wurde, war dies für die deutsche Öffentlichkeit sichtbar peinlich und furchtbar unangenehm. Doch nicht von diesem öffentlichen Antisemitismus soll hier die Rede sein. Es geht hier um den versteckten Antisemitismus, der sich mit ganz verschiedenen Gewändern maskiert. An einer aktuellen Erfahrung will ich dies erläutern.
Der Koblenzer Regionalkantor Manfred Faig gestaltet seit Jahren mit seinem Jugendchor am Karfreitag um 9 Uhr eine Mette (> Frühgottesdienst). In diesen Metten wird alte und neue Musik gleichermaßen verbunden und mit einem hohen Niveau gestaltet. Der theologische Hintergrund entspricht voll und ganz unserem Denken: Die Erinnerung an den Märtyrertod des Gottessohnes Jesus von Nazareth ist jedes Jahr Anlass, an die dunklen Seiten unserer Zeit zu denken und uns daran im Gebet bewusst zu werden. Die Liebfrauenkirche mit ihrem gotischen Chor und den wunderschönen modernen Fenstern, die 1992 von dem Künstler Hans Gottfried von Stockhausen unter dem Thema „Frauen in der Heilsgeschichte“ geschaffen wurden, schafft eine spirituelle Kulisse. Die nonklerikale Gestaltung ohne Gewänder und Aufmärsche passt wohltuend zum Ernst des Karfreitags. Der siebenarmige Leuchter (Menora) auf dem Altar, dessen Kerzen im Laufe des Gottesdienstes gelöscht werden, die in Hebräisch gesungenen biblischen Klagelieder und die im Wechsel mit dem Chor von allen gesungenen Lieder erreichen offensichtlich das Herz. In diesem Jahr war das Thema „Kriegskinder“ und zwar im Blick auf Palästina. Aus dem Buch der kanadischen Kinderbuchautorin Deborah Ellis waren dazu vier Stimmen von Kindern ausgewählt worden, zwei aus Palästina und zwei aus Israel. Auf den ersten Blick war die Auswahl abgewogen. Aber als der Bericht des 11jährigen Mahmood von einem Jungen gelesen wurde, stutzte ich doch. Das Bild, das von Israel und von israelischen Soldaten beschrieben wurde, war so negativ, dass es nicht mehr aufzufangen war. Gegen einen lachenden Soldaten, der mutwillig Giftgas auf Kinder verschießt, ohne dass diese eine Schutzmaske haben, war auch durch den folgenden Bericht des achtjährigen israelischen Gilli nicht mehr aufzufangen. Als ich dann das Begleitheft näher anschaute, wurde mir klar, dass der antiisraelische Touch nicht zufällig war. Hier hatte sich der alte und böswillige Antisemitismus in der antiisraelischen Maske eingeschlichen. In dem einführenden Text des Begleitheftes ist zu lesen: „Seit der Gründung des Staates Israel 1948 befinden sich Israel und Palästina im permanenten Kriegszustand.“ Nichts an diesem Satz ist historisch richtig. In der Nacht nach der Unabhängigkeitserklärung durch David Ben Gurion begannen die arabischen Staaten Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon. Irak und Syrien den Krieg gegen den jungen Staat. Als 1949 durch Hilfe der UNO der Waffenstillstand mit Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien unterzeichnet beschlossen werden konnte, wurde die Kampflinie als „Grüne Linie“ zur Grenze. Nun begann der bei solchen Konflikte nicht seltene Säuberungsprozess, an dessen Ende alle Juden aus den arabischen Staaten und die Mehrheit der Araber aus dem Staat Israel vertrieben wurden. Dies soll hier genügen, um das tatsächliche Geschehen zu verdeutlichen. Jedenfalls bedrängt mich die Frage, warum sich „der Antisemitismus als antiisraelische Feindseligkeit“ auch bei diesem wunderbaren Gottesdienst so breit gemacht hat? Nicht die Kritik an der Politik Israels ist das Problem, denn diese ist sowohl innerhalb Israels wie auch in der weltweiten jüdischen Diaspora nichts Ungewöhnliches. Nein, es ist der alte judenfeindliche Trick christlicher Geschichte, dass die „Synagoge“ grundsätzlich negativ und die „Ecclesia“ immer positiv gezeichnet wurden. „Israel und Palästina“ sind die heutigen Bilder für antisemitisches Denken, dabei ist Israel in der Regel der Böse und Palästina die Gute. Bilder „ von israelischen Soldaten und palästinensischen Kindern“ sind für die westlichen Medien beliebt. Da sich die westliche Welt auf dieses Schema „Israel und Palästina als gleichberechtigte und souveräne Staaten“ festgelegt hat, gibt es auch kein grundsätzliches Nachdenken mehr. So ist die Frage, ob die arabischen Territorien (Gazastreifen und Westjordanland) außerhalb des Staates Israel überhaupt einen überlebensfähigen Staat bilden können und ob eine mit ausländischer Hilfe erzwungene Konstituierung nicht sogar zwangsläufig die Vernichtung des Staates Israels einleiten muss, nicht zulässig. Die Vision, dass sich diese arabischen Territorien föderativ mit Israel oder aber mit einem arabischen Nachbarstaat verbinden könnten und die ganze Region in guter Nachbarschaft und gegenseitiger Hilfe an Prosperität gewinnen kann, darf auch im Westen nicht einmal gedacht werden.