Was ist dir im Leben wichtig? Gespräch mit Frau Weisheit.

Was ist dir in deinem Leben wichtig? Gespräch mit Frau Weisheit.

Frau Weisheit. Allegorische Figur des Alten Testamentes. Quelle: Bistum Augsburg Pressestelle.

Frau Weisheit. Allegorische Figur des Alten Testamentes. Quelle: Bistum Augsburg Pressestelle.

 

Was ist dir in deinem Leben wichtig?, fragte mich Frau Weisheit und beugte ihren Oberkörper abwartend zurück. Mir stockte der Atem. Was sollte ich auf eine so tief in die Mitte meines Lebens gestellte Frage antworten? Nach kurzem N

achdenken sagte ich: Weil mir das Leben geschenkt wurde, muss ich für andere Menschen im Rahmen meiner Möglichkeiten Verantwortung übernehmen. Die christliche Ethik nennt das Nächstenliebe. Und wie hältst du es mit deinen Feinden, fragte Frau Weisheit weiter  und schaute mich gespannt an. Was meine Feinde betrifft, sagte ich, also Menschen, die mir durch Dummheit oder Bosheit Schaden zugefügt haben, deren Taten muss ich nicht vergessen. Die Narben auf meiner Seele erinnern mich daran, jeden Tag aufs Neue. Doch ich weiß und es gehört zu meinem Leben als Jünger Christi, dass ich jeder Zeit bereit sein muss, die ausgestreckte Hand meines Feindes zu ergreifen. Wenn er kommt und mich um Verzeihung bittet, dann muss ich ihm einen Schritt entgegen gehen. Und wenn er in eine Grube fällt, also in Lebensgefahr ist oder in eine lebensbedrohende Krise kommt, dann muss ich ihm die Hand ausstrecken. Ich muss ihm helfen, so gut wie ich kann. Ich hielt die Luft an. Würde ich das wirklich tun? Doch Frau Weisheit nickte zustimmend. Dann schaute sie mich fragend an. Und wie ist es mit deinen Gedanken, deinen Gefühlen? Musst du nicht auch vergessen? Nein, sagte ich, und nochmals nein, vergessen kann ich das nicht, und ich sah eine ganze Reihe von Menschen an meinem Auge vorbeiziehen, die mein Leben zerstören wollten. Mir geht es wie den Opfern der Shoa, stieß ich völlig kurzatmig heraus.  Verzicht auf Rache ja, aber Vergessen nie. Dann wirst du viele Leichen auf deinem Weg in die Ewigkeit mitnehmen, sagte leise Frau Weisheit und schaute mir ganz tief in die Augen. Willst Du das? Willst du Ihr Weinen un

d Stöhnen mitnehmen zu Gott? Jetzt musste ich mich wehren. Nein, abermals nein. Ich werde niemanden töten! Ich werde niemandem Böses wünschen. Ja, Vater vergib Ihnen, denn sie wussten nicht was sie tun, das will ich beten und mit der ganzen Kraft meines Herzens. Aber vergessen? Nein. Was war, das war. In alle Ewigkeit. Da wedelte Frau Weisheit mit ihrem Finger. Du sollst nicht vergessen, das geht vielleicht gar nicht. Nein. Aber Du sollst Gutes wünschen. Wünsche Shalom und überlass Gott deine Erinnerung. Da spürte ich: Das wars. Dem Feind einen guten Weg wünschen. Auf einmal verstand ich,  dass wir alle gemeinsam auf dem Weg in die Ewigkeit sind. Da spürte ich auf einmal in mir den Frieden Gottes. Da verlor Frau Weisheit ihre Gestalt. Sie ging vielleicht woanders hin, zu jemandem, der so ist wie ich eben noch war.

Kittlauss Mrz 16th 2014 05:15 pm Spiritualität und,Theologie,Was das Leben angeht Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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