Warum wohl die Römischen Prälaten den Priesterzölibat so verbissen verteidigen?

Die Kapelle zur hl Petronella in
Dirlau in ihrer heutigen Form

In der sog. Gemeinderegel im 1. Timotheusbrief ist neben Diakonen und Ältesten auch vom Episcopos (επισκοποσ > Leiter, Aufseher) die Rede. Unter den für den Episcopos genannten Kriterien steht auch die Forderung, ein episcopos solle der Mann einer Frau sein. Mit Rücksicht auf den Gesamtkatalog im Text neigen die heutigen Exegeten dazu, dies nicht mehr im Sinne von succzessiver Polygamie sondern im Sinne von Monogamie zu erklären, d.h. der Bischof solle nicht mehrere Frauen gleichzeitig haben, wie dies damals offensichtlich möglich bzw. üblich war, also nur mit einer Frau leben.
Weiterhin wird verlangt, dass der episcopos ein guter Familienvater sein solle und seine Kinder gut zu erziehen habe. Wichtig ist hier die Begründung: Wer kein guter Familienvater ist, wird auch nicht für die ihm anvertraute Ecclesia Gottes zu sorgen.
Es lohnt sich, über diesen Text nachzudenken, denn wir stehen hier am normativen Anfang von Kirche, der zwangsläufig besonderes Gewicht hat. Aber gerade an diesem Text lässt sich auch ablesen, wie stark sich Kirche seit ihren Anfängen verändert hat. In der Römischen – und in den Orthodoxen Kirchen sind die Episcopoi von heute, also Bischöfe und Pfarrer mit dem Auftrag der Leitung, keineswegs treue Ehemänner und gestandene Väter sondern Single ohne Familienverantwortung. Und dies per Kirchengesetz. Im Lateinischen Ritus der Römischen Kirche ist dieses „Zölibatsgesetz“ (caelebs = allein lebend) sogar als Regelfall auf alle Priester ausgeweitet, obwohl es dazu keine biblische Begründung gibt. Geradezu klassisch hat dies bereits am 25.9.1988 Wolfgang Trilling(†), ein international renommierter katholischer Exeget, in der Leipziger Liebfrauenkirche ohne wenn und aber öffentlich formuliert: “ Der Zölibat ist nicht begründet durch ein Wort Jesu oder eine Aussage des Neuen Testamentes, das ja die Norm für Glauben und Kirche bildet. Jesu Jünger waren – wahrscheinlich alle – verheiratet, die Ehelosigkeit gehörte nicht zu Jesu radikalen Forderungen für die Nachfolge – wie Besitzverzicht und Dienstwille. Die Apostel der frühen Kirche waren verheiratet, außer Paulus, der das als Ausnahme eigens begründet. Im Neuen Testament ist der Zölibat kirchlicher Amtsträger nicht anzutreffen“. Trilling wies bei dieser Gelegenheit auch auf 1 Kor. 9,5 hin. Da schreibt Paulus: „Etwa haben wir nicht das Recht, eine Schwester als Frau mitzuführen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?“. Die hier gebrauchte Interlinearübersetzung (>wort- und satzgetreu) ist völlig korrekt. Wichtige Textzeugen des neunten Jahrhunderts (F,G u.a.) veränderten allerdings den Text in „Frauen mitzuführen“. Noch weiter geht die Einheitsübersetzung: „eine gläubige Frau mitzunehmen“. Man merkt die Tendenz, den Text an die kirchliche Lehre anzupassen. Was Wolfgang Trilling 1988 mit großem Freimut öffentlich aussprach, ist heute exegetischer Alltag: Weil Paulus ehelos leben will, muss er es eigens betonen gegenüber den verheirateten Altaposteln. Noch ein anderer Hinweis. In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie Paulus nach seiner Griechenlandreise einen Tag in Cäsarea bleibt und da im Haus des „Evangelisten“ Philippus, einem der sieben Diakone, einkehrt. Hier erwähnt Lukas eigens, dass Philippus vier unverheiratete Töchter hatte, die über prophetische Rede verfügten.
Erwähnt werden kann auch, dass in der frühen Kirche Geschichten von Petronella, einer Tochter des Apostels Simon Petrus sehr beliebt waren (belegt in den so genannten Apostelromanen), und dass die Petrustochter bis in unsere Zeit als Heilige verehrt wurde. Im Erzbistum Köln gibt es in dem ehemaligen Kloster Füssenich eine Petronellakapelle, die angeblich im ersten Jahrtausend sogar vom Papst eingeweiht worden sei. Das Fest der hl. Petronella ist seit alter Zeit am 31. Mai; ihre Insignien sind Schlüssel und Besen, weil sie für das Haus des Apostels Petrus verantwortlich war. Bis ins unsere Zeit kamen Scharen von Pilgern, um die hl. Petronella, die für Fieberheilung besonders angerufen wurde, zu verehren. Bis zur Säkularisation soll es sogar echte Reliquien gegeben haben. 1890 wurden die Prozessionen eingestellt, weil die Kapelle eingefallen war. 1906 wurde ein verkleinerter Neubau errichtet. 1963 wurde die Kapelle erneut restauriert und unter Denkmalschutz gestellt.

Es lohnt sich auch einen Blick auf das Jesuswort im Matthäusevangelium zu werfen, das oft als Beleg für den Zölibat gebraucht wird: Mt. 19,12: „Es sind (>= gibt) nämlich Eunuchen, welche aus dem Leib der Mutter geboren wurden so, und es sind Eunuchen, welche zu Eunuchen gemacht worden sind von den Menschen, und es sind Eunuchen, welche sich selbst zu Eunuchen gemacht haben wegen des Reiches der Himmel.“ Hier werden drei mögliche Hintergründe für Katastration (>operative Entfernung der Hoden) genannt: Geburtsfehler, Gewalttat und Selbstverstümmlung aus religiösen Gründen. Es bedarf schon ein ganzes Stück Textverdrehung, um aus diesem (insgesamt sehr dunklen) Jesuswort den Priesterzölibat zu begründen.
Dennoch – und es gäbe noch viele andere Gegenargumente – ist es unumstritten, dass die Römischen Prälaten bis zum heutigen Tag den Priesterzölibat mit Klauen und Zähnen verteidigen. Während jeder Zölibatäre, auch wenn er seine Entscheidung für Liebe und Ehe mit großer Rücksicht vollziehen würde, wie ein räudiger Hund auf die Straße gejagt wird, wurde (und wird) einem pädophilen Priester mit Verständnis und Behutsamkeit begegnet und die Verantwortung und Sorgepflicht des Bischofs betont. Damit kommen wir wieder auf den Kern des Problems: Wieso fürchten Papst und Kurienkardinäle eine Revision des Priesterzölibats wie Pest und Hölle. Man muss den Eindruck gewinnen, als ob es ihnen hier um Sein und Nichtsein der Katholischen Kirche gehe. Selbst eherne Werte wie die Sonntagsmesse und die Lebenskraft ganzer Gemeinden und Regionen werden infrage gestellt, um den Pflichtzölibat zu verteidigen. Um die ganze Katholische Kirche wird ein disziplinäres Korsett gelegt. Priester, die eine Liebesbeziehung zu einer Frau haben und vielleicht auch ein Kind zeugen, dürfen nur im Amt bleiben, wenn sie sich von Frau und Kind trennen. Der Ehewille zwischen einem Pflichtzölibatären und einer Frau (nach katholischer Theologie die Basis für das Sakrament) wird also für ungültig erklärt und unter Strafe gestellt Wer für die Veränderung des Plichtzölibates eintritt, hat keine Chance auf innerkirchliche Karriere, er wird weder Bischof noch Theologieprofessor, er bleibt sogar lebenslang gebranntmarkt. Wie groß muss die Angst unter den 3000 Bischöfen der Katholischen Kirche sein, dass keiner von ihnen das heiße Thema Priesterzölibat nur beim Namen zu nennen wagt?

Foto des emeritierten Bischofs Walter Mixa. Ihm wurde u.a. vorgeworfen, dass er Heimkinder körperlich gezüchtigt haben soll und dass er in seine Heimsauna Theologiestudenten mitgenommen habe.Quelle: Dr. Christoph Gold, Bischöfliche Pressestelle des Bistums Augsburg, Creative Commons Lizenz Wikipedia.

Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass der Pflichtzölibat in der Katholischen Kirche keineswegs allgemein gültig ist. Konvertierte nichtkatholische Pfarrer erhalten trotz Ehe und Familie die Priesterweihe. Ganze Gruppen erhalten sogar ein Sonderrecht. Durch ein eigenes päpstliches Gesetz können seit einiger Zeit in der Anglikanischen Kirche alle verheirateten Priester und Bischöfe, die zur Katholischen Kirche wechseln, die katholische Priesterweihe erhalten und ihre Ehe fortsetzen. Bischöfe können sogar die Jurisdiktion (> bischöfliche Verantwortung für eine Gruppe oder ein Gebiet)) als Ordinarien bekommen und dürfen die bischöflichen Insignien (Mitra, Stab und Ring) tragen. Auch der Blick zur orthodoxen Kirche, mit der die Katholiken Kommuniongemeinschaft haben dürfen, zeigt, wie wenig der Priesterzölibat in der Praxis gilt. Dass die Priester der orthodoxen Kirchen oft verheiratet sind, ist allgemein bekannt. Dass aber für die orthodoxen Kirchen, die sich mit dem Papst versöhnt haben (unierte Kirchen) und deshalb zur Katholischen Kirche – ganz offiziell – gehören, mit dem Codex Orientalis ein Sonderrecht geschaffen wurde, der Zölibat nur für Mönche und für ehelose Priester (die also unverheiratet geweiht wurden) vorgeschrieben ist, dürfte eher wie ein Top – Secret gehütet bleiben.
Merkwürdig ist auch, dass die 50.000 katholischen Priester, die aus dem priesterlichen Dienst ausgeschieden bzw. entfernt worden sind, auch wenn sie verheiratet oder sogar wieder geschieden sind, im Notfall unter Androhung von Kirchenstrafen priesterlichen Beistand leisten müssen. 50.000 verheiratete Priester als eine Art Notfallreserve – eine absurde Geschichte. Unbestritten ist außerdem, dass schwule Priester kein Problem mit dem Zölibat haben sondern eher, einen festen Partner zu finden oder zu behalten. Auch die typischen Junggesellen oder Frauenfeinde unter den Priestern werden kaum unter dem Zölibat leiden. Für Priestermönche übrigens gilt das Zölibatsgesetz nur deshalb, weil sie eben Mönche sind. Die Gelübde haben sie bereits bei der Profess geleistet. Mit einem Wort: Der Priesterzölibat trifft nur einen Teil der klerikalen Kirchenmänner.
Deshalb noch einmal; Warum kämpfen die Römischen Prälaten so verbissen gegen eine vernünftige Revision des Priesterzölibates. Ich muss gestehen, je mehr ich darüber nachdenke, umso weniger weiß ich eine Antwort. Das Argument der mittelalterlichen Kirche, nur durch den Pflichtzölibat den materiellen Besitz vor Erbschaftsabfluss wahren zu können, ist nicht mehr zutreffend. Die Biblische Theologie gibt keinerlei Argumente zur Verteidigung. Dass Beruf und Familie manchmal schwierig zu vereinbaren sind, ist kein Geheimnis. Aber niemand würde heute sagen, dass der zukünftige und spätere Arzt auf Beziehung, Ehe und Familie verzichten muss, um ein guter Arzt zu sein. Es ist auch eine Binsenwahrheit, dass Ehelosigkeit an sich überhaupt keinen Zeichenwert hat. In der modernen Gesellschaft ist man Single, weil man so leben will oder aber keine Alternative hat. Ein Single kann faul sein, egoistisch, triebhaft, gemein, machtbesessen, alkoholabhängig oder gierig, dies gilt auch für zölibatäre Priester und Bischöfe.

Zoelibata von Cleri ist eine satirische Weisheitsfrau, die ihre Sprüche aller Welt verkünde. Quelle: Mitteilungsblatt der Vereinigung katholischer priester und ihrer Frauen (VkPF). Die Genehmigung wurde gegeben.

Ja, es ist schon mehr als merkwürdig, dass es in der Katholischen Kirche einen solchen Kampf für den Priesterzölibat gibt, verbissener als Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen.
Wenn man nach Antwort sucht, ist man auf Vermutungen angewiesen, weil es keine wissenschaftlich fundierte Befragung der Römischen Hierarchie gibt. So könnte es daran liegen, dass die Mehrheit der Bischöfe und Prälaten aufgrund ihres biologischen Alters nicht mehr in der Lage ist, kritische Fragen zuzulassen, würden sie doch gegebenenfalls ihr eigenes Leben hinterfragen. Warum soll ein bald 80jähriger Kirchenmann wie der Kölner Kardinal Meisner, der sein ganzes Leben zölibatär gelebt oder vielleicht auch zu leben versucht hat, den jungen Priestern von heute zugestehen, was ihm verwehrt war? Nachdem Joseph Ratzinger zum neuen Papst gewählt worden war, konnte man im Fernsehen öfters eine Frau in seiner Begleitung sehen. Es war Ingrid Stampa, eine deutsche Musikprofessorin, mit der Ratzinger nach dem Tod seiner Schwester Maria 1991 zusammenlebte. Vierzehn Jahre bildeten die beiden eine harmonische Lebensgemeinschaft. Sie führte den Haushalt, kochte seine Lieblingsgerichte, machte die Wäsche und – was Wunder- musizierte mit ihm, denn sie war ausgebildete Cellistin. Wenn der „eiserne Präfekt in schwarzer Priestersoutane“ nach Hause kam, fand er ein Heim vor, in dem er zu Hause war. Vierzehn Jahre gab es die Lebensgemeinschaft zwischen Joseph Ratzinger und Ingrid Stampa, erweitert 2003 durch Georg Gänswein, den neuen Sekretär. Als Joseph Ratzinger in die vatikanische Papstwohnung umgezogen war, verschwand Ingrid Kampa. Wie in den Medien geschildert wurde, besteht die neue Papstfamilie aus vier ausgewählten Nonnen, den beiden Sekretären und – wie wir neuerdings wissen – dem Kammerdiener. Was ist passiert? Auch hier kann man nur spekulieren. Naheliegend wäre es, dass die Riege der Kurienkardinäle es verhindern wollte, dass eine „neue Papissa“ in den Vatikan einzieht. Neunzehn Jahre hatte Pascalina Lehnert allein bestimmt, wer Zugang zu Papst PIU XII bekam. Der Grimm der Kurienkardinäle auf diese Frau war so groß, dass sie noch am Todestag des Papstes mit einem Köfferchen den Vatikan verlassen musste. Hier läge jedenfalls die Erklärung, warum Ingrid Stampa allein in der bisherigen Wohnung zurückbleiben musste. Was hier in diesem Zusammenhang wichtig ist; Wie sah es wohl im Herzen des sensiblen Joseph Ratzinger aus? Wurde er deshalb noch härter als bisher? Es ist ja nicht auszuschließen, dass Benedikt XVI. in seinem bisherigen Leben schmerzhafte Erfahrungen der Liebe hatte und deshalb bei ihm so viele Abneigungen gegen Liebesbeziehungen gewachsen sind. Wenn ja, dann wurden nun alte Wunden aufgerissen.
Es ist nicht auszuschließen, dass bei den alten Hierarchen die erfahrenen Liebesnöte, Enttäuschungen und Einsamkeiten einen Panzer um ihr Herz gelegt haben, denn auffallend ist es, dass ihre „Lieblingsthemen“ oft mit Sexualität, Beziehung und Frauen zu tun haben.

Eine zweite Vermutung ist auch nicht ganz abwegig, dass das schwule Klima im katholischen Klerus und damit auch unter der Hierarchie doch viel größer und einflussreicher ist, als bisher angenommen. Jedenfalls ist es nicht abwegig, dass der Priesterzölibat eine Art Schutzschirm ist. Je mehr sich die Aufmerksamkeit auf den Zölibat richtet, umso weniger beschäftigt sich die Öffentlichkeit mit „anderen Lebensweisen“. Weil Milieus eine nicht zu unterschätzende Anziehungskraft haben, so wie die New Yorker Chinatowns immer wieder Chinesen anziehen, wäre es durchaus nachvollziehbar, dass das zölibatäre Milieu einen bestimmten Typ Mensch anzieht. Und weil das hierarchische System sich selbst vermehrt, erhält sich das Milieu.
Wie gesagt, dass sind Vermutungen, nicht mehr. Vielleicht braucht die Katholische Kirche eine offene Diskussion um die Hintergründe dieser zölibatären Don-Quichotte-Mentalität?

Satire aus dem Mitteilungsblatt der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen. Genehmigung wurde gegeben.

Wenn manchmal gesagt wird, es sei doch Sache der Katholischen Kirche, wie sie Struktur und Disziplin gestalte, ist das prinzipiell richtig. Aber man darf nicht übersehen, dass es bei dem Konflikt um den Priesterzölibat um Menschenrechte, Grundrechte und damit Grundlagen unserer modernen Zivilisation geht. Auch das Kopftuch der islamischen Mädchen und Frauen ist eigentlich deren persönlich-religiöse Sache. Und doch sehen viele darin ein Symbol für die bei uns überwundene Frauenunterdrückung. So ist vielleicht auch der Widerstand der katholischen Prälaten gegen eine Revision des Priesterzölibats ein deutliches Zeichen, dass die Menschenrechte in der Katholischen Kirche noch nicht angekommen sind.

 

Kittlauss Jul 12th 2012 03:54 pm Katholische Kirche kontrovers Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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