Von der Villa Sayn zum Hedwig-Dransfeld Haus

 

Ein Spaziergang durch 150 Jahre Bendorfer Geschichte

(Erstveröffentlichung auf www.Bendorf-Geschichte.de)

 

Die Bendorfer Nervenheilanstalten

wir erinnern uns zunächst an ein Stück vergessener Stadtgeschichte

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Bendorf zu einer bedeutenden Industriestadt, geprägt vor allem durch Erzabbau, Bimsgewinnung, Eisenguss und Baustoffindustrie. Im 19. Jahrhundert setzte zusätzlich eine ganz andere Entwicklung ein. Innerhalb weniger Jahrzehnte erwarb sich Bendorf durch seine vier Nervenheilanstalten europäischen Ruf. Diese Geschichte unserer Stadt ist heute weniger bekannt und stand wohl auch bisher nicht so sehr im Vordergrund des allgemeinen Interesses.

Vier Namen begründeten den Ruf von Bendorf als Ort der Nervenheilkunde: Die Nervenärzte Erlenmeyer, Brosius und Colmant und Meyer Jakoby, der Vorstand der jüdischen Synagogengemeinde.

Für alle Bendorfer Nervenheilanstalten gilt, dass sie auf dem Gebiet der Nervenheilkunde Pionierleistungen erbracht haben. Erinnern wir uns, daß es damals üblich war, Behinderte und Geisteskranke vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Sie galten als Gefahr und Schande, und die angewendeten Methoden waren nach unseren Maßstäben oft grausam und menschenunwürdig. Die Bendorfer Nervenärzte aber sahen in ihren Patienten Menschen, deren Leiden sie lindern und heilen wollten. Sie setzten Wasserbehandlung, Erleben der Natur, Luft- und Sonnenbehandlung, körperliche Betätigung, Ernährung, Gemeinschaft und Zuwendung als Therapie ein. Deshalb hatten auch alle vier Heilanstalten nicht zufallig ein großes Parkgelände. Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieses Kurwesen damals exklusiv nur Menschen aus den vermögenden Bevölkerungsschichten zur Verfügung stand. Aber dies müssen wir aus der damaligen Zeit heraus verstehen. Wir können stolz darauf sein, daß gerade in Bendorf im vorigen Jahrhundert die Humanisierung der Nervenmedizin begann.

 

 

Auf den Spuren von Dr. Brosius

Zwischen Dr. Brosius und dem jetzigen Hedwig – Dransfeld – Haus (HDH) besteht ein gewisser Zusammenhang. Deshalb müssen wir uns ihm zuwenden.

1863 kaufte Dr. Brosius die „Villa Sayn“ an der Straße von Sayn nach dem Westerwald.(jetzt zum Hotel saniert). Wenige Jahre später erfolgte die Erweiterung durch ein Hintergebäude und ein Nachbarhaus (später als Fünftannenhaus bekannt)

1857 begründete der Nervenarzt Dr. Brosius die „Heilanstalt für Nerven- und Gemütskranke“ in der Hauptstraße (später Arztpraxis Renzel). Brosius erwarb sich schnell einen internationalen Ruf und die Nachfrage nach seinen Therapieplätzen war groß, sodaß die Klinik ständig erweitert werden mußte. 1863 kaufte Dr. Brosius die „Villa Sayn“ an der Straße von Sayn nach dem Westerwald.(jetzt zum Hotel saniert). Wenige Jahre später erfolgte die Erweiterung durch Hintergebäude und ein Nachbarhaus (später als Fünftannenhaus bekannt). Dr. Brosius hatte sich auf gemütskranke Frauen spezialisiert und deckte ein breites Feld ärztlicher Hilfe ab: Untersuchungen, Kurzzeittherapie, Kuren und Daueraufenthalte. In der ursprünglichen Villa Sayn (vorderes Gebäude) befanden sich Arztpraxis und Wohnung, im hinteren Gebäude waren Plätze für Dauerpatientinnen, das Nachbarhaus diente für Kurgäste als Badehaus und Pension. Der jetzt fast völlig verbaute ehemalige Weinberg war damals ein weitläufiges Parkgelände mit Wegen und Ruheplätzen, vor allem aber mit einem sehr guten Fernblick auf das Rheintal und die Eifel.

1878 begann Dr. Brosius mit dem Bau einer neuen Klinik am Stadtrand von Bendorf. Möglicherweise war die Verschmutzung von Brex und Saynbach der Hintergrund der Verlegung. Dr. Brosius kaufte am Ende des Mühlentales von der Familie Remy einen beträchtlichen Besitz und errichtete hier die Klinik „Waldesruh“. Zu dem Projekt gehörten der auf der rechten Seite des Wenigerbaches (im Gegensatz zum Großbach der kleinere Bach) gelegene Ebhardsberg, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts von dem Bendorfer Amtsverwalter Johann Arnold Ebhard sehr mühsam aufgeforstet worden war. Auf der anderen Seite gehörte zur neuen Klinik das Berggelände zwischen Weniger- und Großbach unterhalb des Jüdischen Friedhofs.

Die Waldesruhe auf einer Postkarte. Die Aufnahme entstand um 1911. So ungefähr sah das neue Sanatorium aus.

Dr. Brosius hatte hier, was er brauchte: Wald und unbelassene Natur, Wasser (durch die beiden Bäche), Sonne (auf den Berghöhen), Ruhe und vor allem auch Platz. Das neue Klinikum umfaßte ein Kurhaus ( Kern des jetzigen Haupthauses des HDH), ein neues Wohnhaus für Familie und Angestellte (jetziges Annenhaus des HDH) und auf der anderen Seite des Wenigerbaches das frühere Remy’sche Wochenendhaus, das im Volksmund wegen des Baustils Schweizerhaus bzw. wegen der vielen Frösche auch Froschhaus genannt wurde.

Das neue Sanatorium erwarb zunehmend internationalen Ruf. Die Literatur berichtete von Patientinnen aus Holland, Rußland und dem Baltikum.

Bereits vor dem 1. Weltkrieg kaufte der Nervenarzt Dr. Zanke die Waldesruh und ließ zahlreiche Umbauten durchführen. Leider starb Dr. Zanke, der die Klinik ganz im Geist von Dr. Brosius geführt hatte, an den Folgen eines Unfalls, und sein Nachfolger, ein Dr. Zöllner, war den Aufgaben nicht gewachsen. Die Waldesruh wechselte nun mehrmals ihren Besitzer, bis sie schließlich von einem Kaufmann Rezepka erworben wurde. Dieser paßte sich dem damaligen Trend an und wollte das Anwesen zu einem Erholungsheim gestalten. Dazu arrangierte er zahlreiche Umbauten und auch eine bauliche Erweiterung. Für seine Frau (angeblich als Versöhnungsgeschenk nach einer Ehekrise) baute er im Hang ein Berghaus (jetziges „Haus am Berg des HDH“). Da er aber vom Kur- und Erholungswesen offensichtlich nicht viel verstand und wohl auch keine inneren Beziehungen hatte, konnte das Projekt keinen Erfolg haben. In der Folgezeit wechselte das Anwesen mehrmals den Besitzer, bis dann 1925 ein neues Geschichtskapitel begann..

 

 

Die „Frauen mit Hut“ um Hedwig Dransfeld

Hedwig Dransfeld wurde am 24. Februar 1871 in Hacheney bei Hörde/Westfalen in der Oberförsterei ihres Vaters, Clemens Dransfeld, und dessen Frau Elise, geb. Fleischhauer, geboren.

Im deutschen Katholizismus gab es in den zwanziger Jahren zwei zahlenmäßig große Frauenverbände: den deutschen katholischen Frauenbund und die in den Pfarrgemeinden örtlich organisierten Müttervereine. Der Frauenbund wurde von der Zentrale in Köln geleitet und war im gesamten Deutschen Reich in sog. Zweigvereine gegliedert. Eine der prominentesten Gestalten des Frauenbundes mit seinen ca. 2 Millionen eingeschriebenen Frauen war die Lehrerin, Schriftstellerin und Politikerin Hedwig Dransfeld. Hedwig Dransfeld war vom Leben schwer gezeichnet Am 24. Februar 1871 geboren, wurde sie bereits mit acht Jahren Vollwaise. Während ihres Studiums am Königlichen Katholischen Lehrerinnenseminar in Paderborn erkrankte sie an Knochentuberkulose. Unter einer zweifachen Amputation (Ferse und Arm) leidet sie ihr ganzes Leben. Dennoch beendet sie das Studium erfolgreich. Sie arbeitet als Hilfslehrerin an der Höheren Mädchenschule der Ursulinen in Werl, betätigt sich als Journalistin, schreibt Gedichte und Geschichten für Kinder, legt 1897 die Schulleiterinnenprüfung ab, übernimmt die Redaktion der Zeitschrift ,,Die Christliche Frau“, bis sie schließlich die Führung des deutschen katholischen Frauenbundes übernimmt.

Aus eigener leidvoller Erfahrung sieht es Hedwig Dransfeld als ihr Lebenswerk an, sich für die Chancengleichheit der Frauen einzusetzen. Bildung und öffentliche Verantwortung der Frauen sind Kernziele ihres Wirkens. Dass sie 1918 in die Politik geht, dann bis zu ihrem Tod 1925 als Zentrumsabgeordnete im Deutschen Reichstag wirkt, ist eine Konsequenz ihres Engagements. Während ihre Weggefährtin, Helene Weber, die Politik als Nachholbedarf für Frauen betont, engagiert sich Hedwig Dransfeld mehr bildungs- und sozialpolitisch.

Hedwig Dransfeld ist nie in Bendorf gewesen, und doch wurde ihr Name fest mit unserer Stadt verbunden. Das liegt an der Geschichte von den „Frauen mit Hut“.

„Die Frauen mit Hut“, wie man die meist aus mittelständischen Familien stammenden leitenden Damen des Frauenbundes nannte, passten gar nicht in das traditionelle Bild der „drei katholischen K: Kirche, Kinder, Küche“. Sie waren gebildet, erstaunlich offen gegenüber den Problemen ihrer Zeit, immer sozial engagiert. Besonders die Not der Frauen in Arbeiterfamilien, die am stärksten unter den Nachkriegslasten litten, lag ihnen am Herzen. Deshalb wollten die „Frauen mit Hut“ für die „Frauen mit Kopftuch“ konkrete Hilfe leisten und gleichzeitig auch für die Öffentlichkeit ein Zeichen setzen. Bei der Generalversammlung des Frauenbundes im Jahre 1924 stellte Emma Horion im Namen der westdeutschen Zweigvereine den Antrag: „ein Heim zu gründen, das Erholungs- und Bildungszwecken dienen solle.“

Die Zielgruppe waren Arbeiterfrauen aus den industriellen Ballungsgebieten. Die Idee: diesen oft ausgelaugten Frauen zwei Wochen körperliche und geistige Erholung, religiöse Impulse und vor allem neuen Lebensmut zu geben. Dem Antrag wurde mit großer Begeisterung stattgegeben. Eine Lotterie unter den katholischen Frauen Deutschlands ergab die beträchtliche Summe von 40.000 Reichsmark. Mit diesem Geld und einem Bankdarlehen wurde am Stadtrand von Bendorf ein Anwesen gekauft: die „Waldesruhe“, die ehemalige Klinik von Dr. Brosius. Warum fiel die Wahl gerade auf Bendorf? Wir können es nur vermuten. Bendorf lag zum Ruhrgebiet verkehrsmäßig sehr günstig und doch zwischen Rhein und Westerwald landschaftlich schön. Der Stadtteil Sayn war anerkannter Luftkurort und durch das Sanatorium der Firma Krupp überregional bekannt. Eine Rolle spielte sicherlich auch der niedrige Preis für das ziemlich verwahrloste Anwesen. Der Name war schnell gefunden: „Hedwig – Dransfeld – Haus“ sollte das ganze Projekt heißen, denn die gerade verstorbene Hedwig Dransfeld war mit ihrem langjährigen sozial – politischen Engagement aus christlicher Verantwortung Initiatorin und Vorbild für das gesamte Programm. Es begann sehr abenteuerlich. Die Chronisten berichten: „In das völlig verwilderte Anwesen zogen ein: Maria Schräder und Hedwig Scherz (mit den Schweinen Lis und Lene, dem Milchschaf Jeannette und Fridolin und Emmerentia, den Urahnen eines bald reich gefiederten Hühnerhofes)…. Der Frauenbund gratulierte zum Einzug, die Bayern schenkten Porzellan, die Fuldaer Leinen, die Ostpreußen die Bettfedern, die Oberammergauer den Zimmerschmuck und die Westfalen erste Schweine.“ Die Schwerpunkte der inhaltlichen Arbeit waren vorgegeben: Müttererholung, religiöse und soziale Bildung für Frauen, sozialpolitische Fachtagungen des Frauenbundes und seiner Zweigvereine, liturgische Feiern, Gemeinschaft und internationaler Austausch.

Die Waldesruhe auf einer Postkarte aus dem Jahre 1926.
So sah das Anwesen aus, als es vom Frauenbund übernommen wurde. Rechts oben im Wald das ausgebaute Rezeptahaus. Ganz rechts unten das kleine Teehaus, das bis zum Bau der Schwarzkapelle als Gebetsraum diente. Das Hauptgebäude hat noch die Dachterasse und den Turm. Links am Bildrand das „Schweizer“- oder „Froschhaus“.

Es ist deshalb sachgemäß, von Bendorf als der Wiege des späteren Deutschen Müttergenesungswerkes zu sprechen. Mit der ganzheitlichen Sicht der Einheit von Seele, Geist und Leib wurde an die Tradition der großen Bendorfer Sanatorien erfolgreich angeknüpft.

Bereits 1926 wurde das kleine Teehaus im Park durch den Düsseldorfer Architekten Rudolf Schwarz zu einer Kapelle ausgebaut. Von ihr sind vier Glasfenster, der Kreuzescorpus, der Innentabernakel, der Fuß des Altars und einige Gerätschaften in der heutigen Kapelle des Hedwig – Dransfeld – Hauses noch erhalten. Bei der großen Ausstellung über Rudolf Schwarz im Sommer 1997 im Kölner Museum für angewandte Kunst wurde das Gesamtwerk von Rudolf Schwarz gewürdigt. Dabei gab es auch Exponate aus der Kapelle des Hedwig -Dransfeld – Hauses zu sehen.

 

 

Der Jugendbund – die 1926 er Generation des Frauenbundes

Die Anspielung auf die 1968 ziger Generation läßt vielleicht am besten verstehen, was in den folgenden sieben Jahren im Bendorfer Hedwig – Dransfeld – Haus grundgelegt wurde. Der Frauenbund wurde von den „alten Damen“ der Zentrale in Köln straff geführt. Nach außen fortschrittlich und sozial – politisch engagiert, doch nach innen ziemlich autoritär wie die gesamte damalige Katholische Kirche. Wie alle Verbände hatte auch der Frauenbund einen Jugendverband. Er nannte sich, Jugendbund“, umfaßte naturgemäß nur Mädchen und hatte seine Zentrale nicht in Köln sondern weit weg und zwar in München. In der damaligen Zeit spielten Abzeichen und Fahnen eine große Rolle. Der Jugendbund wählte sich das doppelte Kreuz als Abzeichen auf dem Kleid. Auf dem Banner gab es das schwarze Doppelkreuz auf weißem Tuch. Es war die Zeit der Jugendbewegung. Natur erleben und Gemeinschaft pflegen, sich bilden und freimachen von den Zwängen der Erwachsenengesellschaft, neue Ideen und Visionen haben, solche Visionen beherrschten das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Für den Jugendbund als katholische Mädchenbewegung kam die religiöse Komponente dazu und diese hieß vor allem: persönliche Spritualität, Leben in einer Gruppe, Verarbeitung moderner Theologie, Entwicklung von Gottesdiensten in erlebbarer Gemeinschaft, christliche Verantwortung in der Welt, Kirche mitgestalten und erleben.
Die führende Gestalt des Jugendbundes war über viele Jahre Maria Buczkowska.

Marie Buczkowska war die 1. Leiterin des Jugendbundes, und war u.a. im Frauenbund Bayern und im Bundesrundfunkrat tätig; in Bendorf ist sie die geliebte „Urahne“. Ihre Nachfolgerin im Amt wurde Anna Vogt

Sie war Dozentin an der „Sozialen Frauenschule“ in München, einer Einrichtung, die auf Initiative des Frauenbundes entstanden war, und hatte gleichzeitig im Zentralvorstand des Frauenbundes das Referat Jugendbildung und Jugenderziehung inne. Eine ihrer Schülerinnen war Anna Vogt, eine zierliche junge Frau aus Tübingen. Im Gegensatz zu Hedwig Dransfeld, Helene Weber, Albertine Brandenberg, Gerta Grabbel und den vielen prominenten Damen des Frauenbundes, die alle eine akademische Vorbildung erworben hatten, gehörte Anna Vogt zu der Generation, die durch den 1. Weltkrieg entwurzelt wurde, Vermögen, gesellschaftliche Stellung und meist auch ihre Partner verloren hatten. Als der Frauenbund die Idee von sozialen Frauenschulen in München, Köln und Aachen verwirklichte, entschloss sich Anna Vogt zu der Ausbildung einer Sozialfürsorgerin und kam so auch mit Maria Buczkowska in Kontakt. Zwischen beiden Frauen entstand eine intensive Beziehung. Als sich Maria Buczkowska auf Grund ihres Alters entschloss, die Leitung der Jugendarbeit in der Zentrale des Frauenbundes abzugeben, schlug sie Anna Vogt zu ihrer Nachfolgerin vor. Seitens der Frauenbundzentrale gab es zwar gegenüber Anna Vogt erhebliche Bedenken, da diese keine akademische Ausbildung hatte, aber schließlich setzte sich Maria Buczkowska mit ihrem Vorschlag durch. Anna Vogt, so berichtete ihre Sekretärin, Lotte Dichgans, war eine sehr schöne Frau; sie hatte blonde Locken und trug am liebsten blaue Kleider. Wichtiger aber war ihre Fähigkeit, Orientierung zu geben und spirituelle Einsichten in konkretes Handeln zu übersetzen. Dazu gehörten die Erziehung in einer konkret erlebbaren Gemeinschaft (Gruppe) und die Selbsterziehung zu einem verantwortlichen Leben.

Im Jugendsekretariat 1926.
von links: Anna Vogt und Lotte Dichgans- Schiffler

Als Anna Vogt erkannte, dass die Pläne zur Errichtung eines Frauenzentrums in Bendorf am Mittelrhein konkrete Gestalt annahmen, setzte sie durch, dass das Jugendsekretariat des Frauenbundes dorthin verlegt wurde. Dadurch wurde das Hedwig – Dransfeld – Haus im nächsten Jahrzehnt zum religiösen, geistigen und lebensmäßigen Mittelpunkt von ca. 200 Mädchengruppen aus dem ganzen Deutschen Reich. Anna Vogt hatte ihr Sekretariat in dem kleinen Gartenhaus und gestaltete das ehemalige Rezepkahaus zur Jugendherberge. Tausende von jungen Mädchen kamen damals nach Bendorf.

Ostern 1933 organisierte Anna Vogt das Reichstreffen des Jugendbundes mit 900 Delegiertinnen in St. Hildegard, der Bendediktinerinnenabtei Eibingen. Ohne Gegenstimme wurde sie wieder zur Bundesführerin des Jugendbundes wiedergewählt. Damals rief Anna Vogt den Mädchen und jungen Frauen zu: “ Ihr habt mich gerufen. Aber ihr wißt, dass ich es euch nicht leicht mache, dass ich unerbittlich bin. Dass ich fordere und nie von der Forderung abgehen werde. Wer hören wollte, hat hier, gestern und vorgestern hören und verstehen können, wie ich das meine. Das Entscheidende ist, dass wir verantwortlich vor dem Volk leben. Junge Frauenbewegung darf es sich niemals leisten, in schönen Kreisen ein selbstgenügsames Leben zu fuhren………Wir müssen Zeugnis geben, das ist das Entscheidende. Das ist die Frage an unsere Frauengeneration, ganz gleich, wie sich unser Leben auch morgen gestalten mag, daß wir Zeugnis geben, wie die großen und starken Menschen, die in schweren Zeiten gelebt haben“.

Anna Vogt war maßgeblich an den Zielen des Jugendbundes beteiligt. Die Satzung trägt ihre Handschrift: „Wir wollen lebendige Glieder der katholischen Kirche sein. Wir wollen der Sendung dienen, zu der Gott die Frau ruft. Wir wollen die Anforderungen der Zeit erkennen in christlicher Weite und Verantwortung. Wir wollen als Deutsche arbeiten an der christlichen Gestalt unseres Volkes inmitten der Völker.“

Durch die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik und die Auflösung aller Verbände wurde die Arbeit des Jugendbundes beendet. Anna Vogt wurde schwer krank und lebte in den Folgejahren zurückgezogen, bis sie am 26. März 1943 im Alter von 46 Jahren nach langem Leiden verstarb.

 

 

In den Wirren der Kriegsjahre

Anna Heidermanns (1887- 1969)
Anna Heidermanns hat ihre geistigen Kräfte und ihr Engagement für die Frauenbildung im Katholischen Deutschen Frauenbund fast 50 Jahre eingesetzt. Anna Heidermanns war von Beruf Volkswirtin; sie leitete 1921 -1925 als Generalsekretärin des Bundes die Zentrale in Köln, in den Jahren 1926 -1940 baute sie als Dezernentin für Frauenfragen die Hausfrauenvereinigung des Bundes auf und machte sie zum Gesprächspartner im politischen Raum. 1940 übernahm sie die Leitung des HDH in Bendorf, das sie 1924 mit gegründet hatte. Obgleich 1948 pensioniert, verblieb sie weiterhin im HDH.

Da Hedwig Dransfeld ihre ganze Kraft der Politik widmete, wurde 1921 Anna Heidermanns, eine diplomierte Volkswirtin, zur Generalsekretärin des deutschen katholischen Frauenbundes gewählt. Als 1925 das Geld zur Besoldung fehlte, wurde Anna Heidermanns als Dozentin für Frauenfragen in der Hausfrauenvereinigung des Frauenbundes angestellt. Mit Helene Weber und Hedwig Dransfeld brachte sie in die deutsche Sozialpolitik die katholische Stimme ein und war eine wichtige Gesprächspartnerin im gesamten politischen Deutschland. Mit der Beendigung aller Verbandstätigkeit durch die nationalsozialistische Diktatur mußte sich die Frauenarbeit in der Katholischen Kirche auf den innerkirchlichen und rein religiösen Raum beschränken. Deshalb mußte sich auch Anna Heidermanns ein anderes Tätigkeitsfeld suchen. 1940 übernahm sie bis zu ihrer Pensionierung 1948 die Leitung des Hedwig – Dransfeld -Hauses in Bendorf, das sie mit gegründet hatte. Während dieser Zeit war sie Mitglied des Stadtrates und des Vorstandes des Zweigvereins Bendorf des katholischen deutschen Frauenbundes.

Die Leitung des Hedwig – Dransfeld – Hauses verlangte von Anna Heidermanns ihren ganzen Einsatz. Das Haus spiegelte mit seinen unterschiedlichen Verwendungszwecken die damaligen Wirren wieder: Lazarett, Entbindungsheim, Flüchtlingsstätte, Notunterkunft. Unzähligen Menschen gab Anna Heidermanns Lebenshilfe. In der Festschrift zum 50. Jubiläum des Hedwig – Dransfeld – Hauses wird sie als „weise“ Frau benannt.

 

 

Der Neubeginn mit Anneliese Debray

Anneliese Debray (1911 – 1985) verkörpert in besonderer Weise die neue Generation: attraktiv, belesen, eloquent, hochbegabt, Führungsfähigkeit, spirituell, theologisch denkend, weltoffen.

Wie überall im Nachkriegsdeutschland begann man auch im Hedwig – Dransfeld – Haus mit dem Wiederaufbau. Diese Geschichte ist auf das engste mit Anneliese Debray verbunden. Anneliese Debray wurde am 30. Mai 1911 in Lünen in Westfalen geboren. Der Vater, ein künstlerisch begabter Mensch, war Kaufmann. Die Mutter starb schon 1918 und ließ drei kleine Kinder als Waisen zurück. Frühzeitig lernte Anneliese Debray die Härten des Lebens kennen und musste für die beiden jüngeren Geschwister Fritz und Monika Verantwortung übernehmen. Um der Familie aus wirtschaftlicher Not zu helfen, brach Anneliese Debray ihre Schulbildung am Gymnasium ab und ließ sich zur Sekretärin mit Fremdsprachenkenntnissen ausbilden. In Bonn, dem späteren Wohnsitz der Familie, lernte Anneliese Debray den Jugendbund des katholischen deutschen Frauenbundes kennen und identifizierte sich schon bald mit dessen Zielen und Idealen. Besonders Anna Vogt beeinflusste das Denken und die Spiritualität von Anneliese Debray. Durch Vermittlung ihrer früheren Schuldirektorin, einer Ursulinin, erhielt sie in Hamburg in der Ölwirtschaft eine Stelle als Chefsekretärin. Wie ihre Freundin, Lotte Dichgans (später verheiratet unter dem Namen Schiffler), erzählte, war Anneliese Debray schon damals nicht nur eine enorm attraktive und schöne Frau sondern auch voller Elan. Deshalb war es kein Wunder, dass sie mit den Leiterinnen der Hamburger Jugendbundgruppe in Konflikt kam. Als sie erkannte, dass dieser Konflikt nicht zu lösen war, zog sie sich von der bestehenden Gruppe zurück und gründete zunächst in Hamburg und dann auch außerhalb fünf neue Gruppen. In dieser Zeit wuchsen viele Freundschaften, die den Grundstock für den späteren HDH e.V. bildeten.

Als Anna Vogt 1939 erkrankte, übernahm Ilse Sondermeier, Sozialarbeiterin in Köln, die geheime Führung der „Reste“ des Jugendbundes. Anneliese Debray baute mittels des Bendorfer Sekretariates ein Netzwerk von Kontakten auf. Aber das HDH in Bendorf stand unter der ständigen Überwachung durch die Gestapo. Deshalb waren schließlich nur noch Treffen in kleinen Gruppen an diversen Orten, getarnt als persönliche Ferien, möglich.

1945 verzichtete Anneliese Debray auf ihre berufliche Karriere und konzentrierte sich ganz auf die Neuformierung des Jugendbundes, indem sie die Leitung des Bendorfer Sekretariats übernahm. Innerhalb kurzer Zeit gab es 200 Gruppen, die Anneliese Debray durch viele Reisen und Rundbriefe inspirierte. Die Jugendherberge wurde zum Zentrum intensiver Seminararbeit. Im Frühjahr 1946 schrieb Anneliese Debray in einem Rundbrief: “ Meine lieben Schwestern, Grüß Gott! Nun kommen meine herzlichen Grüße und Wünsche aus Bendorf zu Euch, wo ich im Sommer bis in den Herbst hinein wohne und Euch erwarte, daß wir gemeinsam die Heimat wieder aufbauen, daß Ihr euch für den Alltag daheim Freude und Kraft, neuen Mut und Anregungen holt. Am Palmsonntag haben wir bei strahlendem Frühlingswetter die Herberge – (gemeint war die Jugendherberge)- und das Sekretariat neu eingeweiht, und zur Feier dieses Ereignisses hatte sich der Park in ein herrliches Festgewand aufbrechenden Grüns und vieler, vieler Blüten gekleidet…. Die Maiwerkwochen müssen leider wegen Ernährungsschwierigkeiten ausfallen. Es hat sich erwiesen, daß die Versorgung, wie wir sie Ostern durchführten, nicht ausreicht. Wir wollen es nun so einrichten: Wir wirtschaften selbst. Es sind keinerlei Vorräte vorhanden. Die einzelnen Gruppen müssen für ihre Verpflegung selbst aufkommen, indem sie die Dinge selbst mitbringen oder per Expreß verschicken …Jede muß das ihre tun. Die Gaue – (so hießen die Landesverbände)- untereinander werden austauschen, z.B. hat sich Hildesheim bereit erklärt, für die Industriewochen die Kartoffeln zu liefern.“

Wie sehr sich Anneliese Debray mit dem HDH verbunden fühlte, soll ein Satz aus einem von ihr verfassten Beitrag im Gauheft – Heft 1954 belegen: „Bendorf! Das Wort hatte für mich einen Klang, lange bevor ich es kannte. Bendorf war ein Begriff, bei dem es einem warm ums Herz wurde, bei dem man beschwingt wurde zu kühnen Taten und Wagnissen……..Als ich zum erstenmal dort ausstieg, war es einsam und bewegt – und wenn ich später vom Norden herunter fuhr zur Osterwerkwoche, konnte man ab Köln nicht mehr stille sitzen, begrüßte jeden Baum und jeden Strauch unterwegs – sah endlich die hohen Pappeln auf der Höhe, und dahinter lag Bendorf“! Die Synonymität von HDH und Bendorf sollte nicht überhört werden. Doch die Renaissance der Verbandsarbeit dauert nicht lange. Anneliese Debray erkennt, dass die Zukunft nach anderen Strukturen verlangt. Sie gibt deshalb 1950 die Leitung des Jugendsekretariates an Martha Griebel ab und übernimmt dafür die Leitung des Hedwig -Dransfeld – Hauses. Doch da gibt es ein großes Problem: die Führungsriege der „alten Damen“ des Frauenbundes. Hier in Köln in der Zentrale herrschte Unsicherheit, Angst und Verärgerung über die vielen Alleingänge der jungen Damen in Bendorf. Dieser Konflikt ist bisher nicht aufgearbeitet. Überschaubar ist lediglich das Ende dieses Konfliktes.

 

 

Der Beginn einer neuen Epoche: Die Gründung des Hedwig – Dransfeld – Haus e.V.

Am 20. Mai 1951 kommt es in Essen zur Gründungsversammlung eines Vereins, des Hedwig – Dransfeld – Haus e.V. Dieser will in alleiniger Verantwortung das Hedwig – Dransfeld -Haus in Bendorf übernehmen. Unter der Leitung von Frl. Dr. Krabbel sprechen 12 junge Frauen Anneliese Debray mehrheitlich das volle Vertrauen aus. Lediglich die bereits erfahrene Politikerin, Helene Weber „sagt, daß man nicht so viel von Vertrauen sprechen sollte, sondern nach einem Jahr das Fazit ziehen sollte“. Es geht um Umbaupläne in Bendorf, um die Annahme von Hilfsgeldern aus dem Mc- Cloy- Fonds, um die Trennung vom Frauenbund und um die Übernahme des Hedwig – Dransfeld – Hauses. Im Protokoll heißt es: „Zentrale und Hedwig – Dransfeld – Haus müßten auf verschiedenen Wegen für die Ziele des kath. Deutschen Frauenbundes und der katholischen Frauenbewegung arbeiten“. Damit war alles gesagt. In weiser Voraussicht der Realitäten war auf der vorangegangenen Mitgliederversammlung des Frauenbundes am 19.5.1951, bereits beschlossen worden, „dem neu zu bildenden E. V. Hedwig – Dransfeld – Haus das Heim für einen Kaufpreis von 51.000 DM anzubieten“. Der neue Verein ist nicht zimperlich. Das Kaufangebot wird angenommen und in der Vereinssatzung wird der kath. Deutsche Frauenbund nicht mehr genannt. Für die einzuleitenden Baumaßnahmen wird die Priorität festgelegt: Flüchtlingswohnungen, Jugendherberge, Verlegen der Küche, neue Kapelle, Erweiterung des Mütterhauses – (jetziges Haupthaus des HDH)-. Eine Woche später, nämlich am 28. Mai 1951 erfolgt in Köln die notarielle Beglaubigung und die erste Mitgliederversammlung des Hedwig – Dransfeld – Haus e.V. Die 10 Vereinsmitglieder wählen in den Vorstand: Renate Fuisting als Vorsitzende, Dr. Gerta Krabbel als ihre Stellvertreterin, außerdem Anna Heidermanns und Gerda Wintzen. Von den fünf Mitgliedern des Beirates werden drei vom Zentralvorstand des Frauenbundes benannt. Und dann geht es gleich zur Sache. Vermögensbestandsaufnahme, Stand der Bauplanung und -finanzierung (der Architekt Leitl hatte bereits die Pläne fertig und verlangte nach seinem Honorar). Auch ein Bauleiter muss besoldet werden. Die künftigen Reisekosten für Vorstand und Beirat trägt der neue Verein. Die Finanzierung der Transaktion wird genau beschrieben: Übernahme einer eingeschriebenen Hypothek der Sparkasse Koblenz in Höhe von 26.000,-DM durch den neuen Verein, Gewährung einer neuen Hypothek von 25.000,- DM zugunsten des Frauenbundes. Frau Hölzgens signalisiert, dass sich der Frauenbund möglicherweise großzügig verhalten würde. Dass bei allem die Hauptakteurin, Anneliese Debray, völlig im Hintergrund bleibt und nur bei der Erörterung von Aktivitäten und Geld auftritt, scheint niemanden zu stören.

Bereits einen Monat später, am 29.6.1951, kommt es in Bendorf zur nächsten Mitgliederversammlung. Neun Damen sind anwesend. Es geht um Geld, Baupläne und Anstellungen.

 

 

Das neue Hedwig – Dransfeld – Haus

In einem atemberaubenden Tempo verändert sich nun das Hedwig – Dransfeld – Haus. Mit ihren Verlobten bringen die jungen Frauen die ersten Männer ins Haus. Die Gäste werden internationaler, denn Versöhnung und Frieden werden zentrale Themen. Die zaghaften Ansätze der kirchlichen Erneuerung aus der Jugendbundzeit werden von Anneliese Debray zielstrebig vorangetrieben. Viele junge Theologen und Ordensleute kommen in das HDH nach Bendorf, um ihre Visionen und Ideen zu verbreiten. Ökumene und Una Sancta -(die geeinte Kirche) – sind die neuen Zauberworte, für die sich im Bendorfer HDH Frauen verantwortlich fühlen. Wichtig ist für sie alle vor allem die Unabhängigkeit. Die jungen (und junggebliebenen älteren) Frauen um Anneliese Debray wollen ihre eigenen Visionen verwirklichen. Statt der traditionellen Jugendverbandsarbeit wird Jugendsozialarbeit besonders für Mädchen aus strukturschwachen Gebieten wichtig. Auch die traditionelle Müttererholung wird weiter geführt, allerdings wird immer deutlicher, dass sich die traditionellen Mütterferien mit der Turbulenz des generationen- und nationenübergreifenden Bildungsbetriebes nur schwer vertragen.

Das neue Zentrum:
In der Mitte: die in den Jahren 1953/54 neu erbaute Kapelle,
links: das „Mütterhaus“
rechts: das ebenfalls neue „Annenhaus“.

Gerade rasant ist der Bauboom. 1953 wird die alte „Schwarzkapelle“ abgerissen. In neun Monaten wird die neue Kapelle gebaut. Der Slogan heißt: “ Frauen bauen Kirche“. Bei der Einweihung am 25. Oktober 1953 spricht Dr. Maria Schlüter – Hermkes in ihrem Festvortrag den kühnen Satz:“ Man darf sagen, daß eine neue kirchengeschichtliche Epoche begonnen hat“; gemeint ist: “ Wenn aber bedingungslose Hingabe an Gott früher meist hieß: die Welt verlassen, so heißt das heute öfter und öfter, in der Situation bleiben, in die man hineingestellt ist… man weiß sich zur Heiligkeit berufen, nicht trotz Ehe und Beruf, aber auch nicht nur in Ehe und Beruf, sondern durch Ehe und Familie, durch Berufsarbeit, durch politische, kulturelle, wirtschaftliche, soziale Arbeit. Als religiöse Menschen hat man die Heiligkeit des großen Sakramentes, die Würde der Familie, den Adel des Leibes, die Schönheit der Erde wiederentdeckt. Man wendet sich der Natur, dem Beruf, der Weltarbeit in jedem Sinne zu als Material der Spiritualität. Man hat verstanden, daß christliches Leben, heilige Gottesliebe ohne jede Einschränkung in jedem Milieu möglich ist“. Die große Veränderung der Katholischen Kirche, wie sie 10 Jahre später auf dem II. Vatikanischen Konzil zum Durchbruch kommt, hat in Bendorf eine ihrer Wurzeln.

Beim Abriß und Neubau der Kapelle sind viele junge Menschen engagiert, u.a. aus Frankreich, den Niederlanden und aus Belgien. Der Internationale Jugendaufbaudienst kommt mit einer größeren Gruppe. Nicht zufällig sind auch evangelische Theologiestudenten mit dabei. Die Kapelle erhält den Namen „Maria Frieden“. Noch während der Bauarbeiten beginnt die ehrwürdige Anna Heidermanns täglich den Mittagsangelus zu läuten, Ausdruck der Kontinuität und des generationenübergreifenden Miteinanders.

Ein besonderes und sehr kostbares Geschenk für die neue Kapelle ist eine alte russische Ikone. Dr. Lotte Schiffler erzählte die Geschichte so: „In Stalingrad brannte die russisch orthodoxe Kirche hell. Der deutsche Leutnant ging mit Kameraden zu löschen. Er war ein evangelischer Pfarrer, durch Zwang im Militär. Sie konnten löschen. Der Pope brachte zum Dank dem Leutnant eine Rolle Papier. Die Ikone. Durch Gefangenschaft und Rückzug brachte der Pfarrer die Ikone heim, brachte sie seiner Frau mit. Die hängte sie auf, in der Mitte der Familienstube. Aber der Pfarrer, Freund von Manfred – (gemeint ist der Franziskaner Manfred Hörhammer) -: sie gehört nicht zu mir. Es ist soviel gebetet, gesungen, geweint, gepriesen worden vor ihren Augen. Manfred, wohin gehört sie? Manfred kam und wußte den Platz. Es gibt ein Tal im Wald, still, ein Haus, kleine Kirche, Maria zum Frieden. Darf ich sie dahinbringen, schenken, neue Heimat finden? Sein Pfarrer – Freund verstand sofort. Du sagst: Jugend wird sie sehen und Mütter, neue deutsche Menschen, neuer Anfang. So brachte uns Manfred die Ikone. Ich war dabei. Man fand einen Rahmen und einen Hintergrund. …. Eines Tages kam ein Benediktinermönch aus Belgien, aus seiner Abtei. War es Chevetogne? Anneliese Debray hielt ihn auf: Sie arbeiten mit der Ostkirche? Können Sie kyrillisch? Ja, er begann zu entziffern. Jede Ikone hat ihren besonderen Namen. Dieser Name steht hier oben am Rand, rundum: Mutter der Weisungen – Geheimnis in Begegnung – Unsere liebe Frau vom Frieden“.

Die Ikone hängt noch heute in der Kapelle des HDH. Eine weitere Kostbarkeit ist der von dem weltweit berühmten Künstler aus Höhr-Grenzhausen, Eugen Keller (†), gestaltete Tabernakel. Die Außentüren sind einer jüdischen Thorarolle nachempfunden. Nach deren Öffnung zeigen sich die goldenen Innentüren, die eher an einen Tresor als an einen sakralen Behälter erinnern. Dahinter steht die Sicht, dass Zugang zum Christentum nur über das Judentum zu gewinnen ist und das Christentum in seinem Wesen keine neue Religion sein will. Der Tabernakel und der dazugehörige Leuchter sind aus bearbeiteter Bronze gefertigt.

Anneliese Debray baut rastlos weiter, für den laufenden Betrieb eine hohe Belastung. Das Annenhaus wird für den sozialen Werkdienst ausgebaut. Mit dem „Blauen Saal“ entsteht ein größerer Versammlungsraum, das Mütterhaus wird erweitert, so dass ein größerer Speisesaal gewonnen wird. Der Park wird gestaltet. Aber das Bauen ist nie Selbstzweck. All die vielen Menschen und Gruppen, die nach Bendorf in das HDH kommen, werden in das Baugeschehen eingebunden, fühlen sich persönlich verantwortlich. Das HDH ist ihr Haus. Es gibt in dieser Zeit Versuche, dem HDH eine neue innere Struktur zu geben. Ein Beispiel ist die Michaelsgemeinschaft – eine Vision von gemeinsamem Leben, Arbeiten und Beten. Eine Art „Schwarzes Kloster“ wie bei Martin Luther steckt als Idee dahinter. Aber diese Ansätze kommen nicht zum Tragen. Vielleicht lag es auch daran, dass Anneliese Debray eine zu starke Persönlichkeit war, die sich letztlich nie völlig einordnen konnte und mit ihren ständig neuen Ideen und Visionen die Umwelt faszinierte und doch auch überforderte.

 

 

Das neue Müttergenesungsheim: Gussie – Adenauer – Haus

Panorama- Aufnahme des HDH, noch ohne „Martinshaus“.
ganz hinten; Das neue Müttergenesungsheim „Gussie – Adenauer – Haus“.
davor links; die ehem. Gaststätte „Schützenhof“. Dieser wurde angekauft und zum „Sonnenhof“ umgebaut.
Die ehemalige Sonnerterasse wurde überbaut und dient heute als Speisesaal. Die anderen Räume dienen für Aufenthalt, Küche und Vorrat. Im ersten Stock sind Zimmer und Büros.
Das neue Bettenhaus ist mit dem Sonnenhof durch einen Verbindungsgang und das Empfangsbüro verbunden. Im Bettenhaus ist im ersten Stock eine Badeabteilung mit Wannen, Massagetischen und Arztzimmer. Die Betten-Etagen haben jeweils an den Enden Sanitäreinheiten.

Am 25. Mai 1963 kommt der Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Bendorf zur Einweihung des neuen Müttergenesungsheims „Gussie – Adenauer – Haus“. Es gibt um diese Einweihungsweiher viele Geschichten, denn es war ziemlich ungewöhnlich, dass sich so viel politische und kirchliche Prominenz zur Einweihung eines Müttergenesungsheims in einer ziemlich unbedeutenden Stadt versammelte. Eine Version lautet so: Die Frauen um Anneliese Debray wollten durch die Einweihung die Idee der Müttergenesung mehr in die Öffentlichkeit bringen. Zunächst wählten sie den Namen von Gussie Adenauer, der zweiten Frau von Konrad Adenauer, bewußt aus, um ein Zeichen zu setzen. Konrad Adenauer konnte nur so viel leisten, weil ihm seine Frau Gussie während der Rhöndorfer Zeit eine Heimat bot und insgesamt den Rücken frei hielt. „Gussie Adenauer, Gefährtin und Helferin in Notzeiten und Verfolgung, als Bild der Ermutigung für viele Mütter, die täglich mit neuem Leide aus den Großstädten zu uns kommen“, schrieb Anneliese Debray. Aus der Namenswahl ergab sich als Konsequenz, den Bundeskanzler zur Einweihung einzuladen. Natürlich kam eine freundliche Absage, aber der Bundeskanzler wollte zwei seiner Söhne schicken. Doch so leicht ließen sich die Bendorfer Frauen nicht abspeisen. Die Methode war genial. Sie baten den Ministerpräsidenten, Dr. Peter Altmeier in Vertretung des Bundeskanzlers zu kommen. Dieser sah in der Einladung eine günstige Gelegenheit, sich gegenüber Konrad Adenauer zu profilieren. Mit der Zusage des Ministerpräsidenten fühlte sich Konrad Adenauer zurückgesetzt und gab überraschend seine Zusage. Dann war es nicht schwer, die anderen nach Bendorf zu holen: den Regierungspräsidenten von Koblenz, den Bischof von Trier, den Abt von Maria Laach, den Landrat, den Vorsitzenden des Diözesancaritasverbandes, den Dompropst von Trier sowie den Generalvikar wie auch den Superintendenten des Kirchenkreises Koblenz und den Ökumenreferenten der Rheinischen Landeskirche. Am Stadtrand von Bendorf war für einen Tag gewissermaßen die Welt zu Hause.

Ähnlich abenteuerlich wie die Einweihung war die Baugeschichte. Am Ende des Wenigerbachtals gab es eine kleine Gaststätte mit dem Namen „Sonnenhof“. Das Betreiberehepaar wollte das Haus aufgeben und verkaufen. Es gab offensichtlich mehrere Angebote. Als aber bekannt wurde, dass ein Großbetrieb ein Erholungshaus für seine Mitarbeiter einrichten wolle, sah Anneliese Debray ihre ganze Arbeit gefährdet. Noch lange Zeit bekamen die leitenden Beamten im Mainzer Sozialministerium Alpträume, wenn sie sich an das Bendorfer Feuerwerk von Plänen, Anträgen und Finanzierungsmodellen erinnerten. Zunächst sollte die ganze Jugendarbeit aus dem Komplex des HDH ausgegliedert werden, gedacht war vor allem an Bildung und Ausbildung von Mädchen aus sozial schwachen Familien, später an Maßnahmen der Resozialisation. Zuschüsse werden beantragt, Darlehen besorgt, Bettelbriefe verschickt, denn Ideen sind da, aber kein Geld. Als die Finanzierung für den Kauf einigermaßen gesichert ist, wird die Katze aus dem Sack gelassen: es soll ein neues Müttergenesungsheim gebaut werden – modern mit Einzelzimmern, eigener Physiotherapie, unter Einbeziehung der schönen Bendorfer Umgebung, mit neuesten Therapieansätzen, ein Beispiel weit über die Grenzen von Rheinland – Pfalz hinaus. Anneliese Debray setzt ihre ganze Energie ein. Für das neue Betten- und Therapiehaus hilft die Bundeswehr bei den Bagger- und Sprengarbeiten. Als Architekt wird wieder Alfons Leitl gewonnen. Eigentlich fast nebenbei und meist mit freiwilligen Helfern wird neben dem neuen Kurheim eine alte Garage abgerissen und eine große Halle gebaut: als Gymnastikhalle „für Yoga, Zen und Entspannungsübungen, aber auch für Konzerte, Feste aller Art und Gottesdienste (wenn die Kapelle zu klein ist)….“ (A. Debray).

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Offen für die Schwachen – Sozialarbeit im HDH

Links im Bild: Frau Dr. Charlotte Schiffler. Stadtälteste im Frankfurter Magistrat. Sekretärin von Anna Vogt, viele Jahre im Vorstand des HDH e.V., „die Großmutter des Hauses“, wie sie sich später selbst nannte, hier im Gespräch mit Frau Kerstin Weber- Fahr

Dr. Charlotte Schiffler, langjährige Stadtälteste von Frankfurt, und ehemals Sekretärin von Anna Vogt, erzählte folgende Geschichte: „Ich fuhr in Manhattan mit dem Bus und setzte mich auf einen Platz für Farbige. Als der Kontrolleur kam, sagte er zu mir: „Only for Colours“ (= nur für Farbige). Da antworte ich ihm: „Im Colour“ (= Ich bin eine Farbige)“. Diese Geschichte beschreibt sehr gut die Sensibilität der Bendorfer Frauengeneration für „die auf der Schattenseite des Lebens“. Dies betraf Menschen mit körperlichen Leiden (z.B. Körperbehinderte), aber auch Benachteiligte, Menschen nach Schicksalsschlägen, Flüchtlinge, psychisch oder seelisch Kranke, wie auch Menschen, die beruflich in Schwierigkeiten geraten waren. Manchmal stöhnten die Mitarbeiterinnen über die offenen Türen, fühlten sich selbst hintangesetzt. Aber die Türen blieben offen. Für den Stil des Hauses war es bezeichnend, dass es immer darum ging, die Beteiligung am normalen Leben zu ermöglichen. Integration war in Bendorf selbstverständlich, als er noch in der Sozialarbeit ein Fremdwort war. Inneres Motiv der großen sozialen Verantwortung war eine ganz tiefe Spiritualität, der Glaube an einen uns alle liebenden Gott. Kurz vor ihrem Tod schrieb Anneliese Debray: „Im Hinblick auf den Tod kam mir plötzlich in den Sinn: wir gehen ja auf eine Begegnung zu. Er wartet – erwartet uns — und ich lebe, daß ich das nicht vergesse. Weihnachten ist ein Vorgeschmack des Wiederkommens.“

Die vielfältigen sozialen Initiativen des HDH können hier nur sehr knapp dargestellt werden. Zu erwähnen ist zunächst der „Soziale Werkdienst“, der an der bündischen Idee des freiwilligen sozialen Dienstes anknüpfte. 1947 wurde der erste Kurs durchgeführt. 24 Mädchen, meist Abiturienten, absolvierten zur Vorbereitung auf Leben und Beruf ein soziales Jahr in Bendorf. In den verschiedenen Bereichen des HDH lernten die Mädchen Kochen, Backen, Raumpflege und – gestaltung, Weben, Nähen und Gartentätigkeiten. In Kooperation mit dem Bendorfer Krankenhaus und den Kirchgemeinden wurde auch die Hauspflege einbezogen. Neben diesen praktischen Lernfeldern gab es eine umfassende Lebensbildung. Mitte der 50er Jahre wurde das „Bendorfer Lehr- und Dienstjahr“ eingeführt, das es auch jüngeren Mädchen nach Abschluss der Haupt- und Mittelschule ermöglichte, ein soziales Jahr zu absolvieren. .Ein Team von qualifizierten Frauen stellte sich als Lehrkörper zur Verfügung. In der Chronik werden Agnes Schweitzer, Emmy Schräder, Margarete Krömer, Dr. Ruth Nick und David Gathen genannt. Durch die Genehmigung der Bezirksregierung Koblenz wird aus einem Modell eine „staatlich genehmigte Haushaltungsschule“. 1957 ist es Resi Bock, die für den sozialen Werkdienst ein neues Konzept erarbeitet.

1958 kam es durch die Vermittlung von Regierungsrat David Gathen aus Mönchen – Gladbach zu einem bemerkenswerten Experiment. David Gathen erwirkte einen Forschungsauftrag des Kultusministeriums von Nordrhein – Westfalen, um für 30 Pädagogigstudierende ein vierwöchiges Sozialseminar durchzuführen. Es ging um die Frage, worin der soziale Auftrag des Lehrers als Volksbildner bestehe. Das HDH erwies sich hierfür als idealer Tagungsort. Insgesamt wurden bis 1961 vier solche Kurse durchgeführt, die in der Fachliteratur große Beachtung fanden.

Ein anderes Beispiel für die zahlreichen sozialen Initiativen des HDH sind die therapeutischen Freizeiten für Patienten und Pflegepersonal aus psychiatrischen und forensischen Anstalten, die durch die französische Sozialpädagogin, Marie Terese Fachon, konzeptionell und modellhaft entwickelt, wurden. Sie hatten ein doppeltes Ziel: sowohl kranke und forensisch verwahrte Menschen auf die Entlassung in ein normales Leben vorzubereiten wie auch Weiterbildungsmodelle für die Zusammenarbeit von Pflegepersonal und Ärzten zu entwickeln.. In Zusammenarbeit mit dem Kuratorium Deutsche Altershilfe, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Seniorentanz und dem evangelischen Erwachsenenbildungswerk Rheinland – Süd wurden zahlreiche Ausbildungskurse für Mitarbeiterinnen in der Altenarbeit konzipiert und durchgeführt. Im Rahmen der Müttergenesung und in Kooperation mit dem Bundesverband der St. Georgspfadfinder wurde die Zielgruppe der Mütter von behinderten Söhnen und Töchtern eigens erfasst. Bemerkenswert waren auch die vielfältigen Angebote für die Kooperation von Körperbehinderten im Rahmen des Deutsch – f ranzösischen Jugendaustausches sowie die Freizeiten für geistig behinderte junge Erwachsene.

 

 

Bendorf- das offene Haus der Ökumene

Als Anna Vogt das Sekretariat des Jugendbundes in das neue Haus in Bendorf verlegte, „begann sie, Ostern als das zentrale Fest der Christenheit, als die wichtigste Botschaft im Leben des Christen zum Mittelpunkt der Jugendarbeit und des Lebens im HDH zu gestalten. Ostern war das jährliche große Treffen der Führerschaft des Jugendbundes aus dem ungeteilten Deutschland, um die Kar- und Osterliturgie miteinander zu feiern und die Arbeit des Bundes zu bedenken“. (A. Debray).

In enger Zusammenarbeit mit dem Kloster Maria Laach wurde die Liturgische Bewegung, also die Erneuerung der Liturgie in der Katholischen Kirche, die Wiederentdeckung von alten Gottesdienstformen und die Neuentwicklung von neuen Elementen, zu einem zentralen Anliegen des Lebens im Hedwig – Dransfeld – Haus. In der neuen Epoche kommt der ökumenische Gedanke dazu. Hier spielte sicherlich wie überall in Deutschland eine große Rolle, dass sich Christen und Christinnen der verschiedenen christlichen Kirchen in den Jahren des Terrors und des Kriegsschreckens direkt in ihrem Glauben erlebten. In den Bombennächten und im Schützengraben wurden die tief verwurzelten Konfessionsgrenzen relativiert. Anneliese Debray und ihre Freundinnen wollen das HDH zum offenen Haus der Ökumene gestalten. 1968 erfolgen Verhandlungen mit dem Bistum Trier, eine Mitträgerschaft beim HDH zu bejahen und so das Haus zu stützen. Motiv ist aber nicht der „Blick nach den Geldtöpfen des Bistums“ sondern der Gedanke, mit Hilfe des Bistums die Kontakte zur Rheinischen Landeskirche so zu festigen, dass sich beide Kirchen gewissermaßen in Bendorf ökumenisch verpflichten und engagieren. Eigentlich geht der Blick von Anneliese Debray noch weiter. Sie möchte das Erzbistum Köln, die Bistümer Mainz und Limburg sowie die entsprechenden Evangelischen Landeskirchen in das Projekt einbinden. Manches gelingt, manches erweist sich als Illusion. Es wird ein Ökumenischer Beirat gebildet, der sogar hochkarätig besetzt ist. Neben dem Oberkirchenrat Schroer von der Evangelischen Kirchenleitung in Düsseldorf sitzt der Generalvikar von Trier. Am 1. Januar 1973 beginnt Hermann Denkers als evangelischer Pfarrer seine Arbeit im HDH als Studienleiter für die ökumenische Erwachsenenbildung, ein verheirateter ehemaliger Jesuit übernimmt einige Zeit später den katholischen Part – beide Stellen von den beiden Kirchen finanziert. 1977 wird sogar der evangelische Pfarrer Horst Adams feierlich in der Kapelle des HDH in seinen Dienst eingeführt. Aber mit der zeitlichen Entfernung vom II. Vatikanischen Konzil reduzieren sich auch die ökumenischen Visionen – allerdings nicht in der konkreten Arbeit, bei Seminaren und Kursen. Hier ist es besonders dem evangelischen Erwachsenenbildungswerk Rheinland – Süd zu verdanken, dass in Bendorf Ökumene alltäglich praktiziert wird.

Ortgies Stakemann, evangelischer Pfarrer aus Norddeutschland. Wenn den Berufstheologen die „versöhnte Verschiedenheit“ nicht gelang, half er aus dem Hintergrund. Unvergessen bleibt, wie er mit seinem Holzbein auf das Dach stieg und von hier aus Bachchoräle in das Tal blies.

Es ist vielleicht typisch für den Geist im HDH, dass auch evangelische Mitarbeiterinnen mit Selbstverständlichkeit in Schlüsselpositionen angestellt sind. Unvergessen bleibt auch der evangelische Pfarrer, Ortgies Stakemann (†), der in seiner Bescheidenheit und Spiritualität oft die Wogen glättete. Wenn nichts mehr lief, stieg er mit seinem Holzbein auf das Dach und blies auf seiner Trompete einen Bachchoral.

 

 

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – der jüdisch – christliche Dialog im HDH

Rabbiner Lionel Blue, Direktor der jüdischen Hochschule „Leo Baeck School“ in London spricht 1975 bei der 7. Jüdisch – christlichen Bibelwoche im Hedwig -Dransfeld – Haus einen Toast aus.

Das II. Vatikanische Konzil der Katholischen Kirche veränderte die theologische Sicht des Judentums und ermöglichte zahlreiche Korrekturen einer langen Unheilsgeschichte, in der die Juden für die Christen einzig die Mörder des Messias waren. Anneliese Debray erkannte in ihrer Weitsicht, dass es sehr konkrete Schritte der Annäherung bedurfte und sie wollte unbedingt zu den Pionieren gehören. Aufgrund ihrer Kontakte zu führenden Vertretern des liberalen Judentums in England holte sie 1969 mit einer Bibelwoche den jüdisch -christlichen Dialog nach Bendorf. Die Idee war einfach und genial: Christen lassen sich von Juden führen, um das Alte Testament besser und vielleicht auch ganz neu zu verstehen. Die Vision wurde Wirklichkeit. 1973 sagte Anneliese Debray zum Beginn der 5. Jüdisch – Christlichen Bibelwoche: „Hier am Ort unseres Treffens ist eine Oase, von der aus dann jeder in die Vielfalt seiner Pflichten zurückkehrt nach einer Woche gemeinsamen Betens und Meditierens, des Hinhörens, was die Bibel uns wieder mit auf den Weg gibt, den wir fegen wollen, um die Wahrheit zu suchen und auszuteilen. Wir sind weiter bemüht, alle willkommen zu heißen, von welcher Ecke der Welt oder der Religion oder Meinung sie kommen mögen. Es herrscht ein offenes Klima, in dem jeder seine Meinung sagen kann.“ Der heutige Direktor der jüdischen Hochschule „Leo Baeck“ in London, Rabbiner Dr. Jonathan Magonet, der neben seinem Lehrer, Rabbiner Lionel Blue, einen ganz wichtigen Anteil an der Kontinuität und Weiterentwicklung der Bendorfer Bibelwoche hatte, wies des öfteren darauf hin, “ daß in der jüdischen Tradition der Exodus immer unter uns geschieht; jeder muß sich so betrachten, als ob er aus Ägypten ausgezogen ist, ja daß er selber aus Ägypten auszog.“ Und die altehrwürdige Benediktinerin, Sr. Oda Hagemeyer, schrieb:“ Dasselbe gilt ja auch für uns Christen; jeder Christ weiß sich herausgeführt, aus der Finsternis ins Licht, aus ägyptischer Gefangenschaft in die Freiheit der Kinder Gottes, Der Exodus ist und bleibt das zentrale Thema jüdischer und christlicher Tradition. Dies wurde von Anneliese Debray durchgehend mitvertreten, mitgetragen und aufrechterhalten.“ Bezeichnend für die Bedeutung der Bendorfer Bibelwoche ist ein Satz von Jan Fuchs, ein nach Manchester emigrierter deutscher Jude: “ Obwohl Bendorf doch nur eine Insel ist, hat mir diese Insel neues Vertrauen und neue Unbefangenheit gegeben. Gelobt seist Du Ewiger, uns Gott, König der Welten.“

Professor Dr. Zwi Weinberg aus Jerusalem

Der jüdisch – christliche Dialog, der im Hedwig – Dransfeld – Haus immer fester Bestandteil seiner Zielstellung wurde, bekam aber in späterer Zeit noch einen Aspekt besonderer Art. Anneliese Debray hat fast ausschließlich zum liberalen Judentum Kontakte, in Israel über das Leo – Baeck – College in Haifa, in London über die Leo – Baeck – School. Sie kannte auch einzelne orthodoxe Juden und hin und wieder kamen auch einzelne orthodoxe Christen nach Bendorf. 1979 kam im Rahmen des deutsch – israelischen Jugendaustausches eine Gruppe Studenten der Bar – Ilan – Universität in Jerusalem zu einem vierzehntägigen Seminarprogramm. Die Bar – Ilan – Universität ist die einzige jüdisch – orthodoxe Universität in Israel, deshalb waren die Studenten alle in die orthodox -jüdische Lebensweise eingebunden. Der israelische Gruppenbegleiter, Prof. Dr. Zwi Weinberg schreibt später: “ Bei Beginn des Seminars stellte es sich heraus – für mich war es keine Überraschung -, daß die orthodoxen Studenten an der Klärung theologischer Fragen in einem interkonfessionellen Gespräch nicht interessiert waren. So sah sich Anneliese Debray vor eine Aufgabe gestellt, die sie mit außerordentlicher Geschwindigkeit löste und damit den Erfolg des Seminars sicherstellte. Theologische Probleme wurden abgesetzt und durch andere Themen ersetzt. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik wurden in den Vordergrund gerückt, bibelexegetische Themen ….fanden den gewünschten Anklang.“ Dies war der Anfang einer persönlichen freundschaftlichen Hochschätzung und der Beginn zahlreicher Kontakte mit dem orthodox – religiösen Judentum.

 

 

„Suchet den Frieden und jaget ihm nach“ – das HDH als Kernzelle für Dialoge und Verständigung

Das neue Martinshaus
erbaut 1968 – 70; mit Schwimmbad im Keller.
Der Name war bewußt gewählt worden: Martin von Tours, Martin Luther, Martin Buber, Martin Luther King und Martin Niemöller wurden für das neue Haus als Schutzheilige gewählt. Allein diese Idee ist immer noch grandios. Auf einem Stein vor dem Haus ist in 17 Sprachen das Wort “ Frieden“ eingemeißelt“.

n einem Brief schrieb Anneliese Debray:“ Friede ist täglich, stündlich zu tun. Im Sein – wollen statt Haben – wollen, in kleinen Schritten, im Mut zur Initiative und ohne Unterlaß. Wir brauchen die gegenseitige Ermutigung“. Dieser Satz spricht sehr gut die Vision aus, die sich durch Anneliese Debray und ihre vielen Freundinnen und Freunde in aller Welt in die Mauern des Hedwig – Dransfeld – Hauses einnistete. Es ging nicht um die „große“ Politik sondern um das Zusammenführen von Menschen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung oder Lebensauffassung sind. Die jungen Frauen, die von den Kriegsjahren ganz tief geprägt waren, wollten bewußt durch ihr eigenes Leben einen Kontrapunkt gegen Gewalt, Hass und Völkerfeindschaft setzen. Viele persönliche Freundschaften waren der Ausgangspunkt für den Aufbau eines Netzwerkes von internationalen Beziehungen. Die Arbeit im Hedwig – Dransfeld – Haus wurde von Jahr zu Jahr weltoffener: Abbau von Vorurteilen durch persönliche Begegnung, kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte mit den Augen des anderen, Neuentdeckung des Wertes der Gastfreundschaft. Dazu kam die Erkenntnis, dass wir Deutschen nach Auschwitz eine dienende Rolle übernehmen müssen. Das politische Schicksal, dass wir uns durch die nationalsozialistische Barbarei eingehandelt haben, verlangt nach Wiedergutmachung durch Offenheit, Dienst, Bescheidenheit, Verzicht, Ertragen von Vorwürfen und Verständnis für die Sorgen und Nöte der anderen. Obwohl das Hedwig – Dransfeld – Haus nicht zu den Europahäusern gehörte, war es durch und durch europäisch. Es ist hier nicht der Raum, in das einzelne zu gehen. Aber erinnert werden soll an die vielen Begegnungen und Seminare mit Franzosen, an den intensiv gepflegten deutsch – israelischen Jugendaustausch, an die Zusammenarbeit mit niederländischen und britischen Sozialeinrichtungen, an die Gastfreundschaft für Pax – Christi – Gruppen, an die frühzeitigen Kontakte mit arabischen Christen und ägyptischen Studenten, an die internationalen Frauenseminare. Es war wohl auch kein Zufall, dass gerade im Hedwig – Dransfeld – Haus der deutsche Fördererverein für das einzige jüdisch – christlich – muslimische Dorf in Israel, Neve Shalom, gegründet wurde.

Aufgrund des internationalen Gedankens wurde 1968 bis 1970 ein neues Haus gebaut: das Martinshaus. Der Name war bewußt gewählt worden: Martin von Tours, Martin Luther, Martin Buber, Martin Luther King und Martin Niemöller wurden für das neue Haus als Schutzheilige gewählt. Allein diese Idee ist immer noch grandios. Auf dem Stein vor dem Haus war in 17 Sprachen das Wort „Frieden“ eingemeißelt“.

So wie in der realen Welt dieses „Suchet den Frieden, jaget ihm nach“ nicht immer nur Glück bringt, so ging es auch dem Hedwig – Dransfeld – Haus. Der Gegensatz von Wünschen und finanziellen Möglichkeiten standen von Anfang an im Widerspruch, wurden aber schließlich explosiv und führten ab 1981 zu einer neuen Epoche, von der aber an anderer Stelle zu erzählen wäre. Doch es dürfte legitim sein, die Zeit zwischen 1974 und 1981 etwas genauer anzuschauen.

Jede Institution erlebt Krisen ihrer Identität. Das gilt sowohl für die großen Staaten wie für die kleinen Kegelvereine. Anneliese Debray spürte sehr deutlich, dass das HDH nie ein „normales“ Bildungshaus o.ä. sein konnte. Für sie und ihre vielen Freundinnen und Freunde war die Frage nach „der inneren Mitte“ ganz wichtig. Dr. Lotte Schiffler drückte es in ihrem letzten Interview vor ihrem Tod so aus: „Im HDH muss Gott geliebt werden“. Die Suche nach einer hauseigenen Spiritualität war keine Randfrage, sie bestimmte zentral die Zukunft. Frau Schiffler sagte mir einmal – und sie meinte das sehr ernst -: „Es ist für sie gut, dass sie kein Direktor sind; wie in der alten Kirche sind sie schlichthin „Leiter“. Aber die Verpflichtung für sie zum persönlichen Gebet in der Kapelle bleibt“. Ich höre diese Worte noch heute in meinem Ohr.

 

 

Zu Anneliese Debray

* 30. Mai 1911 in Lünen (Westf.)
+18. Februar 1985

Anneliese Debray war irgendwo in der Welt, da traf sie einen französischen Benediktinerabt und fragte ihn: „Haben Sie nicht für das HDH einen Mönch?“ Der Abt war wie viele Kirchenmänner von Anneliese Debray fasziniert und hatte eine Idee. Er schickte einen Laienbruder (also einen Benediktiner, der nicht zum katholischen Priester geweiht war), der schon lange in Deutschland als Eremit leben wollte. Frater Gerard Daguzan kam nach Bendorf in das HDH. Wie seine spirituellen Vorfahren begann er sich zunächst eine Klause zu bauen: Oben auf dem Berg, auf der sog. Apfelwiese, neben dem alten jüdischen Friedhof. Es war eine irre Geschichte. Alles musste auf den Berg geschleppt werden, sogar die großen Betonröhren für die Zisterne. Die französische Sozialarbeiterin malte die Ikone über der Tür. Ein riesiger Schäferhund wurde besorgt. Er hieß bezeichnenderweise „Mephisto“. Bereits Antonius in der ägyptischen Wüste wusste um die Realität von Dämonen. Ane Maria Reif, die alte Dame der AOK Mayen, besorgte die Schafe, die weißen Tauben und die Hühner. Der Eremit Gerard sollte hoch oben auf dem Berg über das HDH wachen. Abends um 19 Uhr warf er über sich einen großen Mantel und betete Tag für Tag in der Kapelle des HDH die Vesper mit den in das innere Herz gehenden Melodien des französischen Chorals. 1981 war diese spirituelle Episode zu Ende. Der Benediktiner Gerard hielt die Spannung zwischen der Einsamkeit in seiner Klause oben auf dem Berg und dem Trubel im HDH da unten im Tal nicht aus. Wie seine spirituellen Vorfahren zog er weiter. Ein Spaziergang auf die Apfelwiese lohnt sich noch heute.

Es gibt noch eine Geschichte, die sehr viel über die Bedeutung des HDH aussagt, auch wenn sie vielleicht nur eine Legende wäre: „Eine Gruppe Polen mussten durch den polnischen Zoll. Als sie nach ihrem Reiseziel gefragt wurden, gaben sie zur Antwort: Wir wollen an den Rhein in ein deutsches Bildungszentrum. Da winkte sie der polnische Zöllner mit den Worten durch: Da sie nach Bendorf in das Hedwig – Dransfeld – Haus wollen, wird wohl bei ihnen alles in Ordnung sein.“ Das ganz Besondere an dieser Geschichte: der Austausch mit polnischen Familien geschah schon lange vor der politischen Neuordnung der Beziehungen durch die polnisch – deutschen Verträge.

Maria Madelaine Renand, Professorin am Institut Sainte Marie in Neuilly (Frankreich) schrieb in ihrem Nachruf auf Anneliese Debray: „Wir haben eine Menge Reisen miteinander gemacht. Ich habe Tagungen und Feste in Bendorf erlebt. Wir hatten viele gemeinsame Freunde in Deutschland und in Frankreich. Wir hatten denselben Wunsch, den Frieden zu verbreiten, jede auf ihre Weise, hauptsächlich unter jungen Menschen. Wir hatten eine Gemeinschaft, die für die ganze Welt offen war.“

 

 

Verwendete Quellen:
Postkarten und Orginaldokumente im Besitz von Dieter Kittlauß
Erläuterungen von Peter Siebenmorgen zum Hotel Villa Sayn
Peter Pius Ohlig, Heimat in vergangenen Tagen
50 Jahre Hedwig – Dransfeld – Haus Bendorf (Jubiläumsschrift)
Postkarten aus der Sammlung der GGH
HDH Kontakte 1987

DKT Jun 28th 2012 11:49 am Heimatgeschichte Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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