Tsunami – theologisch bedacht

(Erstveröffentlichung 2004)

Die Schattenfrau am 11. September

Unsere medial gesteuerte Welt ist intensiv auf das Spektakuläre hin ausgerichtet. Was monströs ist wie ein schweres Eisenbahnunglück, spannend wie eine Rettungsaktion nach einem Bergwerksunglück oder unvorstellbar schrecklich  wie die Tsunami – Welle wird uns tagelang vor Augen geführt und dadurch auch bei vielen Menschen die Motivation zu Solidarität geweckt. Die andere Seite dieser „Bombardierung“  mit bad news ist allerdings die wenigstens zeitweise Verdrängung der Todesverfallenheit unserer Welt insgesamt. Besonders betroffen sind wir, wenn es sich um eine bisher nicht oder nicht so bekannte Bedrohung handelt. Dann geht es uns wie den Menschen im Mittelalter, die aufeinmal – und zwar Reiche und Arme gleichermaßen – von einer Seuche bedroht wurden, oder wie im vorigen Jahrhundert, als die Immunschwäche Aids plötzlich und inflationär unser Leben veränderte. Dann überfällt uns leicht die uralte Angst vor der Büchse der Pandorra und wir beginnen zu fragen, ob nicht morgen – also für uns erfahrbar – die Vereisung Europas durch die Verlagerung des Golfstromes oder ein Vulkanausbruch in der Eifel unser Schicksal sein könnte. Neue Greuelnachrichten über den Völkermord in Afrika, ein Großbrand in Australien oder die Nachricht über den Tod geliebten oder wichtigen Menschen konfrontieren uns ohne Rücksicht auf unserer eigene Befindlichkeit mit der Todesverfallenheit unserer Welt.

Die Theodizee – Frage „Wo bleibt Gott?“ kommt auf, aber sie hat nach Auschwitz kein Gewicht, denn Gott als Jahve (der immer bei uns ist) war nicht da.  Die Frage „ Wie kann das Gott zulassen?“ führt ins Abseits, denn Gott lässt das alles zu, was wir an Schrecken der Natur und an Schrecklichkeit menschlichen Tuns tagtäglich erleben. Alle Versuche, Gott in seiner Allmacht und seiner Güte zu lassen, ihn aber freizusprechen von den Schrecken und Makeln seiner Schöpfung, erscheinen makaber und spitzfindig. Das Wort aus dem Römerbrief „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm 6,23), hat zweifellos einen tiefen Sinn, aber ist missverständlich. Ob wir in die Natur schauen, in unseren Alltag oder mit dem Hubble – Teleskop in die Galaxien, immer finden wir den Tod, wenn auch mit vielen Gesichtern. Alles in der uns erfahrbaren Welt lebt vom Austausch. Weil der eine stirbt, lebt der andere. Und wenn wir Menschen (vielleicht als einzige) diesen Austausch als schmerzliches Abtreten von der Bühne des Lebens erleben, erleben wir eben auch, dass wir Teil von Gottes Schöpfung sind. Es spricht vieles dafür, dass wir in unserer christlichen Tradition den evolutionären Charakter der Schöpfung theologisch noch lange nicht hinreichend durchdacht haben. Naturkatastrophen sind Teil des Schöpfungsgeschehens, also weder etwas Böses noch eine Strafe.

Diese Schöpfungszugehörigkeit bezieht sich auch auf uns Menschen. Jeder von uns weiß, dass er sterben wird. Auch die Menschen, die die Tsunami – Welle überlebt haben, werden morgen oder übermorgen sterben. Jeder von uns ist gewissermaßen ein Todeskandidat auf Abruf, ohne dass wir Genaues um das Wann und Wie und Wo wissen. Seit Einsteins Relativitätstheorie  können wir es uns allerdings vorstellen, dass Zeit und Dauer lediglich ein Moment unseres subjektiven Empfindens sind , so wie den Liebenden keine Stunde schlägt und dem Kranken ein Tag zur Ewigkeit werden kann.Vielleicht gibt es auch bei Gott eine Gleichung, die wir nicht kennen, so dass der Wert unseres Lebens wie ein Produkt aus Dauer und Intensität besteht. Wenn es Gott als die Mitte der Schöpfung wirklich gibt (auch wir Christen haben hier nur Hoffnung und keineswegs verbriefte Gewissheit), und dieser nicht ein Molloch ist, sondern nach dem Glauben Jesu wie ein liebender Vater, der uns im Blick behält, dann würde dieses Produkt das Entscheidende für die innere Sinnhaftigkeit unseres Lebens sein. Wenn wir aber nur Zufallsergebnis eines kalten und finsteren Weltalls sind, dann gibt es keine Sinnantwort, wenn ein Kind stirbt oder eine Mutter bei der Geburt oder 200.000 durch eine Riesenwelle umkommen. Dann ist es so und Trost gibt es höchstens durch die Zeit

Zu der Todesverfallenheit unseres Lebens gehört auch die Tatsache der Sünde. Wir tun allerdings gut daran, dieses biblische Wort in unsere Sprache zu übersetzen, etwa so: Holocaust, Völkermord, Kriegsverbrechen, Mord, Vergewaltigung, Kinderschändung, Ausbeutung, Machtgier, Tierquälerei, Mobbing, Verbrechen…….. die Liste lässt sich fortsetzen. Die Bibel meint bei Sünde nie die „lässlichen Sünden“, die wir als Jugendliche regelmäßig beichteten, aber sehr wohl Fanatismus, Gier und diese ganze Legion von inneren Verbiegungen, aus denen dann immer der Schrecken wie eine Schlange aus ihrer Höhle kriecht. Die jüdischen Väter und Mütter haben nicht umsonst, Schreckensgeschichten an den Anfang ihrer heiligen Bücher gestellt. Weil wir Teil dieser Schöpfung sind, lebt in uns das Gesetz des Fressens und Verdrängens und kraft unserer Intelligenz können wir die arteigene Tötung, die es in der Natur nur als entartete Ausnahme gibt, sogar zur alltäglichen Praxis machen. Es ist ein Irrtum zu meinen, dass Gott eingreift. Der gewaltsame Kreuzestod Jesu sollte uns eines Besseren belehren.

Seit der biblischen Überlieferung gibt es viele Überlegungen, eine Lösung zu finden. „Getröst, getröst, wir sind erlöst“, heißt es in einem Kirchenlied. Mir fällt es immer schwerer,

Der holländische Maler Hieronymus Bosch malte den Übergang von unserem irdischen Leben in die Vollendung. Durch die Erforschung der Nahtoderfahrungen wissen wir, dass solche Bilder vom Übergang ins Licht und vom Heimkommen in uns genetisch verankert sind. In Grenzsituationen werden uns diese Bilder zugänglich.

diesen Glauben unserer Vorfahren als meinen eigenen zu akzeptieren. Eher kann ich schon in der Treue des Menschensohns zu sich selbst eine Botschaft der Hoffnung erkennen, dass Gott nicht wie ein Deus absconditus aus der Ferne auf das Kriegsgetümmel auf der Erde schaut sondern mit uns eine Lösung sucht. Paulus konnte es sich noch sehr gut vorstellen: „ Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod; und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten.“ (Röm5,12) Dabei stelllte er sich möglicherweise Adam als eine Art Übermenschen vor, der genau wusste, welche Folgen seine Tat für alle Generationen haben würde. Dieses Erklärungsmodell bleibt uns auf Grund unseres naturwissenschaftlichen und historischen Wissens verwehrt. Wenn wir als Christen ehrlich sind, müssen wir sagen, dass die ganze Schöpfung in sich und von Anfang an „den Keim zum Fressen und Gefressenwerden“ trägt.

Was wir als Christen allerdings wie einen Schatz in uns tragen, ist die Verheißung, dass die Schöpfung eine Werdewelt ist, nicht eine Entwicklung in den Kältetod hinein, nicht ein

ewiger unentrinnbarer Kreislauf. Es gibt im Römerbrief zwei Sätze, die unserem heutigen Denken und Wissen sehr entsprechen: „ Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, ….aber zugleich gab Er ihr Hoffnung.“  und „denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 8,20.22). Christlicher Glauben ist zutiefst davon überzeugt, dass die Schöpfung, so wie wir sie jetzt erleben und deren Teil wir sind, noch nicht vollendet ist. Schönheit und Unvollkomenheit sind die beiden Seiten der Jetztzeit. Diese ist Teil unserer gesamten Geschöpflichkeit, in sich wertvoll und durchaus liebenswert, aber eben erst der Anfang, so wie es Elisabeth Kübler – Ross mit dem Vergleich von Raupe, Puppe und Schmetterling eindrucksvoll zeichnete.

Weil das jetzige Leben Vorstufe ist, Vorbereitung, Einübung, auch Vorgeschmack und Ersterfahrung, setzen wir Christen unsere Zuversicht auf Gott. Und dieser Gott ist für uns der Gott des Jesus von Nazaret. Auch die aufgrund der Tsunami – Welle massenweise im Meer Ertrunkenen und vielleicht von Haifischen Gefressenen sind auf dem Weg zu Gott, ihrem Urspung und ihrem Ziel. Für diesen Glauben an den Weg eines jeden Menschen zu Gott hin ist uns Jesus Christus Wegweiser, Pilot, Lotse, Prophet, der neue Adam, Erlöser, Mittler, Garantie, Eckstein, Quelle, Licht, Brot –Evangelium (gute Botschaft) für alle Zeit. Theologisch gesehen ist die Naturkatastrophe von Asien eine Herausforderung an uns Lebende, den Glauben an Gott weiterzugeben an die nächste Generation, die in keiner anderen Welt leben wird, höchstens mit anderen Problemen. Human gesehen und auch das gehört zum christlichen Glauben, gehört es zum Sinn dieses Lebens, aktuelle Lebensnot zu lindern, Menschen in Trauer zu trösten und zum Weiterleben zu befähigen.

 

Kittlauss Aug 9th 2012 12:47 am Was das Leben angeht Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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