Plädoyier für eine freie katholische Theologie

 

Allegorische Darstellung der Theologie am Karlsdenkmal in Prag. Quelle: Wikipedia.

Der spätmittelalterliche Professor an den europäischen Universitäten hatte die Studenten zu seinen Füßen sitzend. Gelernt wurde durch wechselseitige Diskussion.Der altrömische Satz „Quod erat demonstrandum“  (Was zu beweisen wäre) stand über allem. Gelernt wurde schnell, umfassend und leidenschaftlich. Später wurde daraus mit der Neuscholastik ein erstarrtes System. Typisch war die Frage, wie viele Engel auf die Spitze einer Nadel passen. Aus der Abwehrhaltung der Gegenreformation verstärkte die Katholische Kirche ihren autoritären Einfluss auf alle Wissenschaften. Der Index (Bücherverbot) und die päpstlichen Verurteilungen „modernistischer“ Lehren zwangen katholische Theologen und Geisteswissenschaftler zum Schweigen bzw. zum vorsichtigen Taktieren, so dass im außerkatholischen Raum der Satz galt, „Catholica non leguntur“ (> katholische Bücher muss man nicht lesen). Durch die Päpste Leo VIII., Pius XII., Johanes XXIII und das II. Vatikanische Konzil kam es zur Öffnung der Katholischen Kirche für die moderne Welt. Katholische Theologen und andere Geisteswissenschaftlern bekamen nun die Freiheit zum freien Forschen, Lehren und Publizieren. Man sprach von einem neuen „katholischen Frühling“. Die katholischen Theologen bekamen Anschluss an den Stand der Wissenschaft und viele standen an der Spitze ihres Fachbereiches. Doch bereits während des II. Vatikanums sammelten sich die restaurativen Kräfte. Bereits heute, also 50 Jahre nach dem Konzil, ist die offizielle Katholische Kirche durchweg restaurativ. Die meisten Schlüsselpositionen sind durch die „Neuen Geistlichen Bewegungen“ (Movimenti) besetzt – vom Vatikan bis herunter auf die Bistümer. Das kirchliche Recht ist auf die traditionelle katholische Dogmatik ausgerichtet. Wer von dieser Linie abweicht, hat keine Chance auf einen verantwortlichen Posten. Auch die wissenschaftliche Theologie steht ganz unter vatikanischer und episkopaler Kontrolle. In Deutschland hat die Restauration insofern eine Eigendynamik, da alle, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Katholischen Kirche stehen, mit negativen beruflichen Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie sich entgegen der offiziellen päpstlichen Dogmatik und Moral äußern. Diese Macht der Katholischen Kirche in Deutschland ist durch Konkordate und Gesetzgebung abgesichert. Es gibt allerdings auch innerhalb dieser im Untertanengeist erstarrten Katholischen Kirche Freiräume, die Hoffnung geben. Um einige Beispiele zu nennen: Die Möglichkeit, sich im nichtkatholischen oder europäischen Raum eine berufliche Aufgabe zu suchen; Meinungsfreiheit bei staatlich abgesicherter Altersversorgung; die unabhängigen Medien und das Internet mit eigenen Webseiten und Chatträumen. Eine Nische ist auch der Kirchenaustritt, seit die Vatikanischen Behörden einen solchen nur vor einer staatlichen Behörde als nicht gültig erklärt haben. Ob die zunehmende Minderheitenposition der Christen Restauration und Ghettomentalität fördert, ist durchaus nicht auszuschließend. Gerade für die Katholische Kirche ist eine wachsende Sektenmentalität nicht von der Hand zu weisen.

Als katholischer Theologe sehe ich mich in der Tradition der konziliaren Theologie: fragend, offen für alles Wissen der Menschheit, konsequent ablehnend alle autoritäre und dogmatische Erstarrung und bescheiden im Wahrheitsanspruch. Die Einbindung in die Katholische Kirche  prägte mein Leben, ohne dass ich ihr heute mit Haut und Haaren ausgeliefert bin. Humanistisches und ökumenisches Denken ist mir selbstverständlich. Die auf dieser Webseite gesammelten Studien und Beiträge spiegeln meinen Weg als Theologe. Es ist befreiend zu erleben, wie jeder rational denkende und lebende Mensch immer nur Teilidentifkationen eingehen muss. So bestimmen neben  der katholischen Prägung viele andere Einflüsse mein Denken, Fühlen, Suchen und Fragen: das Judentum, der Islam, die deutsche Klassik, der Sophismus, der Buddhismus, der außerchristliche Humanismus und der naturwissenschaftliche Skeptizismus wären hier  ohne zu zögern zu nennen.

Für das Verständnis der biblischen Tradition gilt für mich der Grundsatz, dass das Verständnis des überlieferten Textes zunächst und immer aus der Sicht seiner Autorenschaft (also der ursprünglich gemeinte Sinn) zu erlangen ist. Dann erst schließt sich die Geschichte der Auslegung bis in unsere Zeit an. Die traditionell katholische Identifizierung von Schrift und Überlieferung lehne ich grundsätzlich ab. Die klassische Exegese (Textauslegung) steht heute im Kontext mi allen anderen Wissenschaften, deshalb ist es auch für den fachlich ausgebildeten Theologen nicht möglich, bei Einzelproblemen alle Aspekte zu überschauen. Dies macht aber auch die Theologie wieder spannend. Gerade in der katholischen Theologie (wenn man von der im Vatikan gelehrten römischen Schultheologie absieht) gibt es heute einen sehr lebendigen Diskurs. Dies gilt auch für Philosophie, Kirchengeschichte und Ethik / Moral. Noch gilt der Satz: Catholica leguntur (> katholische Bücher kann man lesen).

Kittlauss Jun 30th 2012 07:37 pm Katholische Kirche kontrovers,Theologie Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

Comments are closed.