Männertrauer
Abschlussarbeit eines mehrjährigen Weiterbildungsseminares der IGSL 2003
„Weggefährte sein bei Abschied und Trauer »
mit Monika Schulte – Beckhausen (↑) und Dieter Steuer.
Wie gehen Männer mit den großen existentiellen Verlusten um, die das Leben mit sich bringt? Haben Männer und Frauen eine unterschiedliche Beziehung zu Tod und Trauer?
Die Sargträger sind in der Regel Männer – meist ältere. Die meisten Bestattungsunternehmen werden von Männern geleitet. In der Hospizarbeit sind Männer selten, in den Trauergruppen eine Minderheit. In Bendorf ziehen sich die Männer schwarze Anzüge an, wenn sie zur Beerdigung kommen. In der Bildzeitung v. 10.5.03. hieß es „Der große Peter Alexander (76) ist gebrochen! Er regt sich nicht! Er starrt aufs Grab seiner Frau, als wolle er reinkriechen“.
Wir wollen diesen Fragen nachgehen. Um deutlich zu machen, dass es hier viel Interpretation und wenig empirische Forschung gibt, benutzen wir einen mehr fragmentarischen Stil. Die biographischen Notizen sollen die persönliche Betroffenheit erkennbar machen und alle Typisierung relativieren.
Trauer :
Das Phänomen „Trauer“:
Auf ihrem Vortrag beim Symposium „ Trauer“ der IGSL im November 1997 in Wien gibt die Sozialarbeiterin Maria Nestele acht Hinweise zu dem Phänomen Trauer:
- Abschiede, Verluste und Trennungen lösen Trauer aus, denn Trauer ist der emotionale Ausdruck von Verlust. Trauer darf nicht auf den Verlust eines nahe stehenden Menschen beschränkt werden. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes oder der körperlichen Unversehrtheit, der Abschied von den Kindern oder von der Jugend lösen Trauer aus.
- Trauer ist keine Krankheit, sondern „die mühevolle und schmerzliche Auseinandersetzung mit der Endlichkeit alles Lebendigen“.
- Bei der Trauer um einen anderen wird immer die eigene Sterblichkeit beweint. Dies gilt auch bei kollektiver Trauer z.B. beim Unfalltod von Prinzessin Diana.
- Trauer ist immer im kulturellen Kontext zu sehen, von den Wert-, Jenseits- und Todesvorstellungen der Gesellschaft.
- Trauer ist eine Zeit des emotionalen Chaos, ein langer Prozess und verläuft phasenförmig.
- Trauer ist oft von irrationalen und sehr belastenden Schuldgefühlen begleitet, bedeutet auch oft Verdrängung und Verleugnung der Realität. Im Gegensatz zu Freud sind diese Phänomene als Schutzfunktion der Seele zu sehen.
- Frauen und Männer trauern durchaus unterschiedlich. Ob der Mensch diese schweren seelischen Krisen übersteht, Heilung findet und den Verlust in sein weiteres Leben integrieren kann, hängt von vielen Faktoren ab: “Von der Person des Betroffenen, von der Art und den Umständen des Todes, der Beziehung zu dem Verstorbenen, von seinem Umfeld, dem Ausmaß der zuteil gewordenen Unterstützung und vor allem davon, wie er sich dem Prozess der Trauer stellen kann.
(www.ak-leben.de/Regional/Stuttgart/Nach einem Suizid.htm)
Verlust und Nichtsein sind die andere Seite des Lebens:
Wolfgang Müller –Commichau und Roland Schaefer machen in ihrem Buch „ Wenn Männer trauern – über den Umgang mit Abschied und Verlust“ auf unser „Leben nach dem Mythos“ aufmerksam. In der weitgehenden Distanz zu einer entmystifizierten Natur werden Gesundheit und Krankheit nicht mehr als von Gott gegeben und letztlich wieder angenommen, sondern als ein Produkt des menschlichen Handelns angesehen. Die Medizin wird zum Reparaturbetrieb. Sterben heißt Versagen der Heilkunst. Jung sein, gesund und fit sind die Lebenskategorien. Deshalb ist der moderne Mensch so eigenartig hilflos geworden, wenn es um existentielle Probleme gibt. Er muss neu lernen, dass unser Leben durch Kontingenz bestimmt ist: alles, was ist, ist nicht notwendig, sondern nur möglich. Verlust und Nicht – Sein sind die andere Seite des Seins und diese gilt es, im normalen Leben anzunehmen. Ich lebe und darf den trauerlosen Zustand genießen, muss mir aber stets dessen bewusst sein, dass sich das Leben unversehens verändern kann. Die Verlustsituation ist nicht das unerhörte Ereignis schlechthin und eröffnet einen neuen Aspekt des Lebens. „Verlust und Trauer vermögen im Innersten des Betroffenen Saiten zum Erklingen bringen, die bislang selten oder nie gehört wurden.“
Stichworte:
Nicht „Trauer umgehen“ sondern „mit Trauer umgehen“
Verlust und Trauer rufen nach aktiver Bewältigung.
Das bislang gültige System tritt außer Kraft
Das ganze Szenario des Lebens muss neu geordnet werden
Dem Jetzt in die Augen schauen, ohne dabei zu verzweifeln
Ist unser natürliches Trauerimmunsystem gestört?
Die beiden o.g. Autoren fragen, ob die steigende Suizidzahl bei Kindern und Jugendlichen ein Indiz sind, dass „etwas in unserem Trauerimmunsystem in Unordnung geraten“ ist.
Das Leben beginnt (die Geburt ist das Ende der paradiesischen Aufgehobenheit) und endet (der Tod ist das Ende aller Beziehungen) mit dramatischen Abschiedsituationen. Die Trauerfähigkeit befähigt den Menschen, mit den Abschieden und Verlusten zwischen Geburt und Tod umzugehen.
Ist vielleicht die „Unfähigkeit zu trauern“ möglicherweise ein Existential (=Lebensbedingung) des modernen Menschen: Auflösung der Traditionen, Verlust der Spiritualität, Anonymität, materielle Absicherung ………? Wird dieses allgemeine Defizit vielleicht bei Männern nur besonders deutlich?
Für den religiös – spirituellen Menschen ist der trauerlose Zustand Geschenk (Gottes, des Lebens, des Kosmos). Für den nicht religiös – spirituellen Menschen ist der Normalzustand Besitz – Selbstverständlichkeit – Anspruch. Das Trauerereignis aber ist Verlust, Diebstahl, Zumutung.
Biographische Notiz
Trennungen und Verluste hatten in meinem Leben eine unterschiedliche Wirkkraft. Die Flucht von Breslau, der Stadt meiner Kindheit bis ins 9. Lebensjahr, war für mich ein Abenteuer, während sie für meine Eltern eine lebenslange Entwurzelung bedeutete. Die Beheimatung in Weimar geschah trotz vieler Einschränkungen (Ein – Zimmer – Wohnung für die ganze Familie, mehrfacher Schulwechsel, Stromsperre, chronischer Geldmangel der Eltern, erstes Taschengeld mit 17 Jahren) ohne große Probleme. Belastend war für mich das Verschwinden von Freunden (sie gingen nach dem Westen). Die Sozialisation durch die Jugendarbeit der katholischen Diasporagemeinde führte gradlinig in den Priesterberuf. Die schrittweise Verabschiedung aus dem Elternhaus war völlig unproblematisch, der erste Berufswechsel von Jena nach Erfurt ebenfalls. 1971 revidierte ich meine Entscheidung zum ehelosen Leben (Zölibat) und heiratete. Dies bedeutete Aufgabe der gesicherten beruflichen Existenz mit 35 Jahren. Für die Institution Kirche war ich abtrünnig, für den atheistischen und antiklerikalen Staat blieb ich gefährlich. Ich selbst konnte keine gültige berufliche Qualifikation nachweisen. Die meisten meiner Freunde und Bekannten mieden mich. Es begann eine Zeit großer Demütigungen. Und dennoch war ich damals glücklich, optimistisch und voller Elan. 1975 gab es keinerlei Perspektiven mehr, keine beruflichen Chancen trotz vieler Bemühungen. Statt Bautzen (Zuchthaus) glückte die Übersiedlung nach dem Westen mit der ganzen Familie. Doch der Preis war hoch. Zum ersten Mal spürte ich, was Entwurzlung bedeutet. Meine Biographie konnte ich nicht mitnehmen, auch nicht meine Freunde, Eltern und Geschwister. Fast ein Jahr Isolation, Arbeitslosigkeit und schwindende Hoffnung in Essen. Meine Mutter starb. Hatte ich ihr das Herz gebrochen?
Dann erhielt ich 1976 in Bendorf die Chance einer beruflichen Aufgabe, die mir geradezu auf den Leib geschnitten war. Bendorf wurde für die ganze Familie ein Stück Heimat. Auch die Legasthenieprobleme und Verhaltenstörungen bei unserem Sohn ließen sich heilen.
1981 drei Operationen. CA – Verdacht. Ich hatte Angst, aber nur für kurze Zeit. Der Wille zum Leben blieb ungebrochen. Anders 1994, als ich mir nach einer Hochgebirgswanderung eine Gonarthrose zuzog. Es bestand die Gefahr der frühzeitigen Invalidisierung. Schock. Doch ich entwickelte enorme Selbstheilungskräfte. 1997 tief greifender Berufskonflikt, Depression, Zwangskündigung der Wohnung, vorzeitige Verrentung, endgültige Verabschiedung unseres Sohnes. Ich weiß: Ich habe viel geweint. Nur langsam neue Sicht des nachberuflichen Lebensabschnittes: Nun habe ich Zeit; nun haben wir Zeit. Ende 1998 begann die Erkrankung von Rosemarie. In der Nacht nach meinem Geburtstag, am 6. 10. 1999, ist sie in meinen Armen gestorben. Doch heute lebe ich wieder – und nicht allein. Es ist wie ein zweites Leben, das mir geschenkt wurde.
Ob der Mensch schwere seelische Krisen übersteht, Heilung findet und den Verlust in sein weiteres Leben integrieren kann, hängt von vielen Faktoren ab: Von der Person des Betroffenen, von der Art und den Umständen des Todes, der Beziehung zu dem Verstorbenen, von seinem Umfeld, dem Ausmaß der zuteil gewordenen Unterstützung und vor allem davon, wie er sich dem Prozess der Trauer stellen kann., diese o.a. Aussage von Maria Nestele kann ich bestätigen. Verlust ist nicht gleich Verlust. Die Trauer hat viele Dimensionen und Gesichter.
Männer:
Männer können sprachlos sein, wenn es um ihr Leben geht.
Dietrich Schwanitz berichtet von einem Klassentreffen viele Jahre nach dem Abitur und wie sich spät abends Männer und Frauen auf einmal trennten. Die Männer wurden wieder zu Jungen, die sie einst gewesen waren. Sie erzählten sich Witze und Heldentaten von gestern. Von ihrem Leben nach der Schulzeit berichteten sie höchstens nur über Erfolge, über ihr Leben eigentlich gar nichts.
Die Frauen aber begegneten sich als nun reife Frauen. Sie konnten sich über ihr Leben erzählen. Es waren oft Geschichten über verlorene Illusionen, denn in der Regel betrafen ihre Enttäuschungen Männer. Schwanitz reflektiert: Mir ging auf, dass sie (=die Männer) ihre puerilen Scherze machten, um nichts Persönliches berichten zu müssen. Und dass sie auf diese Weise ihre Trauer über die verpassten Chancen und eigenen Fehlerverbergen konnten. Sie verbargen sich hinter der idiotischen Maske der Unreife, sie waren einsam und sprachlos.
(www. Lyrikwelt.de/Gedichte/schwanitzg1.htm)
Mythos Männermacht
Der Österreichische Psychotherapeut Martin Mitterndorfer spricht vom „Mythos Männermacht“. Die Aussagen „Männer haben mehr Geld“ oder „ Frauen sind gefährdeter als Männer“ seien empirisch nicht zu belegen (www.ifs.at/aktuell/Gespraech,htm).
Richtig ist (für die Industriegesellschaft), dass Männer ein gefährliches und kräfteraubendes Leben führen. Die Schweizer Homepage „Männerdepression“ führt als Beispiele an:
Männer leben im Durchschnitt 8 Jahre kürzer als Frauen.
2/3 aller Notfallpatienten sind Männer
3/ 4 aller Mordopfer und aller Suizide sind Männer.
70 % aller Obdachlosen sind Männer.
2/3 aller Schulwiederholungen sind Männer
Spitalaufenthalte der Männer sind wesentlich länger als diejenigen der Frauen.
Die Risikoberufe sind weitgehend durch Männer besetzt.
Mitterndorfer gibt auf die provokatorische Frage „ Sind Männer immer stärker?“ folgende Antworten:
- Männer sind in der Regel in ihrem Körperbau – also physiologisch – kräftiger und stärker als Frauen. Dies gilt aber nicht für die emotionale, soziale, wirtschaftliche Ebene. Wenn Männer aufgrund der historischen Entwicklung in unserer Gesellschaft (noch) mehr Macht haben als Frauen, ist das keineswegs ein Beweis für ihre Stärke als Individuum.
- Männer stehen im allgemeinen stärker als Frauen unter wirtschaftlich – beruflichem Druck. Sie nehmen sich weniger Zeit, Probleme mit sich selbst aktiv anzugehen. Männer müssen oft frühzeitig ihre Kindheitsentwicklung abbrechen, um unter ihresgleichen leistungsfähig, hart, angstfrei und extrem belastbar zu werden. Männer wachsen unter dem Rollendruck auf, keine Schwäche und keine Angst haben zu dürfen.
- Leid, Schmerz, Trauer, Wut und Angst haben alle Menschen. Unterschiede gibt es nicht von Frau zu Mann sondern von Mensch zu Mensch. Aber Männer haben Nachholebedarf, ihre gesellschaftliche Rollenveränderung (gegenüber den „Powerfrauen“) zu bedenken. Weibliche und männliche Rollen haben Licht- und Schattenseiten.
„Männer sind furchtbar stark, Männer weinen heimlich“ (Herbert Grönemeyer)
Aspekte der männlichen Sozialisation:
Ulrich Keller, Pastoralreferent in der Hospizarbeit, nennt in seinem Internetbericht „ Männer und Trauer“ fünf Aspekte für die männliche Sozialisation:
- Externalisierung (Außenorientierung) und Rationalität: Beschäftigung mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen gilt als unmännlich
- Stummheit: Sprachlosigkeit über sich selbst.
- Alleinsein: Der Mann ist zum Helden berufen. Der einsame Kämpfer.
- Körperferne: Vernachlässigung des eigenen Körpers und seiner Warnsignale.
- Kontrolle der eigenen Gefühle und Emotionen (Beherrschung).
(www.veid.de/Themenseiten/Maennertrauer/body_maennertrauer.html)
Biologische und soziale Faktoren für die geschlechtsspezifischen Unterschiede:
In seinen Überlegungen zum Tod und Sterben macht der Soziologe Klaus Feldmann darauf aufmerksam, dass die geschlechtsspezifischen Mortalitätsunterschiede (Frauen leben länger als Männer) sowohl auf biologische als auch auf soziale Faktoren zurückzuführen sind. Die männlichen Geschlechtsrollenstereotype wie Aggressivität, Dominanz, Konkurrenzhaltung und Unabhängigkeit erhöhen für Männer das Todesrisiko. Aber in vielen Entwicklungsländern sind Frauen sozial so stark benachteiligt, dass ihre Sterblichkeit die der Männer übersteigt.
(www.altenpflege-tod-und-sterben.de)
Sicherheit und Besitz als Lebenskategorien vieler Männer:
Müller / Schaefer weisen daraufhin, dass Männer relativ stabile Strukturen und Rahmenbedingungen brauchen. Bereits bevorstehende Trennungen verursachen existentielle Ängste und provozieren wiederum Aggressionen als Antwort. „Wenn sie, die Männer, erst einmal ein bejahendes Verhältnis zu Personen, Dingen oder Gewohnheiten verfügen (oft genug – man gestatte uns dieses unmännliche Bild – unter Wehen und Krämpfen geboren), fällt ihnen die Trennung – egal ob zeitlich befristet oder dauerhaft umso schwerer“. Bei vielen Männern besteht ein ausgesprochenes Bedürfnis, verloren gegangenen Besitz durch das Gewinnen von neuem zu kompensieren. Weil die Umwelt „den aufrechten Gang“ erwartet und berechtigte Trauerreaktionen als Schwäche (unmännlich, weibisch) abwertet, sind Männer in solchen Situationen auch immer in Gefahr, in „Mechanismen der Verdrängung“ zu fallen (Verleugnung, Aktivismus, Hedonismus, körperfeindliche Exzesse, sexuelle Haltlosigkeit).
Biographische Notiz:
Ich habe meinen Beruf als Priester geliebt. Er war mein Traumberuf. Doch der geforderte Preis eines ehelosen Lebens und des Verzichtes auf eine eigene Familie war zu hoch. Da alle Ersatzlösungen (z.B. geheime Beziehung) als unbrauchbar und lebensfeindlich empfunden wurden (auch von meiner Partnerin) und die Katholische Kirche alle Türen verschloss, blieb nur der steinige Weg einer neuen Berufssuche. Dies war schwer, denn für die Gesellschaft der DDR war ich persona ingrata absoluta ( Feind, unnütz, Gefahr). Nach einem Jahr perspektivlosen Nichtstuns ohne jegliche finanzielle Absicherung landete ich im Zoo – über den stinkenden Eisfüchsen, bei drei neurotischen Frauen, denen es einen Spaß machte, dass ihnen ein Priester die Öfen heizte und die Brötchen besorgte. Aber langsam ging es aufwärts. Nicht immer gefahrlos und durchaus anstrengend. Ich wurde gezwungen, ständig Neues zu lernen, mich anzupassen, Chancen zu ergreifen, Entscheidungen zu riskieren. Es hat mich fit gehalten und ist zu meiner Lebensform geworden.
Männertrauer:
Im Widerspruch zu dem ‚männlichen Programm’
Hans Stapelfeld und Jörg Reiner Hoppe weisen darauf hin, dass die heutigen Männer maßgeblich von einem „männlichen Programm“ her denken: die Welt mit Hilfe von Forschung, Wissenschaft, Technik und eines ständig wachsenden Wirtschaftssystems zu beherrschen.
Verlust, Krankheit und Tod sind zu diesem Programm diametral. Männern verschlägt es die Sprache, wenn das Programm nicht greift (auch in Wirtschaft und Politik)
(www.die-bonn.de/zeitschrift/42000/traditionen.htm)
Emotionales Abschotten:
Der Gestalttherapeut Erhard Donbrawa verweist auf das emotionale Abschotten.
Viele Menschen, besonders Männer, isolieren sich emotional und halten diese Isolation fälschlich für Freiheit. Sie sublimieren ihre Gefühle und versperren sich emotionalen Bedürfnissen bis sie schließlich an Herzinfarkten, Schlaganfällen oder anderen Krankheiten sterben“. Männer sind durch ihre Sozialisation eher „Weltgestalter“ als „Innenarchitekten“. Sie meiden oft die Auseinandersetzung mit auftretenden Problemen, Ängsten und Sorgen, weil sie den Verlust ihrer Leistungsfähigkeit (körperlich, beruflich, sexuell) befürchten.
(www.gestalt.de/doubrawa.html)
Veränderungsbereitschaft unter Leidensdruck:
Der Luzerner Psychotherapeut Othmar Loser – Kalbermatten leitet schon längerer Zeit ein „Männerprojekt“. In einem Interwiev nennt er drei Beobachtungen:
- Männer sind nur unter Leidensdruck bereit, etwas zu verändern – nur bei großen Existenzproblemen (Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen, berufliches Scheitern, Konflikte mit Hierarchien oder bei der Teamarbeit, gesundheitlicher Einbruch).
- Männer müssen es lernen, sich selbst, ihren Körper, ihre Gefühle wahrzunehmen, über sich zu sprechen.
- Männer müssen sich aus ihrer Erstarrung lösen und verändern. Das zwei Millionen alte Entwicklungsmuster vom Mann als tapferem Jäger und aggressivem Kämpfer ist heute überholt.
Männer trauern anders?
In Ihrem Buch „Männer trauern anders“ (Spektrum 5225 Herder) lässt Elisabeth Levang 11 Männer zu Wort kommen. Sie erzählen von ihrer Trauer nach einem Todesfall, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes oder nach einer schweren Erkrankung. Ihre Berichte machen deutlich, dass Männer und Frauen in ihrer Trauer vieles gemeinsam haben, was die Gefühle angeht, die mit ihr einhergehen. Sie zeigen aber auch, dass Männer mit diesen Gefühlen anders umgehen als Frauen. Männer trauern anders, aber nicht weniger intensiv als Frauen.
Das andere Trauern des Mannes hat viele Facetten. Müller / Schaefer bieten hier viel Material. Weil Männer sich oft als Einzelfall sehen, neigen sie zum Verschweigen und Verdrängen: „Nur ich bin betroffen. Niemand sonst. Zeige es nicht. Sei keine Memme“ Für Männer haben Leistung, Anerkennung, Erfolg und Status einen hohen Stellenwert. Kommt es hier zum Einbruch (Krankheit, Nachlassen der Kräfte, Weggang der Partnerin, Arbeitslosigkeit, Abbruch der beruflichen Karriere), wird der ganze Mensch gelähmt. Oftmals gelingt es Männern überhaupt nicht, neue Prioritäten als Bereicherung zu erkennen, z.B. Zeit haben oder Langsamkeit als Gewinn. In unserer global beeinflussten Hochleistungsgesellschaft ist jeder Arbeitende ein potenzieller Arbeitsloser. Männer sind besonders gefährdet, wenn die Arbeit ihre entscheidende Identitätsquelle ist (so wie es die Gesellschaft vorgibt) und für sie die Gleichsetzung gilt: Verlust der Arbeit = Verlust des Lebens. Männer müssen und können lernen, dass die Gleichung Arbeitsplatz = Arbeit = Leben nicht stimmig ist. Die ganze Breite der möglichen Lebensaktivitäten (politisches/ soziales Engagement, religiös/spirituelle Bildung, sportlich/künstlerische Aktivitäten, Kontakte, Reisen, Sprachen, Weiterbildung ….) hat ihre eigene Dignität und darf nicht verzweckt werden. Außerberufliche Professionalität kann schon im Beruf erstrebt werden.
Ab Lebensmitte befällt viele Männer „die Angst vor dem Verlust von Attraktivität oder gar vor dem Versagen im Bett“. Der Gedanke an den Verlust der Errektionsfähigkeit erhält sehr schnell traumatischen Charakter. Vielen Männern fällt es sehr schwer zu akzeptieren, dass männliche Attraktivität aus einer Summe unterschiedlicher Elemente besteht (Persönlichkeit, Reife, Ruhe, Kraft, Sicherheit, Lebens- und Liebeserfahrung, Zärtlichkeit, Einfühlsamkeit, Treue) und das Genitale nur ein Segment zwischenmenschlicher Sexualität ist.
Witwerrisiko:
In einem FU – Report von N. Knoll /Selim Erkan wird darauf hingewiesen
–Bei jungen Witwern steigt die Mortalitätsrate;
–Bei älteren Witwern steigt die Suizidrate.
Dann wird resumiert:
Männer verlieren meist ihren Lebenssinn und Willen, wenn der Partner verstirbt. Der Verlust des Ehepartners ist für Männer belastender als für Frauen. Verwitwete Männer verbringen mehr Zeit für die Hausarbeit und neigen zur Depression. Verwitwete Frauen gewinnen eine Verstärkung ihres Selbstvertrauens, während dies bei verwitweten Männern nicht auftritt.
(www.home.t-online.de/humanist.aktion/trauer.htm)
In einem Report des Infodienstes „beziehungsweise“, wird dargestellt, dass bei Männern nach Partnerverlust das Risiko erheblich steigt, psychisch oder körperlich zu erkranken. Nach einer finnischen Studie steigen bei Witwern das Sterberisiko um 21% und die Selbstmordrate um ein Dreifaches. „Männer scheinen demnach mit dem Verlust weniger gut zurecht zu kommen als Frauen. Ein Grund, warum Frauen besser mit diesem einschneidenden Ereignis fertig werden, sind ihre ausgeprägten Sozialkontakte. Zudem haben Frauen eine größere Bereitschaft, Trauerarbeit zu leisten. Es fällt ihnen leichter, ihre Gefühle auszudrücken und über die Trauer zu sprechen. Verlieren Männer ihre Partnerin, so geht damit auch die in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesene ‚gesundheitsfördernde Wirkung’ der Frau verloren. Männer sind auch weniger auf den Verlust vorbereitet, da es wahrscheinlicher ist, dass auf Grund der höheren Lebenserwartung der Frau der Tod des Mannes vorausgeht.“
(www.oif.ac.at/presse/bzw/artikel.asp?Rubrik-3&BZW )
In dem Report von Hans Stapelfeld und Jörg Reiner Hoppe wird im Hinblick auf Männer, die von ihrer Partnerin verlassen werden, darauf hingewiesen: „ Frauen machen sich durch eigene Berufstätigkeit unabhängig vom männlichen Ernährer. Männer werden häufig von der Trennung überrascht und erleben es als besonders kränkend, wenn sie von Frauen verlassen werden. Sie haben sich vielfach mit den Umständen abgefunden und scheinen für die Leere in ihrer Beziehung und fier Frustration der Frau unempfindlich zu sein. Nach der Trennung bricht für sie eine ausweglose Situation auf, wenn sie feststellen müssen, dass sie emotional weder mit noch ohne Frau leben können.“ Dies alles gilt auch für den Witwer. Mit dem Tod seiner Ehepartnerin ist der „SUPER – GAU“ eingetreten. Er wird emotional oft zu einem Kleinkind ohne seine Mutter.
(www.die-bonn.de/zeitschrift/42000/traditionen.htm)
Männer und ihr behindertes Kind
Müller / Schaefer widmen diesem Aspekt der Männertrauer besondere Aufmerksamkeit, weil sich hier Trauer als lebensbegleitender Prozess ereignet und für Männer eine besonders belastende Herausforderung darstellt.
Gesellschaftlich wird es toleriert, keine Kinder zu haben, oft sogar als besonderes Verantwortungsbewusstsein anerkannt. Anders ist das bei einem behinderten Kind.
Müller / Schaefer verweisen auf die häufige Phasenabfolge: Sprachlosigkeit (Gesprächsverweigerung gegenüber Partnerin und Freunden) – Relativierung (moderne Medizin, doctor – Shopping, es wird nicht so schlimm) – Aktivismus ( Sicherung der äußeren Versorgung) – oft lebenslange tendenziell heroische Krisen- und Trauerbewältigung. Die Akzeptanz eines behinderten Kindes ist durchaus vergleichbar mit der Trauerarbeit beim Sterben eines Kindes und kann sogar schwerer sein.
Das erste öffentliche Auftreten mit dem behinderten Kind kann zum Spießrutenlauf werden. Besonders schon vorher bei der Frage „ Wie geht es deinem Stammhalter?“.
„Mitleid signalisierende Blicke bei den ersten Ausfahrten hingegen werden von den Vätern oft genug als Reaktion auf persönliche Schmach und männliches Versagen interpretiert“.
Folgen der unterschiedlichen Lebenserwartung:
Prof. Gerhard Deimling von der FHS Wuppertal weist auf die historische Demographie hin: Bis ins 19. / 20. Jahrhundert hatten die Männer trotz der Kriegsverluste eine geringere Mortalitätsrate als Frauen, weil diese durch die hohe Müttersterblichkeit der damaligen Zeit stark belastet waren. In der modernen Industriegesellschaft haben sich diese Verhältnisse umgekehrt. Frauen haben von der technisch – industriellen und der medizinischen Entwicklung stärker profitiert als Männer. Besonders deutlich wird dies in Pflegeheimen. Die zahlenmäßig wenigen Männer begegnen meist nur Frauen. Wenn sie sich zurückziehen, werden sie depressiv. Wenn sie sich anpassen, neutralisieren sie ihre Geschlechtsrolle.
(www.isogam.uni-wuppertal.de/vt/deim.htm)
Männertrauergruppen
Gerhard Mühlbauer berichtet, dass die von ihm 2001 gegründete Trauergruppe für Männer die einzige dieser Art in Bayern sei. An Gründen nennt er: Die zahlenmäßige Übermacht der Frauen wird als unangenehm empfunden. Lieber vollziehen Männer ihre Trauerarbeit in bestehenden Männerkreisen (Sport, Freizeit, Bierrund, Kartenspiel, Chor …). Das gesellschaftlich eingeforderte Rollenspiel des Starken und Beherrschten macht es dem Mann schwer, seine Trauergefühle zu zeigen und darüber zu reden.
(www.gerhardmuehlbauer.de/trauerbegleitung.htm)
Ulrich Keller weist darauf hin, dass in den Trauergruppen bis zu 80 % Frauen sind, dies aber auch biologisch bedingt sei (Mortalitätsverhältnis 5:1).
Robert Bly weist darauf hin, dass der Mann in der westlichen Gesellschaft den „Inneren Krieger“ verloren hat = die Kraft in uns, eine Aufgabe bis zum Ende durchführen zu können. Einen wesentlichen Grund sieht er in dem Verlust der Initiationsriten. Früher in den Stammeskulturen waren die Initiationsriten eine Überleitung für die schwierige Phase des Mann – Werdens. In der Standesgesellschaft übernahmen diese Aufgabe die Väter, Meister und Großväter. In der anonymen Gesellschaft ging dieser personale Bezug verloren. Daraus ergibt sich bei bestimmten Voraussetzungen eine gewisse Lebensuntüchtigkeit.
Summarisches Nachwort:
- In der modernen Gesellschaft wird das traditionelle Rollenverständnis von Männern und Frauen verändert. Frauen erobern sich die Öffentlichkeit (z.B. Frauen in Männerberufen) und Männer verlieren ihre funktionale Exklusivität (z.B. Hausmänner). Aber sowohl bei Frauen wie bei Männern hingt das Bewusstsein nach, es gibt sogar eine Renaissance des traditionellen Rollenverständnisses (die frauliche Frau und der männliche Mann)
- Existentiellen Verlusten sind Frauen und Männer in gleicher Weise ausgesetzt, auch wenn Mortalitätsrate und Arbeitslosigkeit überproportional Männer betreffen. Geschlechtsspezifisch sind allerdings Unterschiede bei der Verlustverarbeitung festzustellen. Durch die Sozialisation ist der Mann auf Gewinnen und Durchhalten programmiert worden und ist in seiner sprachlichen Qualifikation in Bezug auf das Leben unterentwickelt. In Lebenskrisen wird er lebensuntüchtig, wenn er nicht von seiner Umwelt und/oder durch seine eigene biographische Entwicklung eine Stabilisierung erfährt.
- Männer, die ein bejahendes Sterben oder die geglückte Verarbeitung eines Verlustes bei einem anderen erleben, die spirituell verankert sind und dem Leben in seiner ganzen Weite positiv gegenüber stehen, sind fähig, eigene Verluste in Lebensgewinn umzuwandeln und dem eigenen Ende mit innerem Frieden entgegenzugehen.
- Männer sind möglicherweise durch die Reproduktionsform des Menschen (als Säugetier) weniger stark für Lebenskrisen ausgestattet. Frauen haben einen ursprünglicheren Bezug zu Leben, Schmerz und Sterben. Aber alle Typisierung kann individuell relativiert werden. Männer können weinen und Frauen versteinern.
- Besonders für Jungen ist es wichtig, dass sie von Krankheit, Alter, Sterben und Tod nicht ferngehalten werden. Die Fragen nach den Grenzsituationen des Lebens (und dazu gehört auch die Möglichkeit von Schuld, Versagen und Schicksalsschlägen) bedürfen einer altersgemäßen Antwort, um so die Chance zu wachsenden Lebenserfahrungen zu geben.