Die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums

  (Erstveröffentlichung Advent 2005)


 

Der Text

deutsch & griechisch

 

Es geschah aber:                                                             

Während sie dort waren,

erfüllten sich die Tage dafür,

dass sie gebar,

und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen;

und sie wickelte in Windeln ihn

und legte ihn in eine Krippe, weil ihnen nicht war

ein Platz in der Herberge.

(Lk 2,6– 7)

Die Geburt Jesu. Orthodoxe Ikone. Quelle: Internet. Prüfung bei TinEye. Rechte Dritter wurden nicht festgestellt.

Inhalt

Text

Ouvertüre für das Evangelium

Gott ist am Wirken

Die Adressaten

Beschneidung

Erfüllung

Geburt

Krippe und Stall

Der Sohn

Ausklang

1. Ouvertüre für das Evangelium.

Die Geburt Jesu mit Text. Quelle: Gefunden im Internet. Die Prüfung bei TinEye ergab keine Rechte Dritter.

Lukas ist ein begnadeter Künstler, deshalb komponiert er mit der Kindheitsgeschichte eine eigene Ouvertüre für sein Evangelium. Er will er uns einstimmen auf Jesus, den Gottessohn, den Retter und Heiland, das aufstrahlende Licht aus der Höhe, den Heiler der Körper und der Seelen. Lukas will uns zum Staunen führen, dass ER, der Starke Israels, in Jesus seine „barmherzige Liebe“ (Lk 1,78) gezeigt hat und uns Menschen aus der Finsternis in sein Licht führen (Lk 1, 67 ff) will. Lukas  baut ein gewaltiges Bühnenbild auf und weil diese Geschichte unseres Heiles (Lk 1,77)  so unbegreiflich ist, holt er den Friedenskaiser Augustus auf die Bretter, wie auch den bösen König Herodes. Mit einer gewaltigen Engelschar entfaltet Lukas eine Dramatik, wie sie in der Arena von Verona bei einer Aidaaufführung zu erleben ist. Weil Lukas noch weiß, dass Jesus aus dem Judentum kam, so fremd wie das auch für ihn mittlerweile ist, schafft er Verbindungslinien zu den alten Überlieferungen. Jeder jüdische Leser kannte die wunderbare Empfängnis der altgewordenen Sarah aus der Abrahamsgeschichte und wusste sofort, dass bei der Schwangerschaft Elisabeths Gott am Werke war. Fr die hellenistischen Leser fügt Lukas die Geschichte von der wunderbaren Empfängnis des Knaben Jesus ein, die diese aus der Äneis des Virgil kannten. Wie das Gegenstück von Adam und Eva begrüßen der greise Simeon und die Prophetin Hanna den Gottessohn und natürlich im Tempel, wo nach dem Glauben Israels der „MIT – UNS – IST“ seine Schechina (Schatten) ausbreitet. Für jeden, der in den jüdischen Traditionen groß geworden war, wirkte allein schon der Name Bethlehem wie ein Türöffner für die Geschichte um diesen Jesus, denn im Buch des Propheten Micha spricht Gott: „Aber du Bethlehem – Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der aber über Israel herrschen soll.“ (Micha 5,1) Und Lukas ist davon überzeugt, dass mit diesem prophetischen Wort Jesus gemeint war. Auch die Hirten sind nicht zufällig da. Die Väter Abraham, Isaak und Jakob waren alle Hirten. Auch der große Mose hatte lange Zeit die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro gehütet (Ex 3,1), wie später der unvergessene König David.. Lukas stellt die Hirten in die Weihnachtsszene als das wahre Israel, dass Jesus, den Retter sofort erkannt hat.

Es wäre völlig falsch und naiv hier nach den nackten Tatsachen (facta pura) zu fragen, etwa ob das Erzählte wirklich so oder anders geschehen sei. Um Gottes Willen, überall  – aber nicht hier. Vielleicht war es so, dass Maria wirklich nur eine Krippe für ihr Kind hatte? Vielleicht gab es die Herbergssuche, die wir so lieben? Vielleicht gab es diese intime Szene zwischen dem Engel Gabriel und der zwölfjährigen Mirjam?  Vielleicht war es wirklich so, dass sich die hochschwangere Maria ganz allein auf den Weg zu ihrer Tante Elisabeth machte? Das alles ist möglich und nicht möglich – aber für Lukas ist das nicht wichtig. Er gebraucht die Geschichten, so wie ein Künstler die Farben braucht. Wie man sich an einem wertvollen Bild nicht satt schauen kann oder Gedichte von Rilke oder Hesse immer wieder lesen kann, so berühren diese Geschichten jedes Jahr von neuem unser Herz. Nicht zufällig gibt es auch in unserer säkularen Welt immer noch die Krippe zu Weihnachten, die an Jesus erinnert, aber auch an uns selbst, an unsere Empfängnis, unsere Geburt, unsere Eltern, unsere Kindheit und Jugend. Und das ist gut und richtig. Denn wenn diese uralten Geschichten heute gelesen werden, geht es ja immer auch um uns, um mich, um dich, um uns alle auf unserem Weg zu unserer Vollendung.

2. Gott ist am Wirken

 

Geborgen.Quelle Internet. Bei TinEye wurden keine Rechte Dritter festgestellt und das Bild freigegeben zum nichtkommerziellen Gebrauch.

In der Lukanischen Ouvertüre der Heilsgeschichte gibt es eine Nuance, auf die wir unbedingt achten sollten. Lukas spielt nämlich mehrmals auf die Gottesformel der Bibel an. Diese uralten Worte  „Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht. Ich bin da“, gehörten zum Urgestein des biblischen Glaubens. Die frühe Kirche hat in der Seewandelgeschichte (Mk 6,50 ff) diese Worte Jesus in den Mund gelegt, um seine Nähe zu Gott anzudeuten. Der Evangelist Lukas legt  die Gottesformel dem Verkündigungsengel Gabriel  in den Mund: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir….Fürchte dich nicht.“  (Lk 1, 30 f).

 

 

 

Die biblische Selbstoffenbarung Gottes:

FÜRCHTE DICH NICHT   ICH BIN ES

ANI HU AL TIRA      (HEBRÄISCH)

ME FOBEISTE  EGO EIMI (GRIECHISCH)

 

FÜRCHTE DICH NICHT  –   ICH BIN ES

 

           μή φοβέισθε  εγω έίμί 

 

    אני הזא   –  אל־תיךא


Uns Christen klingen diese Worte vertraut, denn wir kennen sie aus der Liturgie. Deshalb müssen wir sorgfältig hinhören, um den stark feierlichen Ton zu hören, so wie ihn Lukas komponiert hat. Der Engel Gabriel ist wie ein Herold, der vom König eine wichtige Botschaft bringt. Und Lukas denkt präsentisch, es geht nicht nur um eine nette Geschichte aus der Vergangenheit. Lukas denkt zeitlos: „ER hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet und an seinen heiligen Bund gedacht“ (LK 1,72), lässt er den überraschend Vater gewordenen Tempelpriester Zacharias wie einen der großen Propheten verkünden (Lk 1,67). Und der fromme Simeon, der das Jesuskind liebevoll in seinen Armen wiegt, so dass er jetzt zum Sterben bereit ist, spricht stellvertretend für alle Menschen:„ Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das DU vor allen Völkern bereitet hast.“ (Lk 2, 25ff)

3. Die Adressaten

 

Quelle Internet. Bei TinEye wurden keine Rechte Dritter festgestellt und das Bild freigegeben zum nichtkommerziellen Gebrauch.

Nur die beiden Evangelisten Lukas und Matthäus komponieren eine Weihnachtsgeschichte, jeder auf seine Weise. Besonders Lukas berührt noch heute das Herz vieler Menschen. Die Sprache ist das Koinè, das Griechisch, das man damals in dem Römischen Reich  zur internationalen Verständigung brauchte – wie später das Latein und noch später das Französisch, heute aber das Englisch, und vielleicht in Hundert Jahren das Kanton – Chinesisch oder das Hindi.

Lukas hat Jesus von Nazaret nicht mehr persönlich erlebt. Er beschreibt deshalb nicht seine persönlichen Erlebnisse und Erinnerungen, sondern sammelt Geschichten, Briefe, Papierschnipsel, sammelt pedantisch, besucht Augenzeugen, die von Anfang an dabei waren. (Lk 1,1 ff). Das Markusevangelium liegt ihm vor, eine Sammlung von Herrenworten und viel Einzelmaterial. Eine mühsame Arbeit. Aber es geht ihm nicht darum, einen neuen  historischen Bericht zu verfassen. Nein, er will erklären, warum er ein Jünger dieses Jesus von Nazaret ist, und warum es überall im Römischen Reich solche Jünger Jesu gibt, obwohl Jerusalem damals eine zerstörte Stadt war – wie Berlin oder Köln nach dem Krieg 1945. Die meisten Juden waren schon längst aus ihrer Heimat vertrieben, wie die Polen nach dem zweiten Weltkrieg aus den polnischen und die Deutschen aus den deutschen Ostgebieten.  

Die Welt des Lukas war keineswegs ein Paradies, sie war irrational wie die unsere, wo die einen hungerten und die anderen sorgenlos in Luxus lebten. Es gab Kriege, Mord und Totschlag. Es gab Naturkatastrophen und Propheten einer wunderbaren Zukunft. Es gab aber auch Maler, Dichter und Philosophen; Mütter und Väter, Kinder und Sterbende. Es gab auch die Hohenpriester vieler Religionen und Kulte, alte und ganz neue. Es gab die Militärs und die Politiker und vor allem die vielen kleinen Leute, die oft in unvorstellbarer Armut lebten.  

Für diese Welt und alle folgenden Generationen schreibt Lukas sein Evangelium. Die christlichen Kirchen haben sich schon sehr früh entschieden, dieses Evangelium und auch seine Zweitschrift, die Apostelgeschichte, in ihre heiligen Bücher aufzunehmen.

Die Bibelwissenschaft gibt als Datierung für die Abfassung des Lukasevangeliums die achtziger und neunziger Jahre an.

Aber im Unterschied zu Markus  gehört Lukas nicht nur zu der zweiten oder dritten Generation der Jesusbewegung, sondern auch der Blickwinkel auf Jesus hat sich verändert. Lukas sieht die Erlösung bereits als Geschenk mitten unter uns. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,42), lässt er deshalb Jesus als vorletztes Wort am Kreuz sagen.

4. Die Beschneidung

 

Presentation at the Temple
by Giovanni Bellini – 1460-64 – Tempera on wood
Galleria Querini Stampalia, Venice
Die Prüfung bei TinEye ergab keine Rechte Dritter und die Freigebae für den nichtkommerziellen Gebrauch.

Lukas weiß, dass Jesus ein jüdischer Junge war und seine Eltern gläubige Juden und deshalb Jesus  nach dem Mosaischen Gesetz (Lev 12,3) acht Tage nach seiner Geburt beschnitten wurde. Mit einem nur rituell gebrauchten Messer schnitt ein jüdischer Beschneider, dem neugeborenen Jungen Joshua aus der Kleinstadt Nazaret, am kleinen Penis die Vorhaut ab. Es war ein uraltes Ritual, das vielleicht früher auf hygienische Rücksichten zurückging, aber mittlerweile im Judentum  zu einer Initiation geworden ist, bei der auch die offizielle Namensgebung erfolgte.(Von einer Beschneidung der Clitoris bei Mädchen ist uns nichts überliefert.)Der Levitikus – Text erwähnt allerdings die Beschneidung nur mit einem Halbsatz, sein Hauptanliegen ist die kultische Reinigung der „unrein“ gewordenen Wöchnerin. Für Lukas war das alles bereits eine fremde Welt. Nur sehr undeutlich nimmt er auf die Reinigungspflicht Bezug: „ Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.“ (Lk 2, 24)

Jesus war also am Penis beschnitten. Die späteren Generationen seiner Jünger hatten damit große Probleme, und zwar umso mehr, je tiefer die Entfremdung vom Judentum wurde. Auf Bildern wurden die Genitalien des Erlösers durch ein Lendentuch verhüllt, um die im Lukasevangelium verbürgte Beschneidung zu verbergen. Diese Unsicherheit galt auch für die Liturgie. In Jerusalem feierte man schon im 5. Jahrhundert 40 Tage nach Weihnachten ein Fest Mariä Reinigung. Als man 200 Jahre später, die so genannte „Sühneprozession“, ein altrömisches Fest endgültig abschaffen wollte, übernahm die Römische Kirche das Mariä – Reinigungs-Fest zum 14. Februar in ihren Kalender, später, als man den Zusammenhang mit den 40 Tagen nicht mehr im Auge hatte, erfolgte die Verlegung auf den 2. Februar. Aufschlussreich sind die Namen dieses Festes: Reinigung der Jungfrau Maria, (Purificatio Beatae Mariae Virginis), Darstellung des Herrn (seit dem II. Vatikanum), Begegnung (Ostkirche). Die Beschneidung erscheint nicht unter den Namen Wir sehen es heute sehr deutlich, wie die christlichen Kirchen das „Judesein Jesu“ verdrängten. Deshalb verlernten es die Christen auch, die Schriften des Neuen Testaments mit (zumindest auch) jüdischen Augen zu sehen. Es spricht nicht sehr viel dafür, dass Jesus im Jerusalemer Tempel beschnitten wurde, auch wenn dies Lukas so darstellt. Doch das ist seine Art. Er beherrscht die künstlerische Freiheit grandios, auch wenn das uns heute Probleme bereitet. Er komponiert die unterschiedlichen Traditionen, Bilder und Geschichten zu einer Symphonie zusammen und fügt biographische Daten ein, so dass wir heute nicht sagen können, ob sie historisch sind oder nicht. Aber ist das so wichtig? Auch von dem Weimarer Geheimrat Goethe wird vieles erzählt, was historischer Forschung nicht stand hält – so z.B. sein angeblich letztes Wort „Mehr Licht“. Von Luthers Thesenanschlag reden wir noch heute, obwohl dieser so wohl nie erfolgt ist. Und an den Resten des Tintenfleckes auf der Wartburg gehen  die Touristen staunend vorbei.   

 

5. Erfüllung

 

Geborgen in Gottes Hand. Bild von Köder Sieger. Autorenrechte wurden nicht festgestellt. Bei TinEye für nichtkommerziellen Gebrauch freigegeben

Wenn wir nur Zufallsergebnis eines kalten und meist finsteren Weltalls sind, dann gibt es keine Sinnantwort, wenn ein Kind stirbt oder eine Mutter bei der Geburt oder 200.000 Menschen durch eine Riesenwelle umkommen. Dann ist es so und Trost gibt es höchstens durch die Zeit, die uns vergessen lässt oder eine neue Tür öffnet. Dann gibt es auch keine Deutung unseres eigenen Todes, sondern lediglich die Chance, die Zeit bis dahin menschenwürdig zu bestehen.

Für uns Christen (und nicht nur für uns!) gibt es Gott als Ursprung und Mitte der Schöpfung  (aber auch wir Christen haben hier nur Hoffnung und keineswegs verbriefte Gewissheit), und nach dem Glauben Jesu ist Gott nicht ein Moloch sondern wie ein liebender Vater, der uns im Blick behält. Von hier aus gewinnen wir Christen Sinn für unser Leben.

Christlicher Glauben ist zutiefst davon überzeugt, dass die Schöpfung, so wie wir sie jetzt erleben und deren Teil wir sind, noch nicht vollendet ist. Schönheit und Unvollkommenheit sind die beiden Seiten der Jetztzeit, gefährlich und anfällig wie schön und lebenswert, aber eben erst der Anfang, so wie es Elisabeth Kübler – Ross mit dem Vergleich von Raupe, Puppe und Schmetterling eindrucksvoll zeichnete.

Daß das jetzige Leben Vorgeschmack und Ersterfahrung ist, also durchaus seinen Wert in sich hat, aber eben auch Vorbereitung, und Einübung, das ist die innerste Mitte des christlichen Glaubens. Auch die aufgrund der Tsunami – Welle massenweise im Meer Ertrunkenen und vielleicht von Haifischen Gefressenen sind auf dem Weg zu Gott, ihrem Ursprung und ihrem Ziel. Für diesen Glauben an den Weg eines jeden Menschen zu Gott hin schreibt Lukas sein Evangelium. Er ist zutiefst überzeugt, dass dieser Jesus Wegweiser, Pilot, Lotse, Prophet, der neue Adam, Erlöser, Mittler, Garantie, Eckstein, Quelle, Licht, Brot  und Evangelium (gute Botschaft) ist. Jesus war für ihn wie ein Bergsteiger, der auf einem Gipfel steht und weit vorausschaut in die Ferne, die doch so nahe ist. Deshalb vielleicht seine Zuversicht. Lukas sieht die Welt – unsere Welt – mit den Augen Jesu und – davon ist er überzeugt – auch mit den Augen Gottes, der wie ein Künstler an dem rohen Stein hämmert, aber die endgültige Gestalt immer vor Augen und vor allem uns Menschen im Blick hat.

6. Geburt 

Flucht nach Ägypten, genalt von Oskar Laske. Bei TinEye wurde das Bild für den nichtkommerziellen Gebrauch freigegeben.

Jeder Mensch – wie alle Säugetiere in der Biospäre – entsteht im Leib einer Frau. Auch Jesus wurde so geboren. Mirjam war die Mutter Joshuas. Wie alle Frauen hat sie ihren Sohn mit Schmerzen geboren. Nach der Geburt hat sie ihn in ihre Arme genommen und ihn an ihren Brüsten trinken lassen.  In den nichtkanonischen Evangelien gibt es viele Geschichten. Sie haben viele Künstler animiert und sind in das kollektive Gedächtnis eingegangen. Es gibt auch Bilder, wo die aus den Brüsten der Gottesmutter spritzende Milch ohne Scheu dargestellt  wird. Aber dieses Bild, Maria als gebärende und stillende Mutter, finden wir nur vorübergehend  in der Kunst. In der christlichen Tradition sind andere Mutter – Marien – Bilder beherrschend: die jungfräuliche Mutter, die Gottesmutter, die thronende Mutter, die leidende Mutter (Pieta oder unter dem Kreuz). In dem nichtkanonischen Jakobus – Evangelium (nach 150 geschrieben) untersucht die ungläubige Salome mit ihrem Finger die Scheide Marias, weil sie weder an die wunderbare Empfängnis noch an die wunderbare Geburt glauben kann. Mittelalterliche Theologen ließen sich  in langen Traktaten über „virginitas ante et post partum“ ( Jungfrau vor und nach der Geburt) aus und lehrten, dass Maria ohne Geschlechtsverkehr schwanger geworden  und die Geburt auf wunderbare Weise geschehen sei, so dass ihr Hymen weder durch einen Geschlechtsakt noch durch eine Geburt verletzt wurde. Zwar wird heute kein Bischof oder Priester so über die Jungfräulichkeit Marias reden, aber nicht zufällig wird Maria in den so genannten Marienerscheinungen immer als Jungfrau geschildert. Auch wenn es manchem nicht passt, müssen wir um diese Vorstellungen unserer Vorfahren wissen, denn sie sind in der Kunst und in unserem kollektiven Unterbewusstsein tief verankert. Vor allem aber müssen wir wieder „Maria als Mutter Jesu“ entdecken. Maria  war nicht „eine spirituelle Geburtsmaschine“ sondern wirklich Jesu Mutter.

Wir wissen heute, dass die „jungfräuliche Geburt“ viele Parallelen in der Religionsgeschichte hat. In Persien, Griechenland und Ägypten gibt es den Mythos von der jungfräulichen Empfängnis durch die geschlechtliche Begegnung mit einem Gott. Große griechische Gestalten sind Göttersöhne. Auch von Buddha wird eine wunderbare Empfängnis berichtet. Selbst das griechischsprachige Judentum kennt die Vorstellung einer vaterlosen Entstehung von Leben: Nach Philo von Alexandrien (+ 50 n. Chr.) empfangen die großen Frauengestalten Sara, Rebekka und Lea ihre Söhne von Gott, obschon diese nach dem Zeugnis der Bibel einen menschlichen Vater haben. Durch eine wunderbare, meist jungfräuliche, Empfängnis wurde im hellenistischen Judentum einer geschichtlich bedeutsamen Person Besonderheit und Einzigartigkeit zugeschrieben.

Weil Lukas in dieser Vorstellungswelt lebte, war es für ihn völlig unproblematisch, diese Geschichten von der wundersamen Empfängnis in sein Evangelium einzufügen.

Am Anfang der biblischen Tradition steht die Liebe von Adam und Eva als die normative Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau :

 

„Da schuf Elohim den Menschen in seinem Ebenbild,

im Ebenbild Elohims erschuf er ihn,

männlich und weiblich erschuf er sie,

und es segnete sie Elohim

und sprach es ihnen zu Elohim:

Seid fruchtbar und mehret euch

und füllet die Erde und unterwerfet sie“. (Gen 1,27)

(Linearübersetzung)

 Das ist die Schöpfungsordnung nach dem biblischen Verständnis des Schöpfungsberichtes der priesterlichen Tradition. Und im zweiten Schöpfungsbericht (Jahvist) steht geschrieben:

 

„Darauf sprach Jahve Elohim: Nicht ist es gut das Sein des Menschen für sich allein, machen werde ich für ihn eine Hilfe als sein Gegenüber….deshalb wird verlassen ein Mann seinen Vater und seine Mutter und wird anhangen seiner Frau und sie werden zu Fleisch einem.“ (Gen 2,18ff) (Linearübersetzung)


Die Schöpfungsordnung ist das Normale, die Regel, der vom Schöpfer vorgegebene Weg für uns Menschen. Leider haben wir Christen es umgedreht:  Das Single – Dasein (Jungfräulichkeit, Ehelosigkeit, Zölibat) wurde zur  Normalform und sogar zum Maß für  höhere Lebensqualität. Es ist die Geschichte der Enkràteia (Geschlechtliche Enthaltsamkeit).

Immer wenn der berühmte Mailänder Bischof,  Johannes Chrysostomus, predigte, ließen besorgte Mütter ihre Töchter nicht zu dessen  Predigten, weil dieser unverhohlen zu sexueller Enthaltsamkeit und Eheverzicht aufrief.  Von dem großen Hieronymus wissen wir, dass er Rom verlassen musste, weil aufgrund seiner Predigten die Töchter von angesehenen römischen Familien scharenweise die Ehe verweigerten und viele fromme Frauen in der Hochzeitsnacht  ihren Gatten zum lebenslangen Verzicht auf Geschlechtsverkehr überredeten., wurde zum heiligen Vorbild.

 Das europäische Abendland ist durch diese Idee geworden – zweifellos. Es wurden viele Energien frei gesetzt – freilich viel zu oft zu einem hohen Preis für einzelne Menschen. Nur wer es als gereifter Mensch will und wirklich kann, darf die Schöpfungsordnung verlassen und einen anderen Weg gehen. Martin Luther hat dies erkannt und zog die Konsequenzen.  

Aber es lohnt sich, noch einmal genauer auf den Text des Lukas zu schauen. Lukas nennt Maria zwar zweimal „Jungfrau“ (Lk 1,27), legt aber offensichtlich keinen besonderen Akzent darauf. Bei der Begegnung der beiden Frauen lässt er Elisabeth sagen: „Gesegnet bist Du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42).

In der sozialen Wertordnung einer patriarchalischen Gesellschaft stand eine junge Frau ganz unten. Ihr Alltag war bestimmt von harter Arbeit. Lukas lässt den Engel „eintreten“- was an ein Haus denken lässt, in dem Maria lebte. Die Wirklichkeit war eine andere. Aus den Ausgrabungen von Karpharnaum wissen wir, dass die Häuser aus einem einzigen Raum bestanden, in dem große Familien auf engstem Raum zusammen mit ihren Tieren lebten. Nach der Engelankündigung stimmt Maria aus eigenem Antrieb zu, die Mutter des Messias zu werden – ohne Konsultation ihrer Familie (Lk 1,38). Dies macht uns deutlich, dass es sich hier nicht um eine reale Schilderung sondern um eine theologische Aussage des Evangelisten handelte: Für Lukas sind gerade die Geringen, die Frauen, die Kranken und Menschen am Rand, die Gott erwählt und denen er ihre Würde gibt. So schildert er auch Maria. Sie hieß ja Mirjam, wie die große Mirjam mit der Pauke, die Schwester des Mose. Aber sie war noch zart und gebrechlich: vielleicht 11 oder 12 Jahre. Das nicht kanonische Jakobus – Evangelium erzählt: Die Mutter Maria hieß Anna,  sie war mit einem reichen Israeliten verheiratet, aber kinderlos. Doch „siehe, ein Engel des Herrn trat herzu und sprach zu ihr: Anna, Anna! Erhört hat der Herr deine Bitte: du sollst empfangen und sollst gebären, und dein Same soll in aller Welt genannt werden.“ Im neunten Monat dann gebar Anna ein Mädchen und nannte es Mirjam.

In diesem Mädchen Mirjam, die nach der Überlieferung Mutter des Joshua aus Nazaret wurde, sieht Lukas eine neue Mirjam. Lukas lässt in seiner Apostelgeschichte Maria inmitten der Gemeinde der Jünger Jesu zur Prophetin und zum Zeichen einer neuen Wirklichkeit werden (Apg 2; 1ff).  Dabei mag auch anklingen, dass diese junge Frau das Volk Israel, die „Jungfrau, Tochter Zion“ vertritt, die auf den Messias wartet. In der Bibel werden Städte und ihre Bewohner oft poetisch als „Jungfrau“ und „Tochter“ bezeichnet. Auch die christliche Gemeinde wird kollektiv als „reine Jungfrau“ bezeichnet (2 Kor 11,2). Hier ist die Braut im Blick, wie sie auch in der Offenbarung als Bild der vollendeten Kirche zur Hochzeit mit dem „Lamm“ (Christus) vom Himmel kommt. (Offb 21,2).
Für Lukas ist es wichtig: Maria lässt sich von Gottes Geist berühren. darin sieht Lukas ein wichtiges Kennzeichen der neuen Zeit: die Jünger Jesu werden gewissermaßen ein Katalysator für Gott. Durch die Jünger Jesu kann Gott seinen Kontakt (=Gnade) zu seiner Welt halten.

 

7. Krippe und Stall

 

Die heiligen drei Könige in naiver Malerei. Das Bild wurde bei TinEye überprüft. Rechte Dritter wurden nicht festgestellt.

„Die Krippe mit dem göttlichen Kind“ ist die Mitte des christlichen Weihnachten. Der griechisch Text gebraucht das Wort φάτνη, das bereits im klassischen Griechisch einen ausgehöhlten Futtertrog aus Holz meint. Weil es im Lukastext also wörtlich heißt: Maria „legte ihn (Jesus) in einen Futtertrog“, kam es wohl zu der Assoziation mit dem Stall. Die ostkirchliche Überlieferung war noch näher an dem Geschehen und sprach von einer Höhle, weil Hirten bei Unwetter und auch nachts mit ihren Tieren Schutz in einer Höhle suchten. die westliche Tradition aber entschied sich für Stall und Krippe (krippa bedeutete im Althochdeutschen Flechtwerk). Und weil am Anfang des Jesaja – Textes Ochs und Esel genannt werden, die ihren Herrn kennen (Jes. 1,3), wurden diese dem Jesuskind als Begleiter zugesellt.

Krippe und Stall sind von tiefer Bedeutung. Sie sind zunächst eine Warnung vor einer reichen Kirche (Lukas beschreibt ja in seinen beiden Schriften das Werden der christlichen Kirche).  Franziskus verstand das sehr gut und entschied sich deshalb für ein armes Leben, um der reichen mittelalterlichen Kirche eine prophetische Botschaft zu geben. Alle klösterlichen Gemeinschaften sind mit dem Anspruch der Armut angetreten und sind dann doch im Reichtum gelandet. Als die Benediktiner immer reicher und (damit auch) mächtiger wurden, entstand die Reformbewegung der Cluniazenser. Lasst uns wieder wirklich arm werden und einfach leben, war die Parole. Das größte Kloster (2000 Mönche)  dieser Reformbewegung wurde aber nach der Französischen Revolution so gehasst, dass nur noch Reste übrig blieben. Roger Schutz (), der Gründer der Brüdergemeinschaft in Taizè hat deshalb streng untersagt, Erbschaften und Geschenke anzunehmen (Taizè ist nur 12 Km von Cluny entfernt). Auch wenn das vielen nicht gefällt, so ist es doch richtig: Der neue Papst bei den Weltjugendtagen in Köln – auf dem Hügel vor einer Million zusammengekarrter junger Menschen (die im äußeren Terrain, waren zwei Km von ihm entfernt!) – vermittelte keinesfalls das Bild einer einfach lebenden Kirche, sondern verkörperte die Mediengesellschaft mit ihren organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten.

Weihnachten kann und will unsere Blickrichtung verändern, um Gott auch in den Ställen dieser Welt zu finden.  Nicht nur im trauten Heim, in dem der Weihnachtsschmuck uns Liebe und Geborgenheit vermittelt, nicht nur im feierlichen Gottesdienst in der Kirche, in der uns das Licht der Kerzen Gottes Nähe widerspiegelt, oder beim unsterblichen Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, das unser Herz berührt, nicht nur da, sondern auch am Rande unserer Gesellschaft ist Gott bei seiner Schöpfung, die „bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8, 22).

Doch „das göttliche Kind in der Krippe im Stall“ hat noch eine andere Botschaft. Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung schreibt einmal, der Mensch solle immer daran denken, daß Christus im Stall geboren wurde. „Stall“, das ist – in der Tiefe unseres Wesens – Bild für das Unaufgeräumte, das Chaos in uns! Stall, das ist das, was nicht gut riecht, was uns peinlich ist, was wir am liebsten vor uns selbst und vor dem anderen verbergen würden. „Es hätte wohl dem Geschmack vieler besser entsprochen, wenn er (Christus) im Tempel zur Welt gekommen wäre,“ meint er. Der Mystiker Angelus Silesius hat das gewusst: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst doch ewiglich verloren“.

 8. Der Sohn

Warum ein Sohn und nicht eine Tochter? Die Antwort gibt das gesellschaftliche Umfeld der Antike.

Die Religionswissenschaft zeigt uns, dass schon die schriftlosen Völker in Australien, Afrika, Asien und Amerika den „Heilbringer“ kannten, der zwischen der Gottheit und den Menschen steht und oft in menschlicher Gestalt auftritt. In der jüdischen Tradition wurde der Königstitel Messias (Maschiach = Gesalbter = Christos = Christus) auf einen Heilbringer übertragen, der die Wende der Geschichte bringt und damit auch die Verfolgung des auserwählten Volkes beendet. Wir wissen, dass es viele Ausformungen dieses Messiasglaubens gab. Im Buch Daniel kommt der Messias  auf den Wolken des Himmels, „alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen“. Im Buch Sacharja aber ist er „ demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.“ (Sach 9,9) In der Abgrenzung gegenüber dem Christentum, das in Jesus den gekommenen Messias sah, betonte das Judentum den kommenden: „Ich glaube mit voller Überzeugung an das dereinstige Kommen des Messias, und ob er gleich säume, so harre ich doch jeden Tag auf sein Kommen!“heißt es im 12. Glaubensartikel des jüdischen Gelehrten Maimonides(1135-1204) und im heutigen jüdischen Gebetbuch: „Er schickt am Ende der Tage unseren Gesalbten, zu erlösen, die auf das Endziel der Erlösung harren.“

Aber auch der römische Dichter Virgil (70 – 19 v. Chr.)schrieb in seiner Äneis:

„Nun ist gekommen die letzte Zeit nach dem Spruch der Sybille (= ein berühmtes Orakel der Antike).

Neu entspringt jetzt frischer Geschlechter erhabene Ordnung. (…)

Schon steigt neu ein Erbe herab aus himmlischen Höhen.

Sei nun dem nahenden Knaben, mit dem die eisernen Menschen (= die Krieger),

und allen Welten ein goldenes Alter erblühet

– gnädig sei ihm, du Helferin, Reine! (…)

Jener empfängt das Leben der Gottheit,

schauet die Götter an und Heroen vereint, wird selber von ihnen geschauet.

Friedlich den Erdkreis regiert er, mit Kraft vom Vater ererbt“

 

Es war ein Knabe, der von den Religionen als Heilbringer erwartet wurde und nicht ein Mädchen. Nach dem Verständnis der patriarchalischen Gesellschaftsordnung war der erste Sohn, also der Älteste, der Träger der Erbfolge. Er trat in die Fußstapfen des Vaters und hatte beim Tode des Vaters die Verantwortung für die ganze Familie zu übernehmen. Das ist der Sinn des „Erstgeborenen“. Paulus wird auf diesem Titel eine ganze Theologie  aufbauen (Röm 8,29). Ein modernes Phantombild des zwölfjährigen Jesus lässt uns erahnen, welche spirituelle Energie in ihm steckte.

9. Ausklang

 

Durchgang. Quelle Internet. Bei TinEye wurden keine Rechte Dritter festgestellt und das Bild freigegeben zum nichtkommerziellen Gebrauch.

Von dem Evangelisten Lukas haben wir nur sein Evangelium und die Apostelgeschichte. In diesen griechisch geschriebenen Schriften hat er sich als „Diener des Wortes“ (Lk 1,2 ) verewigt. Lukas ist ein großer Künstler. Alles hat bei ihm seinen Platz und Sinn. Jeder Pinselstrich stimmt, jeder Ton klingt. Der Arzt Lukas will die Tür zur Begegnung mit diesem Jesus von Nazareth öffnen, in dem er einen Wendepunkt der Menschheitsgeschichte sieht. Die  letzten Sätze seines Evangeliums:

„Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott.“ (Lk 24, 52f)

Die letzten Sätze seiner „Taten der Apostel“: Paulus „blieb aber ganze zwei Jahre in einer eigenen Mietwohnung, und er nahm auf alle Hinkommenden zu ihm, verkündigend das Reich Gottes und lehrend das über den Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert.“ ( Apg 28, 30f)

Lukas schafft mit seinen beiden Büchern nicht nur ein Glaubenszeugnis sondern auch ein großes Kunstwerk, das uns auch heute nach fast zweitausend Jahren berührt.  

 Der evangelische Dichterpfarrer Paul Gerhardt stand 1637 vor einer Barockkirche und schaute auf das Jesuskind in der Krippe. Dann schrieb er ein neues Lied: „Ich steh an deiner Krippe hier.“ Das Lied ist das Gebet eines tief gläubigen Mannes in schwerer Zeit – es wurde auch zu einer Homage auf den Evangelisten Lukas.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kittlauss Dez 27th 2012 05:20 pm Biblische Studien Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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