Der hierarchische Virus der Römischen Kirche – kirchenkritische Studie von Dieter Kittlauß

Bischo Tebartz von Eltz

Bischof Tebartz von Eltz

Das beigefügte Bild des Limburger Bischofs Tebartz van Eltz stammt aus der Kirchengeschichte unserer Zeit. Durch die Mitra ragt jeder  Bischof sichtbar aus dem Kirchenvolk hervor. Seine Insignien (Stab, Ring, Kleidung) sollen seine Macht demonstrieren. Er versteht sich als Stellvertreter Gottes, als  Hoher Priester, als Oberhirt und Lehrer des ihm unterstellten Kirchenvolkes.[1] Weil dahinter ein Virus steckt und zwar der Virus der Anmaßung, sind Amtsträger wie Bischof Kamphaus oder Papst Franziskus immer nur eine mehr oder minder zufällige Episode. Die Anmaßung zeigt sich am deutlichsten im Herrschaftsanspruch über die Tradition. Die Römische Kirche (und die ist hier Gegenstand der Erörterung)  beruft sich zwar auf die biblische Tradition, weil diese die engste Schnittstelle zu Jesus von Nazareth bildet, aber erlaubt sich im konkreten Fall immer die Umdeutung oder auch die Annullierung. Anders gesagt: Sie spricht vom Wort Gottes oder von der Weisung Jesu, aber entscheidet dann selbst, ob sie sich danach richten soll oder nicht. Mit zwei sehr praxisnahen Beispielen soll das Gemeinte verdeutlicht werden.

Im 1. Timotheusbrief wird ab 2. Kapitel „Die rechte Ordnung in den Gemeinden“[2] beschrieben. Jeder, der den Text vorurteilsfrei liest, wird sofort verstehen, dass hier  so etwas wie eine grundsätzliche Normative gegeben wird. Da wird zuerst das Gebet für alle Menschen genannt. Dann wird die Lebensführung von christlichen Männern und Frauen im Rahmen des damaligen gesellschaftlichen Umfeldes beschrieben. Anschließend werden Verhaltensweisen für den Adressaten (‚Timotheus) wie für Presbyter (Älteste) und Sklaven ausführlich beschrieben. Die Gemeinde des Timotheus kennt wie die anderen paulinischen Gemeinden eine presbyteriale Gemeindestruktur, die sich an die Ordnung der jüdischen Gemeinden anlehnt. Neben den Presbytern und Diakonen sind hier auch ausdrücklich Bischöfe – Epicopoi) genannt, eine Amtsbezeichnung, die wohl aus dem militärisch – politischen Bereich stammt. Die einzelnen Ämter sind nicht genau voneinander abgegrenzt. Die Episcopoi des Timotheusbriefes sind jedenfalls noch nicht mit den späteren monarchischen Bischöfen zu vergleichen. Hier ist nun von Wichtigkeit, dass sowohl bei den Bischöfen wie bei den Diakonen ausdrücklich erwähnt und sogar im Einzelnen beschrieben wird, dass sie verheiratet sein „sollen“. Die Art und Weise, wie ein Bischof als verheirateter Hausvater lebt, wird  als eine zentrale Vorausbedingung für seinen Leitungsdienst in der Gemeinde benannt. Bischöfe und Priester sollen sich als verheiratete Familienväter bewährt haben und bewähren. Das ist die Botschaft des 1. Timotheusbriefes, der in den Kanon des Neuen Testamentes aufgenommen worden. Doch die kirchliche Entwicklung  läuft konträr, denn Im 2. Jahrhundert entstand schrittweise und keineswegs einheitlich das so genannte monarchische Episkopat, in dem der Bischof alleine die Gemeinde führte und Diakon und Presbyter zu seinen Gehilfen wurden.  Im 2. und 3. Jahrhundert war der Bischof jedoch in der Regel der Leiter nur einer kleinen, lokalen Gemeinde, predigte und leitete die Feier der Eucharistie. Unterstützt wurde er von einem Gremium von Ältesten und von Diakonen. Da der Titel Episkopus von der politisch – militärischen Administration übernommen wurde, beeinflussten zunehmend dessen Normen das kirchliche Amt. Neben der Forderung auf unbedingten Gehorsam gehörte die geforderte Ehelosigkeit der höheren römischen Offiziere dazu. So war Constantius, der Cäsar des westlichen Reiches unverheiratet, durfte aber die Tänzerin Helena als Mätresse mit sich führen,  und zeugte mit dieser einen Sohn, den späteren Kaiser Konstantin. Als Constantius auf Weisung des Kaisers Maximinus als Voraussetzung seiner Thronfolge die kaiserliche Prinzessin Theodora heiratete, verstieß er Helena und Konstantin trat als Bastard in den Hintergrund. Weil später Konstantin als Kaiser in der christlichen Religion einen Stabilitätsfaktor für die Einheit des Reiches sah, legalisierte er das Christentum und stattete die kirchlichen  Episcopoi mit den Privilegien der  römischen Beamten aus[3]. Nun war die weitere Entwicklung programmiert. Die frühchristliche Tradition der paulinischen Gemeinden wurde einfach als zeitbedingt beiseitegeschoben und die Begründung für das Monoepiskopat nahtlos auf die Apostel zurückgeführt. Bis heute ist die Mär von der Apostolischen Sukzession gestaltungswirksam für die Römische Kirche. Die bischöfliche Struktur wird zum Identitätsmerkmal der katholischen Kirche.  Ein (gewollter) Nebeneffekt dieser Entwicklung war die Verdrängung der Frauen aus allen kirchenamtlichen Funktionen und die Abwertung der Frauen insgesamt. Wer nur ein wenig von der History versteht, weiß schon mit seinem Allgemeinwissen, dass die so genannte apostolische Nachfolge nicht auf Jesus Christus und die Apostel zurückgeführt wird, sondern in Wirklichkeit das Ergebnis einer konkreten geschichtlichen Entwicklung ist. Die Episode der politischen Ausprägung (Kurfürsten, geistliche Fürsten und Erzäbte) gehört temporär zu dieser Entwicklung.

Eine ähnliche Umformung der Tradition kann man in der derzeitigen  Auseinandersetzung in der Römischen – katholischen Kirche um die Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten beobachten. Der Präfekt der Römischen Glaubenskongregation lehnt eine solche Zulassung kategorisch ab: „Wir wissen, dass es schwierige Situationen gibt, etwa wenn ein Ehepartner verletzt oder böswillig verlassen wurde‘, sagte der oberste Glaubenshüter Müller der Mainzer ‚Allgemeinen Zeitung‘, „“aber das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass menschliche Regeln Gottes Wort außer Kraft setzen.“ Andere hohe Kirchenbeamten wie die Kardinäle Kaspar und Marx,  kommen zu einer anderen Schlussfolgerung, obwohl sie alle die Unauflöslichkeit der Ehe als göttliches Gebot begründen. Eigenartigerweise hinterfragt keiner der katholischen Kirchenbeamten, ob diese traditionelle Interpretation der biblischen Texte noch zwangsläufig so und nicht anders erfolgen muss. Denn ist es ist heute für die wissenschaftliche Schriftauslegung selbstverständlich, dass Jesus von Nazareth in die religiöse Tradition des spätantiken Judentums eingebunden war[4]. Diese erlaubte (bis heute) nur dem Mann die Scheidung von seiner Frau und zwar sogar ohne Begründung. Gegen diese frauenfeindliche Praxis wandte sich offensichtlich Jesus. Es ist eigentlich sehr kurios, dass die rigorose römische Tradition gerade mit dem Hinweis auf das Matthäusevangelium begründet wird, wo doch ausdrücklich gesagt ist: „Ich aber sage Euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus, und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.“ (Mt. 5,32). Bemerkenswert ist auch, dass diese rigorose römische Interpretation, die sich auf den Willen Gottes bzw. die Stiftung Jesu beruft, bei den unierten Kirchen nicht angewandt wird.

Solche Beispiele (hier: Bischofsamt und Wiederverheiratung) lassen sich beliebig vermehren. Obwohl es ein eindeutiges Herrenwort über das Verbot des Schwörens gibt, verlangt die Römische Kirche von ihren Amtsträgern alle möglichen feindlichen Eide. Unter Berufung auf die Augustinische Erbsündenlehre wird die Taufe als Erlösungsaustritt aus der negativen Schicksalsgemeinschaft  vollzogen, obwohl sie in der biblischen Tradition Zeichen von Bekehrung und persönlichem Glauben ist. Mit Begründung der apostolischen Sukzession werden die biblischen Texte entweder als Wort Gottes oder aber als Glaubenszeugnisse aus der Vergangenheit (was sie auch sind) interpretiert. Vor allem aber ist es die Anmaßung und Forderung des absoluten Gehorsams, die die höheren Kirchenbeamten zu den Herren der Kirche gemacht haben. Deshalb wird sich in der Katholischen Kirche nur etwas Grundsätzliches ändern, wenn sich die Katholiken die Kirche wieder zurückholen, die ihnen der Klerus geraubt hat. Die Katholische Kirche steht damit vor einer zweiten Reformation. Wie bei einem Verkehrsunfall muss eine Rückwicklung erfolgen.

40483h480w640Die Frage ist nur, ob die gegenwärtige Römische Kirche unter dem sehr offenen Papst Franziskus genügend evolutive Kräfte sammeln und aktivieren kann oder ob  (wie bei und nach dem II. Vatikanum) der rechtskonservative Flügel um Erzbischof Müller und seine strikt konservativen bischöflichen Kumpanen das Sagen behält. Gewichtige Stimmen sind davon überzeugt, dass bei Blockade des dringend notwendigen Reformprozesses die Römische Kirche in der demokratischen Welt der Aufklärung einem drastischen Schrumpfungsprozess ausgesetzt wird. Eine solche Entwicklung hat es schon einmal am Ende der Völkerwanderung in Nordafrika, Kleinasien und über die Mongolei bis China hin gegeben. Spätestens mit dem Einfluss des Islam begann hier das Schicksal der „sterbenden Kirche“. Aber auch wenn sich die Reformkräfte in der Römischen Kirche durchsetzen, wird es dennoch vieler Anstrengungen bedürfen, den richtigen Weg zu finden. Denn den Anfang muss die Revision der Anmaßung bilden. Der Verzicht auf den Anspruch der Stiftung durch Jesus Christus und seine Apostel und das Eingeständnis, Objekt historischer Prozesse zu sein, wird nur gelingen, wenn Papst Franziskus nicht nur mächtige Männer um sich sammelt (was durchaus sehr klug ist), sondern auch geistliche Menschen in seiner Umgebung sprechen lässt. Ein Handicap für die „Römische Theaterkirche“ (Pomp, Kostümfeste und Personenkult) ist ihre immer geringere Bedeutung für das konkrete Leben der Menschen. Meist spielt es keine Rolle mehr, was Papst und Hierarchie lauthals verkünden. Die Bindung vieler Menschen an die Katholische Kirche gilt offensichtlich den systematisch gestalteten Events. Aber es ist sicherlich nicht zu kurz gegriffen zu sagen, dass die Zeit eilt. Die Katholische Kirche gleicht einem Haus, wo das Dach löchrig ist   und das Fundament unterspült wird. Am Anfang ist nicht viel zu bemerken. Dann auf einmal geht alles sehr schnell. In meiner Studentenzeit war es für mich eine große Erfüllung meiner Wünsche, als ich den Holländischen Katechismus geschenkt bekam. Heute ist von der einst so lebendigen Katholischen Kirche in den Niederlanden nicht mehr viel übrig. In Belgien sind für die Öffentlichkeit die katholischen Bischöfe nicht einmal als Gesprächspartner gefragt. Und nach den neusten Analysen, gibt es bei uns in Deutschland zwischen der katholischen Morallehre und dem Leben der meisten Katholiken keinerlei Identität. Wenn die katholische Kirche ihre wirtschaftliche Macht verliert und die Mitgliederzahlen weiter schwinden, wird sie auch in Deutschland in der öffentlichen Aufmerksamkeit sehr schnell an Bedeutung verlieren. Was auch die Nichtkatholiken nachdenklich machen sollte, ist die Frage, was in das Vakuum einströmt? Auch die Entwicklung in den USA kann nicht beruhigen, denn dort ist die fundamentalistische Umformung des Katholizismus geradezu beängstigend. Es gibt ein hässliches Christentum, Martin Luther hatte das begriffen. Wie schnell sich die Verhältnisse ändern können, lässt sich an der Krimkrise ablesen. Leichtfertiger Optimismus ist fehl am Platze. Die jüdischen Rabbinen entdeckten in der uralten Geschichte von Kain und Abel, dass der Text nichts aussagt, was Kain und Abel miteinander redeten. Sie  gaben deshalb die Interpretation. Drei Antworten finden wir: Die Gier nach Macht, Besitz und Sex sind die Ursachen, warum der Kain den Abel erschlug. Es ist so, als ob das heute nach 2500 Jahren immer noch gilt – und – auch für die Römische Kirche. Die Missbrauchsgeschichten katholischer Priester, die Maffiageschäfte der Vatikanbank und die geradezu unerträgliche Tebartz- Geschichte machen es schwer, ein anderes Kirchenbild zu haben.

Bendorf / Rhein, 18. März 2014

Dieter Kittlauß

Unbenannt

 


[1] Die Unterordnung  des Bischofs unter den Päpstlichen Primat ist ein temporärer Sonderweg der Römischen Kirche. Und wird hier nicht erördert.
[2] Diese Formulierung gibt die Einheitsübersetzung als Überschrift für den Inhalt.
[3] Der Bereich eines solchen Bischofs wurde seit dem 4. Jahrhundert Diözese (von griech. διοίκησις dioikesis ‚Verwaltung[sbezirk]‘) genannt und umfasste meist eine Stadt und die umliegenden Dörfer; die Stadt war der Bischofssitz. Die Kirche übernahm damit die administrative Struktur des spätantiken Römischen Reiches, in dem es ebenfalls Diözesen gab: Die kirchliche Hierarchie (Bistum, Diözese und Patriarchat) entsprach teils sogar in der Grenzziehung der Sprengel genau der weltlichen von Provinz, Diözese und Prätorianerpräfektur. Sie bewahrte sie über das Ende der römischen Herrschaft hinaus.(Wikipedia: Bischof; 17.03.2014)
[4] Hubertus Frankemölle, Frühjudentum und Urchristentum, Kohlhammer Verlag Stuttgart, 2006 .

Kittlauss Mrz 20th 2014 06:32 pm Katholische Kirche kontrovers Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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