Impressionen vom ökumenischen Kirchentag im Juni 2003 in Berlin

 

 

Der ökumenische Kirchentag in Berlin ließ eine junge Generation erleben, die der christlichen Tradition etwas hilflos gegenübersteht und für die Ökumene (zumindest in Deutschland) ziemlich selbstverständlich ist. Das Bild zeigt das offizielle und veröffentlichte Plakat des Kirchentages.

Schon lange Zeit habe ich ein gebrochenes Verhältnis zu Massenveranstaltungen, dass ich dennoch zum Kirchentag gefahren bin, lag an meinem Gefühl, dass in Berlin etwas Wichtiges passieren könne. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn das Wort „ökumenisch“ bekam eine neue Qualität. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung prägte etwas spöttisch das Wort „kathogelisch“, traf aber damit den Nagel auf den Kopf. Katholiken und Protestanten waren beim Kirchentag nur noch mühsam zu unterscheiden, eigentlich nur bei den Pfadfindern mit ihren grauen und grünen Klufthemden, auch die 3200 Stände und Veranstaltungen waren sich sehr ähnlich. Zwei Nonnen, die ich am Stand der VkPF ansprach, entpuppten sich als evangelische Diakonissinnen. Selbst in der liturgischen Kleidung gab es beträchtliche Konvergenzen. Bei einem meiner Rundgänge durch die Messehallen entdeckte ich den gemeinsamen Stand des Deutschen Evangelischen und des Katholischen Deutschen Frauenbundes unter dem Motto „Mit Lydia auf dem Weg der Ökumene“. Freundlich wurde ich angesprochen und eingeladen einen Knopf anzunähen. Auf dem Tisch war ein großes Tuch ausgebreitet (ich dachte sofort an den nicht zerteilten Rock Christi) und aus einer Schachtel mit vielen unterschiedlichen Knöpfen konnte ich mir einen Knopf aussuchen und annähen. Hier war keine Predigt nötig. Wie die gesamte Schöpfung ist auch die christliche Bewegung dem Gesetz der sich entfaltenden Fülle unterworfen. Wenn nicht Machtstreben, Stolz, Selbstherrlichkeit oder Fanatismus die Überhand gewinnen, sind die vielen Facetten christlichen Lebens und Glaubens eine Widerspieglung der göttlichen Schöpfung. Die Vielfalt der christlichen Traditionen ist unser Reichtum. Dies war vielleicht die wichtigste Erfahrung für alle.

Am Himmelfahrtstag fuhr ich mit Ernst Sillmann, dem Vorsitzenden der Vereinigung Katholischer Priester und ihrer Frauen, zum ökumenischen Gottesdienst in die evangelische Gethsemane – Kirche an der S-Bahn-Station Schönhauser Allee, mitten im früheren Ostberlin. Als ob wir es geahnt hätten, waren wir schon mehr als eine Stunde vorher da, so dass wir gerade noch Einlass und Sitzplatz fanden. Die Einladenden, die Initiative Kirche von unten, die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche und die Evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berg – Nord hatten eingeladen; mehr als 2000 waren dieser gefolgt. Die Veranstaltung fand außerhalb des offiziellen Kirchentagsprogramms statt, nachträglich gesehen sogar eine weise Entscheidung. Eigentlich geschah nichts Spektakuläres. Es wurde die Eucharistie nach römischem Ritus gefeiert, bei der Wiederholung am Samstag dann als evangelische Abendmahlsfeier, wobei jeweils die Predigt von einem anderen Part übernommen wurde. Nein, das war wahrlich nichts Neues, seit mehr als 20 Jahren gibt es in Deutschland Eucharistie- und Abendmahlsfeiern, die wesentlich deutlicher die konfessionelle Grenze durchbrechen. Das Neue aber lag in der öffentlich angekündigten Einladung zum gemeinsamen Mahl und in der Selbstverständlichkeit, mit der Christinnen und Christen aus beiden Kirchen die Gastfreundschaft lebten und in großer Souveränität für jeweils zwei Stunden den Auftrag „ Esst alle davon“ verwirklichten. Ich werde mich noch lange an diese beiden Gottesdienste erinnern. Als die große Gemeinde am Samstag zum Schluss den Choral „Nun danket alle Gott“ sang, kamen manchem die Tränen. Überhaupt konnte man überall beim Kirchentag erleben, wie die alten und neuen Lieder zum gemeinsamen Besitz von Katholiken und Protestanten geworden sind, wobei die Taize – Tradition offensichtlich gerade für junge Leute einen besonderen Stellenwert bekommen hat. Bei der Kommunion (ich wähle die katholische Sprache) wurde bei beiden Gottesdiensten spontan gesungen. Es lag etwas von Pfingsten in der Luft. Eine alte Dame, die vor mir saß, sagte mir beim Friedensgruß: „ Wie schön, dass ich das erlebe“

Nun aber noch über einige meiner Erfahrungen beim Stand D22 in der Messehalle 1/1. Hier hatten sich die Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen sowie die Initiative vom Zölibat betroffener Frauen im Rahmen des offiziellen Kirchentagsprogramms positioniert. Es war ein guter Platz und viele Menschen blieben stehen, manche verwundert, die meisten aber zeigten deutlich ihre Anerkennung. 1455 Unterschriften für die ethischen Grundsatzforderungen  der Vereinigung und die vielen Einzelgespräche sprechen davon. Nur einmal kam ein Franziskaner in tadellos sitzendem Habit: er sah uns, verzog keine Miene und ging vorüber. Aber er war der einzige, den ich so erlebte. Der Vorstand der Vereinigung war übrigens gut beraten, dass er in der Petition nicht die Abschaffung des Zwangszölibates forderte, sondern sehr konkrete Schritte, die die deutschen Bischöfe schon morgen im  Hinblick auf die verheirateten Priester realisieren können. Kein Bischof kann sich so entschuldigen, ihm seien die Hände gebunden.

Einige Gespräche machten mich sehr nachdenklich. Als ich einen jungen Mann ansprach und um Unterstützung unserer Petition bat, entschuldigte er sich, dass er sich die Unterschrift nicht leisten könne, da er vor der Priesterweihe stände. Dann sagte er – etwas leiser – :„Mein Problem ist ein anderes, ich bin schwul“. Ich fühlte mit ihm. Eine Frau sagte: „Hoffentlich kommt keiner meiner drei Söhne auf die Idee, Priester als Beruf zu wählen, denn dieser Weg ist eine berufliche Sackgasse“.Ich musste ihr Recht geben. Es gab aber auch lustige Begegnungen. Ein Mann sagte zu mir: „Ich schlage ein neues Missionsprogramm vor. Jeder Pfarrer muss vier Kinder haben oder welche aus der dritten Welt adoptieren“. Einmal juckte mich der Hafer. Ich fragte einen vorübergehenden Mann in mittlerer Lebenslage: „ Was würden Sie sagen, wenn der Bischof von Trier eine Freundin hätte?“. Der Mann überlegte kurz und sagte: „ Warum nicht?“ Wir stimmten beide ein lautes Gelächter an.

Während ich diese Impressionen aufschreibe, bin ich im ICE auf der Rückfahrt. Im Tagespiegel habe ich eben gelesen: „Der Kirchentag ist ein großes Fest, aber Feste geben vom Leben immer einen unrealistischen Eindruck. Wie geht es den Kirchen? Wenn man sich die Zahlen anschaut: nicht besonders, Die Erosion geht weiter. Sie hat sich lediglich ein bisschen verlangsamt.“ Ja, das ist richtig. Wir werden die Erfahrungen der früheren Generationen brauchen, etwa das „Nada te turbe“ (Fürchte dich nicht) der großen Teresia oder das Wort Martin Luthers vom Apfelbäumchen, das er heute pflanzen würde, auch wenn morgen die Geschichte zu Ende ginge. Dann lese ich auf der ersten Seite: „Die gewundenen Vorbehalte der katholischen Hierarchie gegen jede Form eines gemeinsamen Abendmahles versteht niemand mehr. Der Umgang mit Hans Küng, dem weltweit beachteten Vordenker von Ökumene, offenbart konfessionellen Kleingeist. So wenig von einer konfessionellen Kirchenspaltung auf dem Kirchentag zu spüren war, so deutlich zeigten sich die innerkatholischen Differenzen zwischen Lehramt und Gläubigen. Wir sind das Gottesvolk – das denken und praktizieren immer mehr Katholiken. Und lassen sich ökumenisch inspirieren von Martin Luthers ‚ Freiheit eines Christenmenschen’.“ Dies ist die Einschätzung der nichtchristlichen Welt. Wir sollten sie uns zu Herzen nehmen.

 

Kittlauss Jul 4th 2012 01:09 am Biographisches Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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