Warum ich mein Goldenes Priesterjubiläum nicht gefeiert habe?

Dieter Kittlauß im Jahre 1962 als römischer Kleriker im Oratorianerkragen

Dieter Kittlauß im Jahre 1962 als römischer Kleriker im Oratorianerkragen

Fakt ist, dass ich am 29. Juni 1963 im Erfurter Mariendom durch den damaligen Erfurter Weihbischof Joseph Freusberg zum katholischen Priester geweiht wurde, und dies war am vorigen Samstag vor fünfzig Jahren. Fakt ist auch, dass ich nach dem allgemeinen Recht der Katholischen Kirche bis zu meinem Tod Priester bleibe und deshalb die Pflicht habe, Menschen in extremer Lebenslage priesterlich beizustehen. Durch diese Verpflichtung ist deshalb die so genannte Laisierung nicht mit der Entehrung eines Offiziers zu vergleichen, dem man die Epauletten abriss und ihn damit zu einem gemeinen Soldaten degradierte; eher könnte man von einem teilweisen Berufsverbot sprechen. Die Frage ist aber zu stellen, ob durch die Laisierung das priesterliche Leben und Tun unterbrochen wurde, so wie bei jemandem, der einmal freier Bauer war und dann in die Stadt zog, um als Angestellter beim Veterinäramt des Landkreises in der Lebensmittelüberwachung zu arbeiten?

Nein, das kann ich nicht so sehen. 3 Jahre Kaplan in Jena, 5 Jahre Diözesanjugendseelsorger in Erfurt, 21 Jahre Leitung des Bendorfer Hedwig-Dransfeld-Hauses – nebenbei auch Rector Ecclesiae (verantwortlich für die Kapelle) – und 13 Jahre Seelsorger im Seniorenzentrum Bendorf. Selbst in den schwierigen 4 Jahren beim Zoo, bei der DDR–Versicherung und im Papiergroßhandel ging es mir eher wie den Untergrundpriestern in der ehemaligen Tschechoslowakei, die einem zivilen Beruf nachgehen mussten oder gar im Gefängnis saßen, und sich dennoch dem seelsorglichen Dienst verpflichtet fühlten. Dass ich bis heute Theologe geblieben bin, fleißig studiere und publiziere, soll nicht übersehen werden.

Nein, einen wirklichen Bruch in meinem Leben im Sinne von Aufgabe, Verrat oder Abfall kann ich überhaupt nicht erkennen, auch wenn es in meiner Kirche immer wieder Versuche gibt, mich so einzustufen. Mit Sicherheit war bei mir das priesterliche Leben mehr sichtbar, als bei einem Kurienkardinal im Vatikan, der nur am Schreibtisch sitzt, oder bei einem geistlichen Ordinariatsrat, der für die Finanzen des Bistums zuständig ist. Weil es in meinem Leben eine so deutliche und durchgehende Identität als Theologe, Seelsorger, Leiter, Lehrer und Glaubenszeuge gibt, ist die Frage nach dem Goldenen Priesterjubiläum sinnvoll und berechtigt.

Deshalb muss die Fragestellung weiter gefasst werden, also etwa, was das Goldene Priesterjubiläum früher bedeutete und wie es sich heute in unserem Leben darstellt. Zufällig fiel mir der Totenzettel meines langjährigen Heimatpfarrers, Karl Schneider, in die Hand. Wie da zu lesen ist, wurde Karl Schneider am 21.12.1938 in Fulda zum Priester geweiht und konnte am 21.12.1988 sein Goldenes Priesterjubiläum feiern. Da mir damals von den DDR – Schergen die Einreise noch verwehrt war, war ich nicht dabei und wurde auch nicht eingeladen. Aber das ist hier auch nicht wichtig, denn aufgefallen ist mir das liturgische Gebet unter Bild und Lebensdaten: „ Gott, du hast zur Verbesserung Deiner Liebe und zum Heil des Menschengeschlechts Deinen Diener Karl Schneider zum Priester berufen und damit zum Verwalter deiner Geheimnisse bestellt. Laß ihn im ewigen Leben in der Erfüllung des übermenschlichen Amtes treu befunden werden. Wir bitten weihe ihn für die Wahrheit im ewigen Leben. Amen.“ Konzentriert, aber klar und deutlich, spiegelt dieses Gebet das traditionelle katholische Priesterbild wieder: Der Priester wird von Gott berufen. Wie beim brennenden Dornbusch in der Mosesgeschichte ist die Bestellung (Weihe) durch den Bischof nur das äußere Zeichen. Die eigentliche Wirklichkeit ist Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, der diesen Menschen in seinen Dienst nimmt. Jeder Priester steht so auf heiligem Boden und verbürgt die Gegenwart Gottes, denn Gott beruft ihn „zum Verwalter seiner Geheimnisse“. Mit dieser theologischen Geheimsprache ist das Erlösungswerk Jesu Christi gemeint. Gott hat seinen Sohn für uns geopfert, das ist das Geheimnis seiner Liebe. Die Kirche wurde erschaffen, die Früchte dieser Erlösung zu wahren und zu vermitteln. Der Priester aber ist Werkzeug für unsere Rettung. Mit seinen Händen und seiner Stimme holt er gewissermaßen Gott auf den

50 Jahre später

50 Jahre später

Altar und damit in unser Leben. Weil er ein schwacher Mensch ist, vollzieht er dieses „übermenschliche Amt“ und bedarf deshalb der besonderen Gnade Gottes – sogar in der Ewigkeit. Dieses hier beschriebene Priesterbild hat die Lateinische Liturgie verinnerlicht. Aber auch die Volksfrömmigkeit rückt den Priester in himmlische Sphären und bekleidet ihn mit übermenschlicher Aura. Auf dem Totenzettel steht auf der rechten Seite ein weit verbreitetes Gedicht, das in der Sprache des Volkes das unaussprechliche Wesen des Priesters so umschreibt:

„Ein Priester muss sein ganz groß und ganz klein.

Vornehmen Sinns, wie aus Königsgeschlecht.

Einfach und schlicht, wie ein Bauernknecht.

Ein Held, der sich selbst bezwungen.

Ein Mensch der mit Gott gerungen.

Ein Quell von heiligem Leben.

Ein Sünder, dem Gott vergeben.

Ein Herr dem eignen Verlangen.

Ein Diener der Schwachen und Bangen.

Vor keinem Großen sich beugend.

Zu dem geringsten sich neigend.

Ein Schüler von seinem Meister.

Ein Führer im Kampf der Geister.

Ein Bettler mit flehenden Händen.

Ein Greis im Schauen, ein Kind im Trauen.

Nach höchstem trachtend.

Das Kleinste achtend.

Bestimmt zur Freude, Vertraut dem Leide.

Weitab vom Neide.

Im Denken klar, im Reden wahr.

Des Friedens Freund, der Trägheit Feind.

Feststehend in sich,

ganz anders als ich.

Die Verse machen deutlich, wie sehr die Volksfrömmigkeit das Priesterbild grenzenlos überhöht hat. Deshalb wird bereits der Neupriester mit Glanz und quasi mystischen Qualitäten umgeben, obwohl er mit seinem Berufsleben nun erst beginnt. Für einen Primizsegen soll man sich ein Paar Schuhe ablaufen. Hinter der spöttischen Rede vom „Priesteranbetungsverein“ oder abgekürzt „PAV“ steckt die Aufwertung des Priesters zu himmlischer Größe – vor allem durch Frauen, die den jungfräulichen Hochwürden verehren und auf Händen tragen. Die Katholische Kirche hat dieses Priesterbild kultiviert und überträgt den himmlischen Glanz von Priesterweihe und Primiz auf das Silberne, Goldene und Diamantene Priesterjubiläum. Durch einen Festgottesdienst wird die Gemeinde eingeladen, ihre Dankbarkeit für den Geweihten als Gottesgeschenk für sie zu feiern. Auch das II. Vatikanische Konzil hat an diesem Priesterkult, der bei den Bischofsjubiläen ins Maßlose gesteigert wird, nichts geändert. Durch die Einführung der Konzelebration wurde die Bühne für die klerikale Selbstdarstellung sogar enorm vergrößert. War früher das Levitenamt mit drei Priestern die normale Form des festlichen Gottesdienstes, besteht nun die Möglichkeit, alle anwesenden Priester für alle sichtbar und festlich gewandet um den Jubilar am Altar zu versammeln. Diese Art der klerikalen Selbstdarstellung, wobei einer von den anwesenden Priestern auch noch die Predigt hält, ist ein einzigartiges Phänomen in unserer säkularen Gesellschaft. In Erinnerung an die Meisterprüfung vor 50 Jahren, bekommt der altgewordene Handwerker den Goldenen Meisterbrief durch eine kleine Delegation der Handwerkskammer überreicht. Eheleute feiern nach 50 Jahren mit ihrer Familie die Goldene Hochzeit und lassen sich bei einem Gottesdienst den Segen geben. Auch beim katholischen Priester würde niemand Anstoß nehmen, wenn er mit seinen Verwandten und Freunden den Tag seiner Priesterweihe vor 50 Jahren festlich begeht. Es ist auch etwas ganz anderes, wenn eine Gemeinde von ihrem Pfarrer nach vielen Jahren aufmerksamer Seelsorge Abschied nimmt und ihn in sein Alter mit ihren Segenswünschen begleitet. Doch die Feier des Goldenen Priesterjubiläums durch einen Festgottesdienst mit lauten Dankesgebeten und Liedern, bei einem Bischof sogar zum feierlichen Pontifikalamt mit möglichst vielen kirchlichen rot, violett oder gar purpurnen Würdenträgern erhöht, das ist die Wiederbelebung der klerikalen Kirche, von der ich mich schon lange verabschiedet habe.

Etwas ganz anderes ist die tiefe Dankbarkeit für die fünfzig Jahre meines Weges seit meiner Priesterweihe. Wie viele Menschen durfte ich begleiten, trösten und ihnen den eigenen Weg weisen. Mit den Sakramenten der katholischen Tradition durfte ich ihre Seele stärken auf dem Weg durch die Gefahren unserer Welt. Heute geht es mir so, wie jedem Menschen, wenn er sich dem letzten Tor seines Lebens nähert. Die Aufgabenfülle reduziert sich und die Rückbesinnung auf sich selbst nimmt zu. Mit anderen Worten: Meine Verantwortung für andere nimmt ab, die für mich selbst nimmt jeden Tag zu. Die priesterliche Orientierung richtet sich nun auf das eigene Herz, um sich vorzubereiten auf die Rückführung in die Göttliche Mitte unserer Welt. In diesem Sinn stellte sich für mich die Frage, wie ich es mit meinem Goldenen Priesterjubiläum halten sollte? Denkbar wäre eine Feier mit Freunden und Freundinnen im kleineren oder größeren Kreis gewesen. Ich habe mich anders entschieden: ein Wochenende mit meiner Lebensgefährtin Anne in einer ganz entspannten Atmosphäre, mit Zeit für uns. Ein Hotel in Bad Bergzabern wurde unser Domizil im „schönen Garten der Pfalz“, wie der Volksmund die südliche Weinstraße nennt. Die erst Begegnung erlebten wir in der evangelischen Marktkirche. Eine pensionierte katholische Religionslehrerin hielt Wache in der offenen Kirche. Wir kamen ins Gespräch, angeregt durch die Frage, warum es in einer reformierten Kirche trotz der nüchternen Tradition Zwinglis so eine warme Atmosphäre geben könne. Die Antwort war einfach: Der Einfluss des katholischen französischen Königs Ludwig XIV. und die zeitweilige Landesherrschaft durch das lutherische Königshaus Schweden, haben Zwinglis Strenge und Nüchternheit verwandelt. Dann entdeckten wir die Fenster in der Apsis als Werk von Eugen Keller, des begnadeten Künstlers aus Höhr-Grenzhausen, der mir sein letztes gemaltes Bild geschenkt hatte. Weil uns ein Hinweis gegeben wurde, dass in der katholischen St. Martin -Kirche Edith Stein getauft worden ist, machten wir uns auf den Weg. Die begnadete Schülerin von Edmund Husserl hatte ihre Condoktorantin und Freundin Hedwig – Conrad Martius in Bad Bergzabern besucht und dabei ihr Bekehrungserlebnis geschenkt bekommen. Es hat uns tief angerührt, dieser großartigen Frau zu begegnen. Ihr Tod war ein prophetisches Zeichen: Die christliche Karmeliterin wurde ermordet, weil sie Jüdin war; es war wie eine Morgenröte für die Geschwisterlichkeit von Juden und Christen. Dann gab es noch ein zusätzliches Geschenk. Wir besuchten die alte Wehrkirche in Dörrenbach, ein simultan genutztes Gotteshaus. Hier haben sich die Evangelische und die Katholische Kirche bei der Sanierung geeinigt, die beiden Altäre durch einen Altar zu ersetzen. Das Gebet Jesu für seine Jünger, sie mögen in Eintracht leben, wurde hier ernst genommen. So war es ein Wochenende mit dichter Spiritualität, eine würdige Form des Dankes für 50 Jahre meines priesterlichen Weges auf den Straßen dieser Welt. Bei blauem Himmel fuhren wir auf der Bundesstraße 48 über den Pfälzer Wald und den Hunsrück zurück nach Bendorf.

Kittlauss Jul 4th 2013 11:06 am Biographisches Keine Kommentare bisher Facebook Kommentare

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